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Tagebuch pitoresk
2008-04-24 12:37
ehrenamtlich beglückwünschen
Irgendwie war ich auf dem Trip, auch mal etwas für die Gesellschaft zu tun. Als ich damals kurzfristig arbeitslos wurde, hat die Gesellschaft mir immerhin ein anständiges Arbeitslosengeld bezahlt, sodass ich materiell weiter existieren konnte. Wenn man krank ist, zahlt im Grunde genommen die Gemeinschaft die Kosten dafür. Durch die staatlichen Gesetze wird versucht, alles so fair wie möglich zu regeln. Also, da sollte man doch aus Dankbarkeit ein wenig zurück geben, gerade dann, wenn es einem gut geht.

So war meine Denke und ich meldete mich beim zuständigen Bezirksamt von Berlin, wurde kurz auf Herz und Nieren abgeklopft, musste ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen (schließlich wollte man keinen Verbrecher einstellen) und dann wurde offiziell in den Stand eines bezirklich legitimierten Geburtstagsgratulierer erhoben. Meine ehrenamtliche, sprich unentgeltliche Aufgabe bestand nun darin achtzigjährige Menschen zum Geburtstag zu besuchen. Man telefoniert vorher, kündigt sich schriftlich an, bekomt satte 6,00 Euro vom Bezirk um ein Geschenk zu kaufen und gratuliert der betagten Dame oder dem betagten Herren dann im Namen der Bezirksbürgermeisterin zum Geburtstag. Es werden so viele Leute so alt, dass das die Bürgermeisterin selbst schon lange nicht mehr bewältigen kann. Tja, und dann sitzt man am hübsch gedeckten Mittagstisch in einer trauten Familenrunde, oder steht vor einem Krankenbett oder betritt eine unangenehm müffelnde Wohnung von einer einsamen Frau mit ganz geringer Rente ... es ist jedesmal anders.

Interessanter Nebeneffekt ist, dass man viele Wohnungen von innen sieht, deren Häuser man bislang nur vom Vorbeifahren von Außen her kennt. Das ist schon sehr interessant. Manchmal sieht es von außen richtig feudal aus und als man die Räume betritt denkt man sich, dass man hier nie im Leben wohnen möchte. Aber es passiert auch das Umgekehrte. Es gilt die alte Mazime: man soll nie den Fehler machen, die Dinge nur nach den Äußerlichkeiten zu beurteilen.

Ja und dann gibt es die Gespräche mit den Geburtstags"kindern". Mal läuft es ungeheuer heiter ab, mal traurig, mal kann man bei einer ganz alten Frau dafür sorgen, dass sie einen Antrag auf Grundsicherung stellt (das ist die Sozialhillfe des Rentners, die sie oder er bislang aus Scham nicht beantragt hat). Ja, und dann haben die Leute auf ihren wenigen letzten Lebensjahre vielleicht noch ein paar hundert Euro mehr, um das Leben wieder mehr genießen zu lernen. Ich habe aus diesen Begegnungen sehr viel gelernt. Es war eine echte Lebensbereicherung. Die größte Lebensfreude und die größte Not wohnen oft Wand an Wand, das ist mir dabei wirklilch wie Schuppen von den Augen gefallen. Und wenn man das Bedürfnis hat jemanden zu helfen oder die Not auf der Welt zu verringern, sollte man nicht für 6000 km weit entfernten Projekt in Afrika Geld spenden, sondern lieber mal bei seinem Nachbar klingeln. Denn die Armut, die Angst und die Schicksale liegen nicht meilenweit von einem weg, sondern wohnen vermutlich gleich bei einem in der Nachbarschaft.

Am tiefsten beeindruckt haben mich während meiner ehrenamtlichen Laufbahn ein reicher, jüdischer Goldschmied und ein bettläriger Mann kurz vorm Sterben. Der jüdische Goldschmied meinte auf meine Frage, ob er denn gerne mit seinen Kunden umgegangen sei, da seien doch sicher viele Angeber darunter: "Ach wissen Sie, die Leute gaben immer an mit ihrem Geld. Aber Geld hab ich selber, das beeindruckt mich gar nicht." Und der sterbende Mann wünschte sich von mir eine gedankliche Fahrt den Kudamm entlang und ich sollte ihm alle Geschäfte schildern, die links und rechts waren. Er hat mich dann immer unterbrochen und erzählt, was zu seiner Zeit dort für ein Laden war. Als ihm die Kräfte verließen, nach gut einer guten halben Stunde, gab er mir die Hand und sagte, dass war einer der schönsten Momente in meinem Leben.

Da lief es mir doch eiskalt den Rücken runter. Mit so ein klein bisschen Aufmerksamkeit spenden, konnte ich tatsächlich so viel Freude spenden. Also, es beschämt einen ja geradezu, dass man sich erdreistete über sein eigenes, wohlgenährtes, fern von Lebensgefahren und Kriegen gelebtes Leben zu mokieren. Ich sollte dankbarer sein.

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Kommentare

00:16 25.04.2008
toll! meine hochachtung. schöner bericht!
Good luck!
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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2008-04-24 12:37