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Tagebuch MI
2005-10-16 10:09
Interessenprojektion
Nicht weit von meinem Wohnhaus entfernt steht ein großer Brückenkomplex. Er dient sowohl der Berliner S-Bahn und den Zügen der DB zur Überquerung der Straße, als auch den Bürgern und Bürgerinnen zur Unterquerung der Bahntrassen (insbesondere sehr vielen Kindern, damit sie zu der auf der anderen Brückenseite gelegenen Grundschule kommen können). Derzeit wird einiges an dem Schienennetz erneuert und ganze Trassen und Bahnhöfe verlegt. Im Zuge der Baumaßnahmen wurde die Brücke für einen längeren Zeitraum für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt.

Die Folge war, daß der Verkehr vor meinem Wohnhaus spürbar abgeebt ist. Denn die Straße dort wird weniger von den Anwohnern als mehr für den Durchgangsverkehr genutzt, da sie zwei größere Berliner Straßen miteinandeer verbindet. Dieser Durchgangsverkehr kam in der Zeit der Brückensperrung zum Erliegen, bzw. die Verkehrsteilnehmer mußten eine andere Strecke fahren (was natürlich zu Lasten anderer Straßenzüge geht, ist schon klar). Ich habe mich sehr bald an diese schöne Situation gewöhnt und habe nach einiger Zeit die "neue Ruhe" als enormen Anstieg der Lebens- und Wohnqualität meines Wohnviertels empfunden. Und nicht nur mir ging es so, sondern alle Menschen dieser Gegend, mit denen ich mehr oder weniger beiläufig über die Brückensperrung gesprochen habe, empfanden das gleiche: weniger Verkehr = deutlich gestiegene Lebensqualität.

Dabei ist es nicht einmal eine sehr viel befahrene Straße, und es ist auch Tempo 30 ausgeschildert. Jedoch halten sich nicht viele Autofahrer daran. Kürzlich hat mich sogar ein Mercedesfahrer einfach überholt, als wären wir auf der Autobahn. Ich war wohl zu langsam für ihn (man muß da mal drauf achten, wie langsam Tempo 30 tatsächlich ist und wie viele Ungeduldige sich schnell hinter einem sammeln und man sich gedrängt fühlt, schneller zu fahren). Dabei mußte der Mann wie sich zeigte nicht einmal weit fahren. Gleich nach zwei Kurven parkte der Wagen auch schon vor dem anliegenden Gerichtsgebäude.

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Leider mußte diese schöne ruhige Zeit zu Ende gehen. Seit Anfang Oktober kann endlich der Verkehr wieder fließen. Jedoch muß ich nun, wenn nächste Woche die Schule wieder anfängt, des morgens erst mit den Kindern die Straßenseite wechseln und später dann wieder, da derzeit nur eine Seite der Straße für die Bürger und Bürgerinnen begehbar ist. Man läuft dann auch nicht auf dem Gehweg, sondern auf einem behelfsmäßig abgesperrten Stück der Straße, da die Gehwege noch nicht wieder hergestellt sind. Das ist nicht schön, wie die Autos da an einem vorbeirauschen.

Aber das wichtigste ist halt, daß der Verkehr wieder fließen kann. So kam es in einem Schreiben der Berliner-S-Bahn-Betriebe an alle Anwohner des Viertels zum Ausdruck. Darin war angekündigt, daß die Brücke leider noch eine Woche länger gesperrt sein müsse, da die Arbeiten nicht ganz wie geplant fertig gestellt werden konnten. Man werde aber alles daran setzen, daß die Brücke zum Anfang Oktober dann wieder freigegeben werden könne.

Die Leute scheinen wirklich zu denken, daß es für die Anwohner nichts wichtigeres geben würde, als daß die Brücke endlich wieder für den Kraftfahrzeugverkehr freigegeben wird (Fussgänger konnten die Unterführung während der Unterbrechung nutzen). Das war aber ein großes Mißverständnis. Denn den meisten Anwohner wäre es wohl gerade recht gewesen, wenn diese Brücke überhaupt nicht wieder aufgemacht würde. - So kann man an den eigentlichen Interessen der Bürger vorbeidenken.

Schade, es war wirklich schön. Glücklicherweise sind die Gehwege in Berlin sehr breit, es ist also nicht wirklich "schlimm". Aber es ist doch ein deutlicher Unterschied. Ich habe mal einen Geschmack davon bekommen, wie es sein könnte, wenn es weniger Verkehr in meinem Wohnviertel geben würde bzw. wenn sich die Autofahrer nur wenigstens an die vorgeschriebene Geschwindigkeit halten würden. Und ich merke auch, daß ich so etwas wie eine "Hier-wohnen-Menschen!"-Haltung entwickle. Und daß ich auch nicht mehr länger bereit bin, mich bei der Straßenquerung zu beeilen, oder meine Kinder dabei zu hetzen, um den Abbiegerverkehr nicht unnötig aufzuhalten.

Michael

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2005-10-16 10:09