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Tagebuch MI
2005-10-19 17:16
Die Praxis
Es ist tatsächlich so, daß ich es am meisten hasse, fürchte und verabscheue, ganz für mich allein stehen zu müssen. Ganz allein zu sein, ganz alleine diese nicht enden wollenden Entscheidungen treffen zu müssen. Oder auch nur ganz allein mit dem Leben fertig werden zu müssen (was ich ja sowieso tue). Mit dem täglichen Einerlei, der Familie, den Nachbarn, den Kollegen, alles einfach. Ich beginne mich schon zu fragen, ob ich überhaupt noch in der Lage bin, wirklich eine innige Beziehung zu anderen Menschen einzugehen. Ich habe oft mehr die Befürchtung, daß ich mich abkapsele, vielleicht vor lauter Ratlosigkeit.

Lieber wäre mir eine große Gemeinschaft, in der es irgendwie nett und gerecht zugeht, so eine Art Mickey-Mouse- oder Legowelt (daher wohl mein Hobby). Besonders gefallen mir diese Legowelten, in der nur die ganz normalen Legofiguren auftauchen: keine grimmigen Gesichter, keine Bösen, keine Superlustigen, keine was immer, sondern einfach nur dieses kleine lächelnde Legogesicht überall.

Der Kioskverkäufer lächelt, der Busfahrer lächelt, die Polizistin lächelt, der Bauarbeiter, der Radfahrer, das Mädchen an der Bushaltestelle: alle lächeln einfach, alle sind sie glücklich. Da geht mir das Herz auf und ich frage mich, warum das in Wirklichkeit nicht auch so ist. Da ist die "harte Realität". Da scheinen alle grimmig zu sein. Und ich bin bestimmt auch oft grimmig und merke das gar nicht. Ich bin wahrscheinlich alles mögliche. Ich denke zwar, ich wäre das nicht, bin es aber trotzdem.

Gleichzeitig ist es aber auch so, daß ich genauso wie die Einsamkeit jede Form von Gruppenzwang oder Gruppendynamik verabscheue. Das ist gar kein aktiver Vorgang. Ich merke nur ab einem Punkt, das ich mit meiner Beweglichkeit, meiner (pseudo-)Freiheit bezahle, wenn ich mich zu sehr auf Gruppen einlasse. Und dann muß ich ganz schnell an die frische Luft.

Wahrscheinlich ist das aber gar keine Freiheit, sondern mehr verbirgt sich dahinter die Feigheit, auch in einer Gruppe ich selbst zu sein und zu sagen, was ich denke, und zu tun, was ich für richtig halte. Egal, was andere denken. Es ist immer diese Angst, auf mein "Ich" hereinzufallen. Bin "Ich" das jetzt, der das sagt, oder ist das alles nur Resultat von Konditionierung, Abschottung, Selbstverteidigung, Selbstdarstellung usw.?

Das ist sicher richtig, daß man nur in diesem Alleinsein - ich meine nicht das Zurückziehen in die Einsamkeit, sondern das Allein-auf-sich-gestellt-sein - mit sich selbst erst richtig in Kontakt kommt und all die Gruppen genau dies verhindern, da immer gleich die Leute einspringen, wenn es brenzlig wird. Da wird schnell ein Witz gemacht, um eine "peinliche" Situation zu entschärfen, oder Trost gespendet, um jemand anderes wieder aufzubauen. Nur, was dann oftmals wieder aufgebaut wird, das ist eben nur die falsche eingebildete Person, die eigentlich erst Platz machen muß, damit sich das Echte zeigen kann.

Ich bestehe wahrscheinlich nur aus unzähligen dieser eingebildeten Personen. Und es ist unangenehm, wenn das auf den Prüfstand kommt. Und trotzdem muß ich froh sein, wenn genau das geschieht. Eine andere Art und Weise zu mir selbst und zum Kern dessen, was ich bin, vorzudringen, weiß ich nicht. Wahrheit ist halt das, was übrig bleibt, wenn es keine Lügen und (Selbst-)Täuschungen mehr gibt (das stammt nicht von mir, trifft aber jetzt gerade gut, was ich ausdrücken möchte).

Michael

Kommentare


unbekannt
18:50 20.10.2005
@ Michael
Lies bitte in meinem Tagebuch meinen jetzigen Umgang mit meinem Alkoholismus, dann merkst Du, wieviel ich in den letzten 13 Jahren an mir geändert habe und wie weit ich wieder Selbstbewußtsein habe aufbauen können. Hier bei Diary zeige ich mich ohne Maske! Wenn Du willst, lies es bitte!LG


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unbekannt
09:18 20.10.2005
Hallo Claudius,
ja, das ist ganz normal. Ich möchte dich was fragen: wie gehst Du heute mit diesem erbärmlichen Ich um? Wieviel davon bist Du bereit, nicht nur den besten Freunden, sondern es ganz offen zu zeigen? Oder ist das dann doch eher so, daß man es zwar weiß, aber es ja auch nicht ändern kann. Und ewig in der Ich-Suppe herumzustochern bringt ja auch nichts, also macht man halt einfach weiter wie gehabt (mit den Masken meine ich)? LG, Michael


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unbekannt
21:32 19.10.2005
Wir tragen selbst viele Masken, hinter denen wir uns verstecken,die so scheinen, wie wir gern sein wollen! Aber ist das nicht normal? Mein Ich-Selbst-Sein habe ich erst in meiner Alkoholikerselbsthilfegruppe entdeckt, weil ich hier mein erbärmlich kleines krankes Ich nicht kaschieren musste, sondern akzeptiert wurde , wie ich war! Solche Ansprechpartner zu treffen ist "Glück" für das eigene leben - such sie Dir!
LG


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