Sie haben wohl auch nicht die beste Laune“ fuhr Produktionsleiter Huber seine Mitarbeiterin Elvira Scheffler an, als diese ihm auf dem Weg vom Büro zum Lager der Käsefabrik begegnete.

Völlig verstört schrie die Frau, entgegen ihrer sonst so stillen Art, genervt zurück: „Meine Mutter ist gerade eben verstorben!“

Dieser Tag war bisher der schwärzeste im Leben der siebenundvierzigjährigen Frau. Erst seit einem Jahr lebte Elvira in Bayern. Zum zweiten Male war sie als Urlaubsvertretung auf dem

stressigen Posten des Versandleiters eingesetzt. Vier große Lastkraftwagen standen an diesem Tage auf dem Hof und sollten beladen werden. Elvira quälte gerade eine hochgradige schlimme Erkältung. Trotzdem versuchte sie ihre Arbeit mit gewohnter Schnelligkeit und Gewissenhaftigkeit zu meistern. Gerade als sie den Kaffee, den ihr ein mitfühlender Kollege auf den Schreibtisch gestellt hatte, trinken wollte, klopfte es ans Fenster. Sofort, als sie ihren Mann Helmut erblickte, wusste sie es. „Meine liebe Mutti lebt nicht mehr!“ Vergessen waren die körperlichen Beschwerden, vergessen die vier Brummis auf dem Hof der Käserei. Helmut nahm seine Frau in die Arme. Am liebsten wäre Elvira mit ihm auf und davon gerannt. Ihre Gefühle fuhren Karussell. Was sollte sie nur tun? Langsam hob sie ihr tränennasses Gesicht und versuchte sich zu sammeln.

„Ich kann hier nicht weg! Kein anderer kennt sich in der Abfertigung der Versandpapiere aus. Ich muss bleiben und diesen schlimmen Tag irgendwie durchstehen.“ Mit diesen Gedanken im Kopf hatte sie der Produktionsleiter angepöbelt. Es nützte alles nichts, hier musste Elvira durch. Ohne dass sie ihre Lippen bewegte, sagte sie immer wieder die Worte, die ihr schon so oft in ihrem bewegten Leben geholfen hatten, vor sich hin: „Immer weiter, immer weiter....“

Wie war es eigentlich gekommen, dass diese Frau, die beinahe fünfzig Jahre in einer sächsischen Großstadt gelebt hatte, in Bayern noch einmal ganz von vorn angefangen hat?