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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch staunistauni
 1990-04-02 hh:mm
Besucher aus Dresden ohne Zahl

 

In den nächsten Wochen und Monaten hatte jeder damit zu tun, sich in seinem neuen Betätigungsfeld zurechtzufinden. Es war für alle nicht so einfach, hatte doch jeder in seiner Arbeit ganz neue Aufgaben zu bewältigen. Aber mit dem Arbeitstag hörten für alle die Neuigkeiten nicht auf. Sie verfolgten gespannt, wie sich die Politik in ihrer ehemaligen Heimat entwickelte. Was würde passieren, nachdem sich die Grenzen in der Nacht zum 9.11.89 das erste Mal geöffnet hatten? Würde es die DDR wagen, alles wieder rückgängig zu machen und möglicherweise noch härtere Maßnahmen für die DDR-Bürger anordnen? Oder würde die Grenze wirklich passierbar bleiben?

Da eine Entscheidung noch lange nicht getroffen war, strömten noch viele, vor allem junge Leute in den Westen. Auch die Schefflers bekamen das zu spüren.

Sie waren noch immer spärlich eingerichtet und schliefen in ihren Behelfsbetten. Auch lebten sie weiter aus der Kistenküche. Da bat Dirk seine Eltern, seinen ehemaligen Schulfreund Steffen, den er damals gern mit nach Ungarn genommen hätte, zu ihnen einzuladen. Die Eltern hatten nichts dagegen und Dirk freute sich sehr, als Steffen mit noch einem Kumpel für eine Woche nach Bayern kam. Die beiden schliefen auf Luftmatratzen. Da die Lebensmittel nicht viel kosteten, konnten die zwei gut eine Woche mit durchgebracht werden. Als diese Zeit vorüber war, kaufte Elvira den beiden Besuchern Reiseproviant, viele Bananen und legte ihnen die stets gefragten bunten Zeitungen dazu. Da meinte Steffen plötzlich: „Frau Scheffler, wir wollen eigentlich gar nicht wieder nach Hause fahren, wir wollen hierbleiben!“ Elvi schluckte erst mal kräftig, aber Dirk, der sah, wie seine Mutter die Fassung verlor, meinte nur: „Mutti, du brauchst dich um nichts zu kümmern, das mach` ich alles!“ Er hatte schon für diesen Abend eine Unterkunft für seine Freunde in einer Pension besorgt und schickte die beiden am nächsten Tag auf Wohnungssuche. Sie hatten auch Glück und bekamen zwei kleine zusammenhängende Räume im gleichen Ort. Jetzt sprach sich die Sache unter den ehemaligen Klassenkameraden in Dresden herum und nach und nach kamen noch weitere sechs Jungen, die plötzlich alle unter chaotischsten Umständen in den zwei kleinen Zimmern und einem Bad hausten.

Da es einigen dort zu ungemütlich wurde, standen sie öfters des Abends vor der Tür ihres Freundes Dirk und alle saßen dann wie im Kino vor dem Fernseher. Die Jungs freuten sich natürlich, wenn „Mutter Scheffler“ etwas Essbares auf den Tisch brachte. Helmut musste Rauchverbot aussprechen, sonst wäre aus der neuen Wohnung sicherlich eine Nikotinhöhle geworden. Aber auch diese Zeit wurde gemeistert, einige der Jungen fanden in der Umgebung ihren Weg, andere gingen nach einiger Zeit zurück in ihre Heimatstadt.

Von dieser Zeit ist den Schefflers ein gutes Gefühl geblieben. Waren sie doch den jungen Menschen in ihrer damaligen „Verwirrung“ eine kleine Stütze.

Nun war es endlich soweit, alle DDR-Bürger durften nach dem Westen reisen. Sie bekamen das Begrüßungsgeld, mit dem man es natürlich nicht weit brachte. So erhielten Helmut und Elvira von ihren guten Freunden Anfragen, ob sie mal für ein Wochenende kommen dürften. Die Neubayern freuten sich natürlich sehr auf das Wiedersehen, beschrieben aber allen ihre bescheidenen Schlafmöglichkeiten. Das machte niemanden etwas aus und so hatten sie damals ständig Besuch.

Als erster kam Elviras ehemaliger Chef Christian Rudolf, der in Dresden für Elvira noch alle zu erledigenden Dinge geregelt hatte. Er war mit dem Freifahrtschein nach Oberstdorf gefahren und brachte auf dem Rückweg etwas neuen Hausrat mit, den er überall mit herumgeschleppt hatte.

Mit ihm fuhren Elvira und Helmut zum Königssee und sahen vom Malerwinkel aus die hübsche kleine Kirche. Mit dem Schiff nach St. Bartolomä zu fahren, konnten sie sich noch nicht leisten.

Aber sie waren auch so zufrieden, den herrlichen Ausblick genießen zu können.

Am nächsten Tag ging es gemeinsam nach München. Nach einem Stadtrundgang landeten sie im weltbekannten Hofbräuhaus. Dort genehmigten sie sich jeder eine Maß und dabei nannten sie sich spaßeshalber „Kulturbanausen“, die für die Schifffahrt kein Geld hatten, wohl aber für den Alkohol.

 

Jetzt durfte man sogar wieder in die DDR einreisen.

Die Eheleute fuhren natürlich zuerst nach Dresden und nahmen allen Verwandten und Bekannten Bananen, Schokolade und Fruchtsäfte mit. Am meisten freute sich Mutter Lotti über eine grüne Gurke. Mit ihr vereinbarten sie einen „Schnupperbesuch“ in der neuen Heimat und versprachen ihr bis dahin, „Einweg-Spritzen“ für ihre Diabetes zu schicken.

In diese Zeit fiel die Jugendweihe von Schwester Ilses Enkelin, zu der die neuen „Wessis“ herzlich in die Nähe von Leipzig eingeladen wurden. In diesem Ort sahen sie erst einmal wieder die Unterschiede zwischen Ost und West. Nachdem sie so viele Orte mit freundlichen gepflegten Häuserfasaden gesehen hatten, erschien ihnen dieses Dorf wie ein Ort des Grauens. Außer einer weißen frisch gestrichenen Häuserwand war alles grau in grau. Der Putz löste sich überall von den Häuserwänden. Dieser Ort zeigte noch einmal in aller Deutlichkeit wie marode und heruntergekommen die DDR gewesen ist.

Bei der Feier bildeten sie als „Wessis“ mit den tollen Geschenken und dem „Westauto“ den Mittelpunkt. Jeder wollte wohl versuchen, ein paar Beziehungen anzuknüpfen. Noch fielen Westautos in der Masse der eckigen DDR-Modelle auf. Das sollte sich aber bald ändern.

 

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