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Tagebuch Sommer
2019-03-23 17:20
Hand in Hand mit dem Schicksal

Es ist immer blöd, wenn jemand stirbt und man mit seiner Trauer nicht weiß, wo man hin soll, ist klar, aber ich habe nicht gedacht, daß es so schwer ist. Heute ist der erste Tag, den wir ohne meine Mutter verbracht haben. Es kommen noch mehr Tage, an denen meine Mutter ohne Ende fehlt, aber das macht es nicht besser. Es heißt immer, daß die Zeit alle Wunden heilt, aber auf den Satz kann ich verzichten. Die Wunde wird nie heilen, bei mir ist das nicht so. Vielleicht läßt der Schmerz irgendwann nach, im Moment sieht es nicht wirklich danach aus. Mein Vater hatte gestern nicht so unrecht, als er sagte, daß es Familien gibt, bei denen der Verlust der Mutter um einiges schlimmer ist, wenn da noch kleine Kinder sind. Das stimmt, aber ich finde, daß der Verlust der gleiche ist. Da ist es unwichtig, ob das Kind nun klein ist oder eben schon groß und älter. So wie ich. Ich hätte ihr mehr als einmal den Hals umdrehen können, weil sie mir mit ihrer Art manchmal tierisch auf die Nerven gegangen ist. Und wenn man sich die Zeit nimmt - das haben mein Vater und ich gestern gemacht - kommt man zu der Erkenntnis, daß es nicht nur körperlich mit ihr bergab ging. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß sie gern gelaufen ist, aber es gab auch Zeiten, da ist sie dreimal in der Woche mit ihren Stöcken los gezogen und ist gewalkt. Sie ging zum Turnen und zur Wassergymnastik und alles war gut. Sie fühlte sich wohl und Beschwerden gab es keine. Dann fiel Turnen und Wassergymnastik weg und das Walken wurde eingestellt. Warum? Keine Ahnung. Sie hat es nicht interessiert, als sie am 28.12.14 mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus bringen mußte und der Arzt sagte, daß sie mehr laufen soll. Gerade im Alter sei das wichtig. Aber die Leute haben ja alle keine Ahnung. Ich glaube, daß meine Mutter diesen Gedanken immer mit sich rum getragen hat. Ich kann mich auch täuschen, aber wer sagt mir, daß das nicht so ist? Kein Mensch.

Wenn man körperlich abbaut, ist das eine Sache, wenn man geistig abbaut, ist das schon eine andere Hausnummer. Das kam bei meiner Mutter noch dazu. Diese geistigen Aussetzer hatte sie nicht erst seit letzter Woche. Als mein Vater letzte Woche Mittwoch im Krankenhaus war, hat sie ihn angerufen und hat gefragt, wo er denn ist. Er hat ihr das erklärt und meine Mutter hat gemeint, daß mein Vater und ich sie nicht verarschen müssen, immerhin steht die gepackte Tasche in der Küche. Mein Vater mußte ihr erklären, daß ich ihm die Tasche später ins Krankenhaus bringe. Erst dann ist der Groschen gefallen. Sie hat meinem Vater nicht nur einmal erzählt, daß sich auf der Straße zwei Jugendliche geprügelt haben, die aus der Schule gekommen sind und daß ein Hausbewohner dazwischen gegangen ist. Die Polizei war sogar da. Dabei gab es überhaupt keine Anzeichen für eine Schlägerei. Sie war der festen Überzeugung, daß eine Nachbarin im Heim ist, weil sie besagte Nachbarin so lange nicht mehr gesehen hat. Wir haben ihr so oft gesagt, daß die Dame nicht im Heim ist. So könnte man die Liste beliebig ergänzen, aber das erspare ich mir. Ich will meine Mutter so in Erinnerung behalten, wie sie noch vor ein paar Jahren war. Das ist auch besser so. Vielleicht sollte es so sein, daß es am Ende so schnell gegangen ist. Uns allen ist eine Menge erspart geblieben, auch wenn das noch so hart ist. Ich hätte nicht damit leben können, wenn meine Mutter noch mehr abgebaut hätte.

Kommentare

19:55 24.03.2019
Meine Mutter war 77.
Ich glaube auch, daß es mit den Ausfällen immer schlimmer geworden wäre. Wer weiß, was uns in der Beziehung noch erwartet hätte.
Es ist aber trotzdem alles so wahnsinnig schwer. Sie wird uns immer fehlen, jeden Tag, jede Stunde. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es irgendwann leichter wird.
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19:44 23.03.2019
Wie alt war deine Mutter denn?

Dass sie nicht völlig dement werden musste - du sagtest ja schon öfter, dass sie Ausfälle hatte -, kann euch sicher irgendwann trösten.
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19:43 23.03.2019
Als mein Vater starb, hab ich noch Wochen später ständig gedacht:"Ach, das muss ich Papa erzählen." Und er fehlt mir auch nach 11 Jahren noch. Allerdings wohne und wohnte ich nicht mit ihm zusammen. Da spürt man das Lich noch schlimmer. Als mein Opa starb, habe ich noch ewig für ihn ein Gedeck aufgelegt...und immer mit Schrecken begriffen, dass er nicht mehr da war...
Aber die Zeit macht es tatsächlich irgendwann leichter.
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2019-03-23 17:20