Geister der Vergangenheit
Es ist später Nachmittag. Draußen prasselt der Regen gegen unsere Scheibe, malt kleine Flüße auf ihr und durchnäßt den Garten. Meine Frau sitzt am Eßzimmertisch und schreibt unsere Dankeskarten, während ich auf dem Sofa sitze und mit Hilfe meines Laptops um die Welt surfe. Meinem Untermieter, das Grippevirus, mache ich das Leben verdammt schwer. Es dachte wohl nicht, dass ich so viele unerwartete Antikörper besitze. Naja, da muß es jetzt durch...

Das monotone Klopfen des Regens unterstreicht die melancholische Musik aus dem Radio. Ich rufe meine Mails ab. Und da war plötzlich dieser Name unter all den anderen. Nicht ganz überraschend, denn ich habe vor einigen Wochen den Kontakt wieder zu ihr aufgenommen. Habe ihr mitgeteilt, dass ich mittlerweile geheiratet habe (woran ich mich immer noch nicht gewöhnt habe). Daraufhin schrieb sie mir, dass sie mittlerweile Mutter von Zwillingen geworden ist. Ein Foto hatte sie mir mitgeschickt, das ich auch P., meiner Frau, gezeigt hatte. Sie weiß, dass wir beide Freunde sind, dass sie auch mal bei mir übernachtet hatte, und wir damals (als ich noch Single war, in der Zeit nach der Trennung von C.), als sie in Deutschland für ein Jahr war, viel unternommen hatten. Wir verstanden uns sehr gut, waren auch sehr kurz davor, sexuell zusammenzukommen. Das habe ich P. natürlich nie so genau erzählt, warum auch? Diese Frau, ihr Vorname fängt auch mit C. an, kommt und lebt ja in Chile. Als sie dann zurück reiste, und ich P. kennen lernte, hakte ich diese Beziehung als ein Kapitel meines Lebens ab.

Vor unserer Hochzeit lud C. uns zu ihr nach Chile ein. Wir waren auch kurz davor, diese Reise anzutreten (geplant war da auch ein Abstecher nach Machu Picchu in Peru; dort wollte ich P. einen Heiratsantrag machen). Doch aus diversen Gründen kam die Reise nicht zustande, und ich war in einer Art froh darüber.

Nun sitze ich hier auf meinem Sofa, und lese, dass sie uns nach Chile einlädt. Ich drehe mich halb zu P. um und teile ihr die Nachricht mit. Ich wende mich wieder zu meinen Mails. Nach Sekunden immer noch keine Reaktion von ihr. Dann plötzlich geht sie neben mir in die Hocke, schaut mich mit ihren grünen Augen an und fragt: „Du, wollen wir das nicht einfach machen?“
Ich schau sie an und weiß nicht, was ich sagen soll. Eigentlich war wieder eine Reise nach Irland geplant. Dahin, wo ich ihr den Antrag gemacht hatte.
„Wie kommst du da jetzt drauf?“, möchte ich von ihr wissen.
„Nun“, sagt sie „wenn wir es jetzt nicht machen, wann dann? Sieh mal, das ist wohl die letzte Möglichkeit in absehbarer Zeit auf die Südhalbkugel zu kommen. Ich weiß, wie gern du den Südsternenhimmel sehen möchtest, bevor wir denn dereinst mal Kinder haben werden. Und ich kann endlich mal so eine richtige Wüste sehen.“

„Nein“ ,erwidere ich, „das ist die letzte Chance! Wenn erst mal Kinder da sind, und wir älter, dann werden wir solche Reisen nicht mehr unternehmen. Es heißt also: jetzt oder nie!“

Sie nickt, lächelt und geht zum Tisch zurück. Nun war es an der Zeit, ihr doch einiges von meiner Vergangenheit zu erzählen.

Nun, ich tat es. Sie unterbricht mich aber schnell und meint, während sie mir ihren Ehering zeigte: „Ich bin jetzt deine Frau. ICH habe es geschafft, dich zu heiraten. Was vorher war, ist zweitrangig. Wenn es dich nicht stört, sie zu treffen, tut es für mich auch nicht.“

Nein, stören tut es mich wirklich nicht.

Am Horizont winkt die Chance. Den Südsternenhimmel sehen. In seinem Licht ertrinken und eins werden mit diesem grandiosen Anblick; die Anden im Hintergrund…

Der Regen trommelt weiterhin seinen monotonen Rhythmus gegen unsere Scheibe, P. schreibt weiter die Karten und ich suche nach günstige Flugverbindungen nach Chile…