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Friday, 26. April 2024
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Tagebuch An_mich_selbst
 1907-04-05 hh:mm
Konfirmation und Glaubensfragen
Nun ist auch die Konfirmation vorüber sie war sehr schön. Am Freitag vorher ging ich noch einmal zu „Pev“ (Pastor Wagner). In der Konfirmandenstunde fragte ich ihn neulich: „ ob die Widertaufe Sünde sei“. Er erklärte es mir und sagte zu mir: Willst Du, daß wir noch einmal darüber sprechen? Ich sagte „Ja“.
Na, dann komm Freitag um 6 Uhr in meine Wohnung. Dann sagte er noch allerlei. Am Freitag ging ich nun zu ihm. Ich sagte „Guten Tag“ u. er kam u. drückte mir fest die Hand u. setzte mich auf`s Sofa, aber so diplomatisch, daß ich im Hellen u. er im Dunklen saß u. mich ganz genau beobachten konnte. Dann sagte er: „Dir hat die Widertaufe Kopfschmerzen gemacht? Hast du Erfahrungen in eurer Familie gemacht? Ich sagte nein u. erzählte ihm, daß ich es in der Prüfung in der Ulrichskirche gehört habe. Dann erklärte er es mir noch einmal u. dann sagte er: wenn du noch etwas hast, dann kannst du es mir sagen. Ich sagte: Sie sagten doch in der letzten Konfirmandenstunde, daß es ein Frevel sei, wenn man jemanden zum Abendmahl zwänge.“ Dann erklärte er es mir noch mehr. Nachdem eine lange Pause eintrat fragte er: hast du noch etwas? Ich sagte ja. Da nahm er meine Hand in die Seinigen u. drückte sie mir immer zu und sagte: „Nur Mut, meine Grete.“ Er sah mich immer dabei an, natürlich tat ich nicht dasselbe. Ich wollte immer etwas sagen, aber es wollte nicht so recht aus u. ich kam nicht auf das Wort „Pflicht“. Ich wollte nemlich sagen: es ist doch unsere Pflicht, ein Glied aus der Familie, welches nicht zur Kirche geht, zu ermahnen es zu tun.“
Da ich nun aber nicht auf das Wort kam sagte ich: man muß es später doch einmal verantworten, wenn man diejenigen aus der Familie etc. etc. Er sagte: ich versteh nicht wie du das meinst. Er gab sich die menschenmöglichste Mühe um es aus mir herauszubekommen. Dann sagte er nach einer langen Pause: Dein Vater steht dem Evangelium fern?
Ich sagte ja, mein Vater u. mein Bruder. Da sagte er, ja siehst, das ist furchtbar schwer. Jetzt siehst du es ja aus eigener Erfahrung, wenn Gottes Geist an uns Menschen arbeitet, dann bekommt man auch das Verlangen andere Menschen zu Gott zu führen. Ihr Frauen könnt das so gut, indem ihr still und froh eure Arbeit verrichtet, u. so daß die anderen stutzig werden u. denke wie glücklich sind doch die, die Gottes Kinder sind.“ Dann sagte: Ihr Schwestern versteht euch doch sehr gut? Ich sagte - nein garnicht. Was, sagte er, das ist ja schrecklich! Er war ganz erschrocken. So geht jeder seinen Weg für sich? Ja. Oh, das ist schwer. Da erinnere ich mich an einen Spruch aus Inf. 53.
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeglicher sah auf seinen Weg; aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“ Dann sprach er noch allerhand von meinen Schwestern u. erkundigte sich nach meiner Mutter, worauf ich aber schwieg.
Während dem Gespräch hatte er immer meine Hand in der seinigen u. drückte sie mir. Er sagte dann: „Du kommst mir so vor, als ob du äußerlich furchtbar verschlossen wärst, im Innern aber heulst du u. schreist nach Liebe. „Ist es so?“ Ich sagte „Ja“. Da war er ganz erschüttert, drückte und schüttelte meine Hand u. sagte: „Ach, meine Grete, das ist furchtbar.“ Kannst du dich mit M. Strucksberg verstehen? Ja, sehr gut. „Sprecht ihr auch öfters mit einander von diesen Sachen? Ja, sehr oft. „Um so schlimmer für dich, daß sie jetzt von Halle fortgeht.“ „Mir scheint es so, als ob du noch etwas zu sagen hast? Ja. „Na, dann.“
Ich wollte ihm nemlich über mein vergangenes Leben etwas sagen. Da ich es aber nicht herausbekam, gab er sich die erdenklichste Mühe um es zu erraten. „Ist es etwas aus deiner Familie?“ Nein! u. so fragte er weiter bis er endlich sagte „aus deiner Vergangenheit?“ „Ja, hast du den Herrn schon um Vergebung gebeten? Vorher sagte er erst:“ denn wenn es daraus ist, kannst du nichts besseres tun, als es mir deinem Seelsorger anzuvertrauen.“ Auf die Frage konnte ich nicht antworten. „Dann tue es noch heute, denn du willst doch Sonntag des Herrn Segen empfangen, das freilich mußt du tun. Ich weiß es, ich weiß es und will es behalten etc. etc u. so wahr Gottes Sonne am Himmel noch scheint, so wahr hab ich „Grete“ Vergebung erlanget. Der Herr spricht. Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben, gehe hin in Frieden.“ Dann stand ich auf u. wollte geh`n er stand auch auf und ging mit mir zur Tür u. legte seinen Arm um mich u. sagte „Komm nur, wenn du etwas hast, ich will dir so gut ich kann in allem helfen u. vergiß nie, daß du bei mir ein Herz findest, das dich lieb hat.“ In dem Gespräch als ich ihm das gern sagen wollte u. doch nicht heraus bekam sagte er: „Du kannst mir alles sagen, Herz u. Ohren gehören jetzt dir, also tue es bitte, bei mir ist es gut aufbewahrt ich sage es niemanden, so gar auch meiner Frau nicht!“ Dann aber nach einer langen, peinlichen Pause sagte er „Kannst du es besser schriftlich? Ja. „Jetzt oder später?“ Lieber später. Ich dachte aber im Augenblick nicht daran in was für eine peinliche Lage ich mich gebracht habe. Es war bei ihn eine ernste u. frohe Stunde, aber doch auch furchtbar peinlich. Am Sonnabend hatten wir dann die allerletzte Konfirmandenstunde. Die war wunderschön. Am Ende als er uns entließ war es mir furchtbar schwer auch ihm, denn es war ja die allerletzte Stunde bei ihm. Am Sonntag, also Palmarum versammelten wir uns alle noch einmal im Konf. Zimmer. Wir stellten uns zu drei auf u. er betete noch einmal mit uns, dann zogen wir unter Glockengeläute stumm zur Kirche. Wir setzten uns hin u. die Orgel begann zu spielen, dann wurde gesungen. Herr Pastor kam vor hielt die Eingangsliturgie u. Gebet. Dann wurde wieder gesungen. Herr Pastor hielt dann eine Ansprache an uns Offb. 2,10 Sei getreu. Dann wurde das Hauptlied gesungen. Dann stellte er die drei Fragen, die wir mit dem Glaubensbekenntnis, mit dem Taufbund u. Ja, wir wollen es mit Gottes Hilfe, beantwortet. Dann rief er uns mit Namen nach an den Altar: Grete Dienemann, Marta Strucksberg, Grete Vogel.“ Als wir vorm Altar waren las er die Sprüche: „Grete Dienemann: „Ich bin dein, Herr hilf mir.“ Marta Strucksberg: „Halte was du hast, das niemand deine Krone nehme“. Grete Vogel: „Fürchte dich nich ich bin mit dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott etc etc. Jes. 41,10.“ Dann gab er uns die Hand u. drückte sie uns. Dann knieten wir nieder u. er legte die Hände auf uns u. segnete uns also“ „Der Segen Gottes des Vaters u. des Sohnes u. des hl. Geistes komme über euch u. bleibe auf euch jetzt u. immerdar. Amen.“
Dabei wurde dann immer die Glocke angeschlagen.Als die einsegnung fertig war, Sagte er uns Adieu u. wir gingen still nach Haus. Bei uns war es am Konf. Tage sehr still. Nachmitt. Um 5 Uhr gingen wir zum Abendmahle. Am Mittwoch danach holte ich mir meinen Schein ab. Er sagte: guten Tag, mein Gretchen“ gab mir eine Feder damit ich meinen Namen einschreibe in sein Buch. Dann holte er noch die gedruckte Konf. Predigt u. ein Abzug von dem Bilde, wo er uns für Frl. v. Westernhagen photographiert hat. Dann nahm er meine Hand, drückte sie mir furchtbar und sagte mir noch vielerlei u. ermahnte mich auf dem Wege, der oft sehr unbequem aber doch zum herrlichen Ziele führte, zu gehen u. fragte mich, ob ich denn eine Jüngerin Jesu bleiben wollte. Zuletzt sagte er „Was du mir in Aussicht gestellt hast bekomme ich doch noch? Ich sagte „Ja“ hat es dich nicht zu sehr beim Abendmahl gestört“. Nein dann bedankte ich mich und ging hinaus. Als ich das erste mal bei ihm war fragte er mich noch „ob er mein väterlicher Freund sein sollte.“ Was ich natürlich bejahte. Dann fragte er noch: „Du hast doch sonst weiter keine Freundin mehr außer M. Struckberg ich sagte „nein“. Dann am Sonnabend als wir an der Saale waren trafen wir ihn. Martha u. ich u. wir gingen mit ihm spazieren u. fragten ihn, ob er uns nicht die Dreieinigkeit erklären könnte, wir verstehen es nicht recht. Dann erklärte er es uns eine ganze Stunde lang, dann brachten wir ihn nach Hause, ach er war süß. Am Sonntag war die Abschiedsfeier im Kindergottesdienst. Am Freitag danach der Rufverein bei Frau Pastor Wagner, welche auch reizend ist. Im Laufe der anderen Woche schrieb ich ihm einen Brief u. fragte ihn etwas. Am Abend war unsere I. Versammlung, wo wir feierlichst empfangen wurden, mit Blumen u. Gesang. Am Schluß kam Herr Pastors Bruder, ein Missionar aus Indien u. erzählte uns von den Aussätzigen. Beim Adieu sagen, sagte Herr Pastor: „Deine Frage konnte ich hier nicht beantworten, willst du einmal zu mir kommen, od. nein willst du es machen? Ich wurde furchtbar verlegen und blickte von einer Ecke bis zur anderen denn ich wollte doch nich zu ihm hin, wegen des versprochenen Briefes welchen ich nicht schreiben kann. Als er es merkte, daß es mir peinlich warsagte er: Na, na u. brummte etwas was ich nicht verstand. Grete Dienemann fragte er: „ob sie etwas von den Veilchen wußte welche in seinem Briefkasten waren“. Da sagte sie „ja ich und Grete Vogel waren es. Ich wartete unten auf meine Schwester u. bald nach ihr kam Pev er kam furchtbar schnell gegangen gab mir die Hand u. bedankte sich bei mir für den Veilchengruß. Was mit furchtbar peinlich war. Dann sagte er noch „komm mal mit“. „Die Frage die du mir heute schreibst kann ich dir nicht gleich schriftlich beantworten, ich muß erst etwas wissen. Willst du mal zu mir kommen? Ich wußte nicht was ich sagen sollte, so furchtbar peinlich war es mir. „Du möchtest doch eine persönliche Antwort haben? Ja sagte ich. „Na dann ja“ u. ich ging wieder fort. Wir brachten noch Marta nach Hause. In der Reichardtstr. trafen wir ihn noch einmal u. er sagte zu uns. „Gute Nacht“. Am anderen Tag also am Freitag den 12. April als ich von der Stadt nach Haus kam hatte ich einen Brief von „Pev“ mit der Antwort auf meine Frage. Der süße Mensch, also hat er ganz genau gemerkt wie furchtbar peinlich es mir war. Am Nachmittag an der Saale trafen wir ihn wieder er sagte „Guten Tag“ u. fragte mich: „Hast du meinen Brief bekommen? Ich sagte ja. Dann sah er mich so lange u. durchdringend an, daß ich fast vor Peinlichkeit zerging. Ich bedanke mich dann noch vielmals bei ihm. Dann fragte er ob wir noch Zeit hätten u. dann gingen wir noch mit ihm eine Stunde auf der Peißnitz spazieren. Ich schwieg meißtens, denn es iß mir so peinlich in seiner Gegenwart zu reden. Oh, es waren schöne Zeiten!
Die Schule hat wieder begonnen. Jetzt bin ich in der II. Klasse. Bis jetzt finde ich es grauenhaft. Lebewohl liebes Büchlein, ich habe mich mit dir verschwatzt. Wer weiß wann ich dich wiedersehe. Adieu!

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