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Tagebuch stauni
 1991-06-23 hh:mm
Leere Luxusschiffe, Loreley statt Mittagessen...
Sonntag, 23.06.1991
Heute waren wir mit dem Weckerklingeln aufgestanden. Wollten wir doch einen guten Platz auf der Schiffsfahrt von Koblenz nach Rüdesheim bekommen. Wie staunten wir aber, als ein Riesenschiff, der Luxusdampfer „Rheingold“, der etwa 900 Personen befördern konnte, an der Anlegestelle stand und nur ganze 25 Leute mit uns losfuhren. Unterwegs stiegen noch etwa 100 Personen zu. Eberhard meinte, die Fahrt kann eigentlich bei einem Preis von 32,- DM nicht rentabel sein.
Solch ein Schiff hatten wir noch nie gesehen. Wir kannten nur die meist überladenen Elbdampfer, die in die „Sächsische Schweiz“ fuhren.
Die „Rheingold“ blitzte nur so vor Sauberkeit. Die ganze Dekoration war farbig abgestimmt. Niemals hätten wir geglaubt, daß so ein reger Schiffsverkehr auf dem Rhein stattfindet. Der Fluß führte viel Wasser. Zillen, Dampfer und kleine Boote fuhren in kurzer Folge den Rhein rauf und runter. Wir staunten echt über diese Verkehrsdichte. Jetzt konnten wir uns auch vorstellen, wieso es des öfteren zu Unfällen auf dem Rhein kommt. Dicht am Ufer schlängelte sich durch Laub- und Mischwald die Eisenbahm entlang, um dann hin und wieder in einem der zahlreichen Tunnels zu verschwinden.
Wir wußten gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollten, denn auf beiden Seiten des Rheinufers sind Weinberge, schroffe Felsen und viele Burgen zu sehen.




Ausgerechnet kurz bevor das Schiff zum Loreleyfelsen kam, brachte die etwas nervöse Kellnerin das bestellte Mittagessen. Wir ließen es aber kalt werden und gingen aufs Deck, um bei den Klängen von Heinrich Heines „Loreley“ die Vorbeifahrt am Felsen zu genießen. Was war ein warmes Mittagessen schon gegen das Gefühl, was uns in diesem Augenblick erfaßte? Mir fiel dabei auch der Herzenswunsch meines Vaters ein. Er wollte so gern einmal eine Rheinfahrt machen, doch leider ist dieser Wunsch unerfüllt geblieben, da er schon 1982 verstorben ist.
Wie glücklich wäre er über die Entwicklung Deutschlands. Er hat immer gesagt, daß es nicht mehr lange dauern kann und daß eine Diktatur niemals lange bestehen wird.
Ach könnte er uns nur jetzt sehen, wie würde er sich freuen!

Im herrlich bunten Rüdesheim, wo man Menschen aller Kontinente treffen konnte, verging die Zeit wie im Fluge. Ein Gläschen Wein mußten wir in der Drosselgasse selbstverständlich probieren.



Die Rückfahrt konnten wir bei herrlichstem Sonnenschein auf dem Schiffsdeck genießen. Wieder setzten sich die Fahrgäste aus Ausländern und Ostdeutschen zusammen. Es ist so toll, daß diese stillen, bescheidenen Ostdeutschen, die vierzig Jahre eingesperrt waren, endlich all das ansehen konnten, was sie schon gar nicht mehr für möglich gehalten hatten. Keiner der Fahrgäste suchte das Gespräch mit Mitreisenden. Es schien so, als wollten sie alle nur einfach genießen und mal nichts hören von den „Ost-West-Diskussionen“ der zurückliegenden Monate.
Die sich überstürzenden Ereignisse der letzten Zeit müssen sich für alle Deutschen erst langsam setzen.

Am Abend schrieben wir Ansichtskarten an die vielen Verwandten und Bekannten, um auch ihnen Lust zu machen auf das wunderschöne Erlebnis des heutigen Tages.

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