Willkommen auf Tagtt!
Friday, 26. April 2024
Tagebücher » MI » News, Bilder, Videos - Online
Tagebuch MI
2005-04-18 10:44
Schön komisch
Es ist sicher schon ein halbes oder ein ganzes Jahr her. Da traf ich in dem Fahrstuhl, den ich morgens an der S-Bahnhaltestelle in B.-W. benutze, um mit dem Fahrrad vom Bahnsteig in die Unterführung zu gelangen, eine Frau. Ich überlege gerade, ob ich "junge Frau" schreiben sollte, oder "hübsche Frau", eine "Frau mit hellem blonden Haar und kleinen blauen Augen", oder vielleicht sogar eine "Dame", eine "Dame mittleren Alters", eine "junggebliebene Dame", etwas älter als ich es bin, geschätzt. Dabei genügt das völlig, wenn ich sage, ich traf dort eine Frau.

Und zwar traf ich diese Frau innerhalb einer Woche dreimal in diesem Fahrstuhl. Beim ersten Mal traf ich sie im Grunde nicht, denn ich kannte sie ja nicht, sondern wir benutzten halt nur beide zur gleichen Zeit diesen Fahrstuhl. Sie war etwas hektisch, mir fiel das gleich auf. Und sie drückte ein paar Mal auf den Fahrstuhlknopf, was aber irgendwie nichts bewirkte - was sie hektischer werden ließ. Ich glaube, ich habe ihr dann gesagt, sie solle mal den Knopf etwas länger drücken. Es hat aber immer noch gedauert, bis sich der Fahrstuhl dann endlich in Bewegung setzte.

Da diese Frau ebenfalls den Fahrstuhl benutzte, um nicht das Fahrrad die Treppe hinuntertragen zu müssen, waren wir zu zweit in diesem Fahrstuhl mitsamt zwei Fahrrädern. Es wird dadurch recht eng. Und als sich die Tür endlich schloß und sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, brach schließlich diese komische Stille über uns herein, die immer entsteht, wenn ich mich mit einem mir unbekannten Menschen in einem Fahrstuhl aufhalte. Diese Stille bekommt noch einen weiteren Beigeschmack, wenn ich den Menschen in irgendeiner Weise attraktiv finde.

Es lohnt sich freilich nicht, während der Fahrt ein Gespräch zu beginnen, weil sie viel zu kurz ist. Man bringt das halt schweigsam hinter sich, starrt gegen die Fahrstuhlwand, schließlich ist schon die untere Ausstiegstür zu erkennen, die Tür geht auf, die Räder werden rausgeschoben, und unten angekommen kann jeder aufatmen.

-

Es war nur ein paar Tage später, da wiederholte sich die Situation. Beide standen wir wieder mit unseren Rädern im Fahrstuhl und - er wollte wieder nicht richtig anspringen. Erst in diesem Moment fiel mir auf, daß ich mit genau dieser Frau vor ein paar Tagen schon einmal in genau dieser Situation war. Ich sagte: "Haben wir uns nicht schon einmal hier getroffen?" "Ja", lachte sie, "und da funktionierte der Fahrstuhl auch nicht". Da mußten wir beide lachen! Und ich fühlte mich ein bißchen geschmeichelt, weil sie sich an diese Situation offenbar besser erinnerte, als ich es in diesem Moment tat (normalerweise ist das immer umgekehrt, meine ich jedenfalls).

Schließlich setzte sich der Fahrstuhl doch noch in Bewegung und wir fuhren hinab in die Unterführung. Obwohl in gewisser Weise jetzt diese Stille nicht mehr da war, also diese anonyme Fahrstuhlstille, war es trotzdem still, sobald der Fahrstuhl fuhr. Wie gesagt, es lohnt sich einfach nicht, ein Gespräch zu beginnen, die Fahrt ist einfach zu kurz.

-

Wieder ein paar Tage später, oder war es gleich am nächsten Tag?, wieder die gleiche Situation...
Mir fiel jetzt auch auf, daß wir auch schon in der S-Bahn zusammen fahren, daß sie ihr Fahrrad in der S-Bahn unweit meines Fahrrades abstellt, daß sie nur eine Station nach mir einsteigt. Natürlich war das so, daß sie ihr Rad in meiner Nähe abstellte, denn auf diese Art und Weise steigt sie ja später direkt in Fahrstuhlnähe aus der S-Bahn aus, genau so, wie ich das auch tue.

Als wir schließlich wieder zu zweit in dem Fahrstuhl waren, zögerte ich erst gar nicht lange und sprach sie an, allein um nicht wieder in dieser Stille zu sein, die zwar kurz ist, aber ganz schön lang werden kann (und mit vielen Fragen versehen, wie: Warum sprichst Du sie denn nicht einfach mal an?). - Ob sie hier in W. arbeiten würde, fragte ich sie. Ihre Tasche hatte einen dicken ebay-Aufkleber, war mir auch schon aufgefallen. Sie sagte mir, daß sie bei ebay arbeiten würde. Das fand ich interessant. Ich erzählte ihr, daß ich bei ebay sehr viele Bücher ersteigern würde, daß das sehr praktisch wäre. Bücher? Das war neu für sie, daß über ebay eine Unmenge an Büchern über den Tisch geht. Digitalkameras, das wäre das große Geschäft.

Ob sie im Programmierbereich tätig wäre, fragte ich sie noch. Sie sagte, nein, sie wäre im Kundensupport. Reklamationen, Streitereien, FAQs, usw. Wäre sehr spannend, meinte sie. Es stellte sich heraus, daß wir auch hinter dem S-Bahnhof noch ein Stück gemeinsamen Weges haben, auf dem wir dieses Gespräch führten.

-

Von da an habe ich sie öfters morgens gesehen, oder wohl besser: auf sie geachtet. Ja, selbst auf die S-Bahn-Zeiten habe ich geachtet. Habe mir beim Einsteigen in die S-Bahn Gedanken gemacht, ob ich sie heute wohl sehen würde. Ob wir (wir...) uns sogar mal in der S-Bahn treffen würden.

So viele Gedanken habe ich mir gemacht, daß mir das schon wieder unangenehm, ja lästig, wurde. Denn eigentlich nutze ich die S-Bahn-Fahrt zum Lesen meiner Naturwissenschaftler-Biographien (das war ihr sogar aufgefallen, daß ich im Zug "immer lesen" würde). Diese Zeit ist mir heilig, ich würde sie nicht einmal für einen kleinen Flirt hergeben wollen. Dennoch war es bald mit mir soweit, daß ich erst dann in Ruhe lesen konnte, wenn ich an der Station, an der sie normalerweise einsteigt, vorbei war und sie nicht eingestiegen oder irgendwo weit von mir entfernt eingestiegen war.

Ich habe auch festgestellt, daß sie eher spät zur Arbeit kommt, denn ich sehe sie nur dann, wenn ich die Kinder mal zum Kindergarten bringe und dadurch auch später bin. Da das aber nicht mehr so oft vorkommt, sehe ich sie auch nicht mehr so oft.

Diese Fahrstuhlsituation hat sich entgegen aller... meiner Befürchtungen seit dieser kleinen Episode nicht mehr wiederholt. Genauer gesagt hat sich überhaupt nichts wiederholt und auch nichts fortgesetzt. Zum einen, weil ich diesen Situationen tendentiell ausgewichen bin, zum anderen, weil ich sie neuerdings nur noch am Bahnhof sehe (wenn ich sie sehe), aber nicht mehr in meinem Zug. Ich sehe sie dann nur noch mit ihrem Rad in den Fahrstuhl einsteigen, während ich gerade ankomme.

-

Heute morgen, als ich mit der S-Bahn in den Bahnhof einfuhr, sah ich sie wieder, wie sie gerade ihr Rad in den Fahrstuhl schob. Ich habe, da der Fahrstuhl ja weg war, mein Fahrrad die Treppe hinuntergetragen. Am Ende der Treppe steht man direkt gegenüber dem Fahrstuhl, nur die Unterführung liegt dazwischen. Die Türen gingen auf, als ich gerade mit dem Rad unten ankam.

Ich sah in den Fahrstuhl hinein, weil ich halt hineingesehen habe. Und sah, wie sie zu mir sah und sogar den Kopf reckte (sie war zu zweit im Fahrstuhl und der Vordermann verdeckte ihr die Sicht etwas), weil - so dachte ich in diesem Moment - sie mich sah und sich wohl - wie das in solchen Momenten schon einmal passieren kann - vergewissern wollte, ob das nicht der junge Mann war da vorne, den sie mal im Fahrstuhl getroffen hat und mit dem sie gelacht und einen kleinen Plausch gemacht hat und ihn dann nie wiedergetroffen hat.

So wie ich in den Fahrstuhl gesehen habe um mich davon zu überzeugen, daß die Frau, die ich gerade am Bahnsteig in den Fahrstuhl habe einsteigen sehen (genauer gesagt habe ich nur ihren Rücken gesehen und ihre Waden) diejenige war, die ich vor längerer Zeit einmal in diesem Fahrstuhl getroffen und mit ihr gelacht und einen kleinen Plausch gemacht und seitdem nie wiedergetroffen habe.

Das Leben ist komisch, komisch-schön.

MI


[Bild nicht gefunden]


Kommentare

15:59 21.04.2005
Hallo Lav, danke fuer deinen netten Kommentar! Gruesse, MI
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

21:06 19.04.2005
die Geschichte ist schön find ich.. ich les sie jetzt erst, weil du in deinem Eintrag von heute was drüber geschrieben hast :)
lange Texte sind natürlich im ersten Moment abschreckend.. aber mach doch ein paar Bilder dazwischen.. ich find da machts doch gleich mehr Spaß zu lesen, aber frag mich nicht warum.. :)
hmm bei mir war bisher auch in jedem Eintrag ein Bild..
also viele liebe Grüße!!
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

Kommentieren


Nur für registrierte User.

MI Offline

Mitglied seit: 02.04.2005
DE mehr...
Wirklich beenden?
Ja | Nein

2005-04-18 10:44