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Tagebuch c.
2016-02-08 21:38
Mister Silvester und ich - Die Fakten
Nun gut, zwischenmenschliche Beziehungen, solche von Wert, hatte ich seit Berlin eigentlich ziemlich abgehakt. Da waren die Kollegen, die cool waren, meistenteils, aber ansonsten nicht viel. Letztes Jahr, zu meinem ersten veganen Jubiläum, überlegte ich mir, dass ich doch gerne, wenn auch virtuell, ein wenig Austausch mit anderen Veganern und Vegetariern möchte (männlich wie weiblich, das war der Plan).

Und so landete ich, Wunder oh Wunder, auf einer entsprechenden Internetseite. Und tatsächlich habe ich dort ein paar Personen von Wert für mein Leben gefunden. Ob temporär oder langfristig, wird wohl die Zeit zeigen. Zwei Menschen halfen mir sehr durch die Krankenhauszeit, das Gefühl, einmal am Tag eine Nachricht ins echte Leben schicken zu können bzw. zu bekommen, war schon enorm wichtig für mich. Zu beiden habe ich auch immer noch Kontakt, aber was rein virtuell begann, ist immer noch rein virtuell und gut so für alle Beteiligten.

Und dann gibt es da noch diese dritte Person. Vielleicht ist er wichtiger geworden, weil wir in Sachen Gesundheit beide ein schlechtes 2015 hatten? Ich weiß es nicht. Damit das Schreiben über ihn einfacher wird, will ich ihn Mister Silvester nennen. Der Grund erklärt sich gleich.

Mister Silvester lernte ich also auch im Internet kennen und besonders während meiner Krankschreibung im Sommer schrieben wir recht viel hin und her und merkten, dass wir in vielen Dingen recht ähnlich ticken. Er hat Probleme mit seiner Schulter und ist deswegen seit September 2015 bis heute krankgeschrieben. Im November, lustigerweise an dem Tag, an dem ich auch wieder ins Krankenhaus ging, ist er operiert worden. Anfangs schien die OP die erwünschte Besserung zu bringen, aber seit Mitte bis Ende Dezember sind die Schulterschmerzen zurück und werden immer intensiver. Zusätzlich dazu fangen auch die Knie an, Probleme zu bereiten und über kurz oder lang steht da möglicherweise eine weitere Operation ins Haus.

Wir hatten es also beide nicht ganz leicht, gesundheitlich, im letzten Jahr und möglicherweise haben wir uns darüber angenähert.

Während meines so genannten Urlaubs Ende November telefonierten wir ein erstes Mal miteinander. Für mich, die ich eigentlich sämtliche Kontakte virtuell halten wollte, war das eine große Sache. Seitdem texteten wir. Teilweise extrem. Während meiner gesamten Zugfahrt vor Weihnachten texteten wir. Zurück in Berlin am Tag vor Silvester telefonierten wir wieder einmal, Silvester verbrachten wir dann gemeinsam. Am Telefon. Sechs Stunden.

Seitdem wurden die Telefonate immer zahlreicher, die Probleme größer und wieder kleiner und … Na ja … Unser Gefühlsleben wurde wohl auch ein wenig durcheinandergewirbelt.

Krisen über Krisen … Die Balance zu halten dazwischen, alle meiner Meinung nach wichtigen Fakten zu nennen und nicht zu sachlich zu werden …. Schwierig.

Kurz nach Silvester, da habe ich zum ersten Mal Angst bekommen, weil da ganz plötzlich sehr deutlich wurde, dass er mich wirklich mag und mich mehr als gerne jenseits des Internets kennenlernen würde. Ich war bis dahin fast noch immer fest davon überzeugt, dass er nur ein virtueller Freund für mich ist.

Es knallte … aus vielen Gründen. Zoff, Ärger, Stunk meine ich. Es knallte auch, weil er nicht nur meine Adresse, sondern auch Namen und Adresse meiner Eltern herausfand, was mir doch ein wenig unheimlich war.

Die Details sind im Grunde unwichtig, aber in letzter Zeit denke ich immer wieder gerne an meine Therapeutin und die Zeit in der Klinik zurück. Wie konnten diese Leute es eigentlich nicht sehen? Nicht, dass ich mir unbedingt einen Stempel aufdrücken möchte, aber … Was in mir vorgeht, das Verhalten, was ich an den Tag lege … Mir scheint es geradezu Textbook-Borderline zu sein. Ich weiß auch nicht … Schwierig.

Im Laufe des Januars wurde unser Kontakt also immer intensiver und während ich immer wieder bremste, war er absolut sicher, dass es bei ihm klick gemacht hatte.

Vielleicht waren die äußeren Umstände auch wirklich nicht ideal … Er mit den permanenten Schmerzen und der Zeit im Überfluss, ich, überfordert mit meinem Leben, dem Job, der Gesundheit, den Gefühlen, mit viel zu wenig Zeit für alles und jedes für sich ...

Jedenfalls … er weiß mittlerweile sehr gut über mich und meine Ängste Bescheid. Auch darüber, wo sie herkommen. Alle paar Tage gab es meinerseits kleine Zusammenbrüche.

Und dann seine Schnapsidee … Ende Januar war ich noch einmal zu Hause, um Geburtstag zu feiern. Und er scherzte, er wolle mich danach vom Flughafen abholen. Ich hatte ihm so oft gesagt, dass ich Zeit brauche, dass ich erst einmal wieder selbst zu mir kommen muss, ehe ich mich so richtig mit ihm und einem Treffen befassen kann. Ich hielt es für einen Witz, das Treffen am Flughafen. Ich hielt es für einen Witz, dass er sich Rohkostkuchen und Borschtsch ins Auto packen und nach Berlin fahren wollte, um mich am Flughafen zu treffen. Im Grunde hielt ich es noch für einen Witz, bis ich durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen ging. Im Wartebereich telefonierten wir und … da war mir klar, er würde tatsächlich in Berlin sein.

Und ich habe Panik bekommen. So richtig Panik. Der Flug war mies. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, weil ich so gar keine Zeit hatte, mich auf das Treffen vorzubereiten. An der Gepäckausgabe sah ich ihn, durch die Scheiben hindurch im Wartebereich. Und ich war nur noch Angst. Wie ein Tier in der Falle, so fühlte ich mich. Kurz überlegte ich, ob ich alternative Ausgänge finden könnte oder Leute bitten sollte, mich nach draußen zu eskortieren. Dann bot sich die Gelegenheit, halb versteckt hinter einem Pärchen hastete ich nach draußen, zielstrebig in Richtung Ausgang und hin zu den Taxis. Und ich habe nicht zurückgeschaut. Er hat mich nicht gesehen. Erst nach ein paar Nachrichten hin und her wurde ihm klar, was ich getan hatte. Und er fuhr wieder zurück nach Hause.

Abends telefonierten wir. Er leerte fast eine komplette Flasche Rum. Den Kontakt haben wir nicht abgebrochen, wie ich es unmittelbar nach der Flughafenaktion forderte. Auch in den darauffolgenden Tagen war er, wenn wir telefonierten, so absolut abgefüllt, dass es Angst machte.

Er und ich … bei allem, was sonst so im letzten halben Jahr passierte … Es war ein wilder Ritt von Null auf Hundert und zurück auf Null. Wir haben noch Kontakt, ja. Aber unsere Gespräche sind sehr oberflächlich geworden, persönliches klammern wir aus.

Und … auch hier ist, so denke ich, Zeit für einen Cut, einen dritten Text, denn … Die Fakten sind erzählt, aber nicht der Grund, weswegen ich eigentlich schreibe.

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