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Tagebuch c.
2016-02-08 21:54
Mister Silvester und ich - Das Jetzt
Und so, geneigter Leser, der du vermutlich diesen Eintrag zuerst lesen wirst, sei hiermit darauf hingewiesen, dass die Lektüre der beiden vorangegangenen Texte möglicherweise offene Fragen klären könnte. Falls du etwas dazu sagen möchtest … Es ist wohl der Wunsch nach einem Rat, der mich überhaupt dazu getrieben hat, all das aufzuschreiben. Und da ansonsten die zwischenmenschlichen Kontakte in meinem Leben immer noch nicht stattfinden, greife ich eben auf das gute,alte Schreiben im Internet zurück. Vorsicht, Klischeealarm!

Mister Silvester und ich also … Was da passiert ist, es war für mich nicht abzusehen. In all der Krankheit, dem Krankenhaus, den Nachwehen … Ich habe mich oft so dermaßen alleine gefühlt. Ohne echten Halt in meinem Leben. Ohne Liebe.

Und nach und nach kam er auf … in mir … Der Wunsch, geliebt zu werden. Bedingungslos. Mit all den Macken, die ich habe. Liebe schenken zu dürfen. Eins zu sein mit irgendwem.

Auf der Suche nach einem Weg aus der Erschöpfung habe ich mich auch erstmal mit verschiedenen Entspannungs- und Meditationstechniken befasst. Mit der Kraft von Mantren und dem Gesetz der Anziehung.

Nach all den Jahren, in denen jegliche Spiritualität, die ich je hatte, immer mehr dem Zynismus gewichen ist, ist es seltsam für mich, mich diesen Gedanken wieder zu öffnen. Aber ich glaube, das habe ich tatsächlich getan. In gewisser Weise habe ich mich wieder geöffnet. Dem Leben, der Liebe.

Und bei all dem, was in den wenigen Worten im vorherigen Text so wirr und chaotisch an der Geschichte von mir und Mister Silvester erscheint, war da auch etwas sehr Unbeschreibliches zwischen uns. Sehr, sehr viel Wärme. Zuneigung. In gewisser Weise wohl auch Liebe. Auch bei ihm hat das Leben tiefe Spuren hinterlassen und im Grunde ist er recht hoffnungslos gewesen. Aber ich glaube, wir beide haben gespürt, dass wir heilsam füreinander sein können, dass wir gemeinsam ein besseres Wir als jeder für sich ein einzelnes Ich sein könnten.

Es ist nur leider so schwierig zu vertrauen, wenn ringsum alles an einem reißt, wenn man körperlich nicht auf der Höhe ist, wenn man Angst hat, Zweifel.

Ich habe sicherlich größere Angst als er. Weil … mir so lange schon Vertrauen fehlt, besonders Vertrauen in mich selbst. Ein paar wenige Leser wird es noch geben, die mich fast während der ganzen letzten 13 Jahre begleitet haben. Sie können sich im Hinterkopf vielleicht dunkel noch an die Probleme im Elternhaus und das Chaos in meinem so genannten Liebesleben erinnnern.

Was sich in all den Jahren immer und immer wiederholt hat, war das Thema ‘Zurückweisung’. Zu kompliziert und kaputt für die Liebe, zu faul, undiszipliniert, rückradlos in den Augen der Eltern. Nie genug, nirgends. Weder zu Hause, noch draußen. Irgendein Makel störte immer.

Jedenfalls ist das das Gefühl, mit dem ich seit Jahren lebe. Das Gefühl von Wertlosigkeit und die Angst vor Zurückweisung, eben weil man nie genug ist, weil irgendetwas immer falsch ist.

Es gibt sie noch immer, diese Momente, in denen ich wünschte, ich wäre damals ins andere Extrem gekippt. In die Magersucht statt ins Übergewicht, weil ich glaube, dass beidem ähnliche Strukturen zugrunde liegen, aber schätze, mit einer Magersucht hätte man mich vielleicht eher Ernst genommen, statt mir Faulheit vorzuwerfen.

Das Krankenhaus, es war grausam und schon ein Turning Point in meinem Leben. Aber … mit all dem, was im letzten halben Jahr passiert ist, habe ich noch nicht wirklich viel unternehmen können. Bei der Blutuntersuchung hatte ich, da bin ich mir sicher, wirklich Rock Bottom erreicht. Der Tiefpunkt, körperlich und psychisch. Die Erschöpfung einerseits, der Gesamtzustand andererseits.

Auch wenn ich so bemüht war, immer noch dagegen anzugehen (und mit dem Gefühl, mehr zu wollen, als zu schaffen war, die Gesamtsituation eigentlich noch schlimmer gemacht habe), ging es einfach nicht vorwärts. Im Gegenteil, wie gesagt. Und so vor drei, vier Wochen …

Ich war wirklich so out of shape wie schon lange nicht mehr. Auch deswegen habe ich mich letztendlich für die Eiseninfusion entschieden, obwohl wirklich alle anderen dagegen waren. Jeder hatte Bedenken, auch auf Grund der enormen Nebenwirkungen, die sie mit sich bringen kann, aber ...

… ein halbes Jahr Zeit für mich, das wäre meine bevorzugte Alternativlösung gewesen, frei vom Job, von allen Verpflichten, nur Zeit für mich, um mir gut zu tun. Aber das kriegt man ja nicht so einfach. Deswegen war die Infusion die Lösung für mich. Um wieder so sehr zu Kräften zu kommen, um mich all meinen Baustellen neben den tagtäglichen Verpflichtungen widmen zu können.

Die Entscheidung war gut. Körperlich geht es mir gerade so gut, wie schon lange nicht mehr. Es ist ein Anfang geschafft. Yoga, Pilates und ein Trampolin für die körperliche Fitness. Reichliches, aber cleaners Essen für den Stoffwechsel.

Auch wenn ich noch Jahre brauche, um all die Schäden, die ich mir selbst zugefügt habe, zu reparieren, habe ich doch den Eindruck, endlich an einem Punkt zu stehen, wo es möglich ist. Dauerhaft.

Mit Mister Silvester und mir … Ihn zieht eine katzenhaftige Grazie an, von der mich noch Jahre trennen. Das ist mir bewusst, ihm aber nicht. Weil damit so viel Schmerz verknüpft ist, dass ich nicht einmal hier in diesem Text endgültig klare Worte finden kann, haben wir nie so richtig darüber gesprochen.

Ich bin nicht so verrückt, dass ich mir zum Ziel gesetzt habe, schlank zu sein, wenn wir uns zum ersten Mal sehen. Bis dahin dürften auch noch Jahre vergehen. Aber ich möchte mich einfach wieder in meinem Körper wohlfühlen und das zu erreichen dauert nun auch nicht mehr so lange.

Ihm habe ich immer wieder angedeutet, dass ich meinen Gesamtzustand erst einmal wieder auf die Reihe kriegen muss und ganz dumm ist er nicht, er ahnt, dass Übergewicht das Problem sein könnte.

Vor diesem Samstag am Flughafen (es war der 30. Januar, by the way) hat er immer wieder versucht, mir die Angst zu nehmen. Dass es nichts an meiner Person und an meinem Körper geben kann, was das ändert, was er für mich fühlt. Und ich glaube, das hat er auch so gemeint.

Aber jetzt?

Auch wenn er es versteht, das, was da am Flughafen passiert ist, wenn er neben meinen auch seine Fehler, seine Mitschuld an der Situation erkennt, war das wohl letztendlich ein ganz schöner Tritt in die Eier für ihn … Mit Anlauf.

Am Tag danach habe ich ihm eine lange Mail geschrieben und mich erklärt. Unterm Strich habe ich ihn darum gebeten, den Februar für mich haben zu dürfen, als Reset-Monat, um mich wirklich nur um mich kümmern zu können, damit wir im März dann vielleicht einen neuen Versuch starten können, uns um uns zu kümmern.

Auf diese Nachricht hat er mir nie geantwortet. Nicht so direkt. Wir haben zwar Kontakt, telefonieren noch regelmäßig, aber es ist anders. Zwischenzeitlich zucke ich zusammen, wenn er erzählt, wie er sich manchmal Leute warmhält, um ihnen später eins auszuwischen. Dann wiederum … versichert er mir auf meine Nachfrage, dass er seine Zeit nicht mit mir verbringen würde, wenn er mich nicht mehr mögen würde.

In der Nacht, als er vom Flughafen zurück wieder zu Hause war, sturzbetrunken und wirklich übel, übel drauf, hat er mir gesagt, tatsächlich gesagt, dass er mich liebt.

Und für all das, was bis zu diesem Tag zwischen uns war … Auch wenn es nie ausgesprochen wurde, auch wenn wir uns nie im echten Leben gesehen haben, aber es ist wenigstens mit großer Zuneigung zu umschreiben. Wenn nicht auch mit Liebe, aber vielleicht weniger der romantischen zwischen Mann und Frau, sondern mehr einer größeren, universelleren.

Und trotzdem bin ich so verunsichert, ich weiß nicht so wirklich, wie er zu mir steht, im Moment. Gestern fragte ich ihn. Erst schwieg er. Lange. Dann sagte er, es habe sich nichts geändert. Dann klagte er darüber, dass unser Kennenlernen grundsätzlich falsch verlaufen sei. Dass man sich erst treffen sollte, damit nicht durch das alleinige Texte schon Bande entstehen, die vielleicht zerbrechen könnten, wenn man sich sieht.

Grundsätzlich sehe ich das genauso, aber … zu dem Zeitpunkt, als ich mich noch angstfrei mit ihm hätte treffen können, war für mich noch klar, dass er ein rein virtueller Kontakt für mich bleibt. Dass sich die Dinge so entwickeln würden … Für mich war das nicht absehbar und je mehr sie sich in diese Richtung entwickelten, umso mehr hatte ich Angst davor, ihn zu sehen.

Tja … Und nachdem er vor nicht allzu langer Zeit noch davon sprach, über Körperlichkeiten hinaus zu sein, erwähnte er gestern, realistischerweise, zum ersten Mal auch wieder, dass körperliche Anziehung schon auch wichtig sei.

Nun schließt das eine das andere ja nicht aus. Nicht zwangsläufig. Manchmal fühlt man sich ja auch zu jemandem hingezogen, der normalerweise so gar nicht dem eigenen Typ entspricht. Aber ja … Angstlösend ist die Wahrheit natürlich auch nicht.

Ich weiß nicht, was er will. Ob er mehr oder weniger ganz mit mir abgeschlossen hat und nur noch ab und an mit mir telefoniert, weil er uns gut verstehen, verstanden haben. Ob das seine Art ist, mir den Freiraum, den ich mir für den Februar gewünscht habe, zu geben. Sicherlich hätten wir in diesem Monat nicht so weitermachen können wie im Januar, da war das Bremsen nahezu unumgänglich.

Ich weiß, ich muss mit ihm reden. Noch einmal. Ich müsste auch die schmerzhaften Dinge auf den Tisch packen und vom Kern meiner Angst erzählen. Dass ich, auf lange Sicht, in meinem Leben immer aus irgendeinem Grund zurückgewiesen wurde, zwar immer aus verschiedenen Gründen, aber das Ergebnis war dasselbe. Und dass ich fürchte, dass es bei ihm letztendlich meine Figur ist, die dazu führen könnte, dass trotz all der Zuneigung, die uns menschlich verbindet, auf der Mann-Frau-Ebene nichts passieren kann.

Wobei … Letztendlich … Auch das ist albern, irgendwo, denn es ist ja nichts, was nicht veränderbar ist. Es ist das Jetzt und er betont immer wieder, betonte, dass er mich genauso möchte, wie ich im Jetzt meiner Reise bin, weil alles, was zählt nicht Vergangenheit und nicht Zukunft sind, sondern nur das Jetzt ist.

Neben dieser meiner größten Angst habe auch ich Zweifel. Er ist kein Superheld, kein Übermann für mich. Im Gegensatz zu vielen anderen Leuten aus meiner Vergangenheit hebe ich ihn nicht auf ein Podest. Er ist ebenso sehr ein gebranntes Kind wie ich in so vielerei Hinsicht. Und ein Fakt, der uns in gewisser Weise trennt und der unabänderlich ist, ist das Alter. Uns trennen 15 Jahre, in 1,5 Jahren wird er 50 werden. Man merkt es ihm nicht an, in seiner gesamten Art ist er keinen Tag älter als die 38, die er vorgab zu sein, als wir uns kennenlernten. Aber … die Zahlen sind schon so hoch, dass auch ich gelegentlich schlucken muss, wenn ich an sie denke.

Er hat es seiner veganen Lebensweise zu verdanken, dass er locker für Anfang 40 gehalten wird, wenn er lächelt. Leider lächelt er selten und so sieht man ihm oft an, dass er tatsächlich vom Leben gezeichnet ist.

Es wäre verrückt, sich vor Oberflächlichkeit zu fürchten und dann selbst oberflächlich zu sein, oder? Es ist auch im Grunde nicht die Optik, die mir Sorgen macht, sondern viel mehr, dass wir in so unterschiedlichen Phasen unseres Lebens stecken.

In gewisser Weise stehe ich immer noch am Anfang und bin, auch wenn es mir aus dem Mund der Ärzte aus dem Krankenhaus oft wie blanker Hohn erschien, wirklich noch so jung. Ich hatte ein beschissenes Jahr 2015, in so vielerlei Hinsicht, aber … Mir bietet sich gerade die Chance, an vielen Baustellen zu arbeiten, es endlich auf die Reihe zu kriegen.

Und wenn seinen Ärzten nicht bald eine vernünftige Lösung für ihn und seine Schmerzen einfällt, dann … steht er wohl vor der Berufsunfähigkeit. Für ganz abwegig halte ich das nicht. Und das ist schon ein bisschen krass. Muss man so sagen.

Aber … Am Ende sind auch das nur Oberflächlichkeiten. Tabus, die die Gesellschaft vorgibt. Zweifel, die aus dem ewigen Gedanken nach dem “Was wäre, wenn ...?” geboren sind.

Was wäre, wenn …? Was wäre, wenn …? Was wäre schon, wenn? Niemand weiß das, man kann es eh nur bedingt beeinflussen. Nichts zählt, außer dem, was jetzt ist. Und ich glaube, wir könnten jetzt glücklich miteinander sein. Immer noch. Trotz allem, was gewesen ist.

Und genau das macht mich wahnsinnig.

Ganz oder gar nicht, geh’n oder bleiben, ganz oder gar nicht, du musst dich entscheiden …

Angst und Zweifel? Oder etwas Wagen? Noch vor zwei Wochen war ich mir so viel sicherer, dass ich gewinnen werde, wenn ich wage, als ich es heute bin. Trotzdem fehlte mir der Mut, zu springen. Ob ich es jetzt hinkriegen kann? Ich weiß es nicht.

Wahrscheinlich ist das Leben ganz einfach. Ab dem Moment, ab dem man aufhört, Angst zu haben. Ab dem Moment, an dem man nur noch im Jetzt ist. Mit sich und allem im Reinen.

Da möchte ich gerne hin. Aber davon bin ich noch weit entfernt. Wahrscheinlich muss man einfach eine Entscheidung treffen und bei ihr bleiben. Wahrscheinlich ist es so einfach.

Kommentare

15:38 11.02.2016
Hach ja ... Ihr Lieben ...
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06:18 10.02.2016
ich hab mich neulich auch gefragt, wie es dir wohl so geht..
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11:52 09.02.2016
Dass du ihn nicht auf ein Podest hebst, finde ich gerade gut!

Schon komisch... ich hab mich "gerade erst" wieder gefragt, wie es dir wohl geht...

*drück dich*
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2016-02-08 21:54