Karma
Gerade schlürfe ich eine Tasse heiße Schokolade. Das hochkarätige Kakaopulver hat Klara aus der Schweiz mitgebracht. Und eigentlich wacht sie darüber mit Argusaugen.
Da sie jedoch gerade mit Lissy in ihrem Zimmer sitzt und nichts merkt, gönne ich mir etwas davon.
Als kleine, stille Rache. Für so vieles....

Ich fühle deutlich, dass etwas in der Luft liegt.
Da ist etwas in der Schwebe...es schwelt unter der Oberfläche erzwungener Harmonie. Und ich glaube wirklich...der Ausbruch ist nicht mehr fern.

Vielleicht kommt es auch nur mir so vor. Aber diese Wohngemeinschaft mit Lissy und Klara scheint mir zu einem Kleinkrieg verkommen zu sein.

Am Freitag Mittag musste ich plötzlich an Aschenputtel und ihre bösen Stiefschwestern denken...und mit diesem Gedanken tat ich mir auf einmal selber sehr sehr leid.

.......
Ich schlurfe müde in die Küche und mache mir Kaffee. Klara ist natürlich schon seit langem wach. Klaras Lieblingsbeschäftigung ist es, sinnvolle Dinge ausfindig zu machen und zu tun. Und als allgemein sinnvoll gilt zu einer gesitteten Zeit aufzustehen.
Da ich zu solch gottloser Stunde erst aufstehe, versagt sie mir meistens ein "guten Morgen" und erweist mir nur die Gunst eines abfälligen "Hallo".
Während ich die Kaffeemaschine zum Laufen bringe, lehnt sie sich in den Türrahmen und mustert mich. Das Klingeln des Telefons hält sie davon ab, mir schon jetzt irgendwelche Dinge an den Kopf zu werfen und ich schaffe es mir während ihres Telefonats die Zähne zu putzen und mit meinem Kaffee in meinem Zimmer zu verschwinden.
Von draußen höre ich mehrmals "Ich sags ihr" und schon nähern sich Klaras Schritte meiner Tür.
"Kannst du den Flur bitte gleich wischen? Die Lisa kommt bald heim und, wenn da noch nass ist, kann sie nicht rein."
Ich antworte, dass ich gerade noch meinen Kaffee fertig trinken werde und mich dann direkt an den Flur mache.
"Ach und wolltest du das Paket nicht heute wegschicken?"
(Das Paket ist der Router, den wir an die Telekom zurückschicken müssen. Eigentlich eine Aufgabe, die jeder von uns erledigen könnte. Aber in unbequemen Fällen ist es wieder MEIN Router und die Tatsache, dass wir ihn zu dritt nutzen, ist nebensächlich)
Ich sage: "Nein, wollte ich nicht."
Klara sagt: "Wieso nicht? Der muss innerhalb von 14 Tagen zurück geschickt werden. Und jetzt ist es schon fast ne Woche her."
Sie gibt sich damit zufrieden, dass ich dies am Montag erledige.

Später stehen wir abfahrtsbereit mit unseren Koffern im Flur, bereit unser Gepäck die fünf Stockwerke runterzutragen und heimzufahren. Ich habe bereits einen Fuß aus der Türe als Klara mich anweist vorher noch den Müll runterzubringen (Wer Flurdienst hat, ist auch für den Müll verantwortlich). Ich sage, dass ich das jetzt nicht tue, da ich beide Hände mit meinem Gepäck voll habe.
Dann solle ich doch zweimal gehen.
Ich bin über mich selbst erstaunt, dass ich immernoch nein sage. Damit riskiere ich eine Klara-Diskussion, die kein Ende nimmt.

Am Samstagabend schickt mir Klara eine Nachricht. Sie muss ihr Auto zum Tüv bringen und wir müssen deswegen mit dem Zug zurück fahren.
Oder?
So teuer sei Zugfahren doch nicht...
Oder?
Patsch ! Patsch! Zwei mal kracht ein imaginärer Zaunpfahl gegen meinen Schädel.
Übersetzt heißt das: dein Vater hat dich doch bisher jedes Mal nach Mainz gefahren...jetzt kann er auch mal fahren und uns mitnehmen. Du hast eh gesagt, dass du kein Geld mehr hast, also ist das doch auch SINNVOLL für dich.
Aus plötzlich aufkommendem Trotz (ich bin noch immer sauer wegen dem Müll, dem Paket und dem Flur) tue ich so als hätte ich die Zaunpfähle nicht bemerkt.

Zur Strafe verkündet mir Klara später: "Wir fahren um 16 Uhr."
Das ist 3 Stunden früher als sonst.
Lissy möchte sich noch zum Lernen treffen.

Da ich beschlossen habe mich nicht mehr blind Lissys allmächtigem Willen zu fügen und weil ich so früh noch nicht zurück will in unser mainzer Irrenhaus, sage ich mir sei es zu früh. Ich würde später fahren.
"Was hast du denn für einen Termin?"
Ich: wieso...was für einen Termin?
Klara: "Weil du sagst, dass du länger zu Hause bleiben musst..."
Wir lernen also: man sollte schon einen driftigen Grund haben, um sich Lissys Regeln zu widersetzen.
Wie wenig sinnvoll es doch ist aus niederen Beweggründen später zu fahren.

De facto fährt mich wieder mein Dad . Seit der Konflikt mit den zwei Grazien am Schwelen ist, fährt er mich jedes Wochenende zurück nach Mainz. Bisher hatte Klara nämlich immer großes Gezeter gemacht, dass sie mich einfach so in ihrem Auto mitfahren lässt. Und sie hat schon horrende Summen Benzingeld von mir verlangt.
Nun....als ich in die Wohnung komme, finde ich sie menschenleer vor.

Später stellt sich heraus, dass Lissy und Klara essen waren.
Soll ich es bereuen, dass ich nicht mit ihnen gefahren bin? Bestimmt.
Es drängt sich nur die Frage auf wann sich Lissy demnach zum Lernen getroffen haben will.

Irgendwann kommt Klara ohne anzuklopfen polternd in mein Zimmer.
Ob ich mit dem Zug gefahren sei.
"Nein, mein Vater hat mich gefahren."
Warum ich denn nichts gesagt habe.
"Warum sollte ich was sagen?"
Sie hätten ja dann noch mehr Sachen von daheim mitbringen können.
(wie wenig sinnvoll, dass ein Auto nur mit mir und meinem Koffer nach Mainz fährt)

Wahrscheinlich hätte ich diese "Sachen" dann auch eigenhändig die fünf Stockwerke hochschleppen dürfen. Die Damen waren ja schließlich essen als ich ankam.

Eine Weile später höre ich einen leisen Tumult im Bad. Würgegeräusche. Klara hängt über der Kloschüssel. Offensichtlich war das Hühnchen im "Asia-Express" nicht mehr ganz so genießbar....



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