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Tagebuch pitoresk
2008-04-30 13:00
U-Bahn-Fahren ist Menschenzoo
Es dürfte zehn Jahre her sein. Ich steige gelangweilt, aber geschniegelt in die U-Bahn, weil ich auf dem Weg zur Arbeit bin. An der Station Zoologischer Garten rennt plötzlich ein junge Frau rein. Der Schaffner ruft ZURRRÜCKBLEIBEN, die Türen schließen sich. Die junge Frau im Abteil, die gerade so sportlich den U-Bahn-Zug betreten hat, zeigt auf einen älteren Herren auf dem Bahnsteig nach draußen und ruft lautstark und sehr aufgeregt: "der da, der da, der hat mich gerade unsittlich berührt!"

Alle Insassen des Untergrundzuges sind urplötzlich still und irgendwie peinlich berührt. Irgendwie sollte man zu diesem Vorfall wohl Stellung beziehen, sich auf die Seite der betroffenen Frau stellen, nur irgendwie fallen mir keine passenden Worte, kein passender Gesprächseinstieg ein. Es herrscht eine unangenehme Spannung im Zug, keiner scheint sich nur mal Luftholen zu trauen. Ein Mann nimmt stellvertretend für uns alle seinen ganzen Mut zusammen und erlöst uns von dieser peinlicher Stille, in dem er sagt: "ja, so ist das im Leben. Immer wenn man angefasst werden will, fässt einen keiner an. Und wenn einem jemand anfässt, dann hat man gerade keine Lust."

Die Bemerkung hat, philosophisch betrachtet, sicher was Richtiges. Dürfte allerdings in dieser Situation nicht so ganz stimmig sein und der Gefühlslage des weiblichen Opfers gerade nicht aus der Seele sprechen. Die reagiert dementsprechend empört auf die Äußerungen unseres Peinliche-Stille-Auflösers: "Typisch Mann, ihr denkt doch alle nur immer an das Eine". Der angesprochene Mann bemerkt nun seinen Fehler in der Wortwahl, ändert seine Strategie und probiert es mit einfühlsamen Worten: "Glauben Sie mir doch, ich stehe voll und ganz auf ihrer Seite. Was da eben passiert ist, ist natürlich nicht in Ordnung. Aber der Zug ist abgefahren, Sie sind hier in Sicherheit. Nun beruhigen Sie sich doch."

Die anderen Frauen, so meine ich zu erspüren, solidarisieren sich aufgrund ihrer veränderten Körperhaltung nun mit dem unzüchtig berührtem Mädchen, das sich selbst nach diesen beruhigend wirkend wollenden Sätzen immer noch völlig aufgelöst ist. Ihr Groll richtet sich nun gar nicht mehr gegen den Täter auf dem Bahnsteig, sondern gegen den Mitreisenden im Zug, der sich so selbstopfernd für uns alle im Abteil die moralische Position vertrat. Sie sagt: Pah, Männer. Geben Sie es doch zu, Sie würden sich doch freuen, wenn ich sie jetzt zwischen den Beinen anfassen würde."

Der Mann ist nun seinerseits sichtlich entrüstet und antwortet: "Nein, da würde ich mich nicht freuen - ich bin nämlich schwul!" Es bricht große Heiterkeit im Zug aus. Ich gestehe auch ich konnte mein Lachen nicht länger zurück halten. War wohl eine Paradebeispiel für missglückte Kommunikation, was soeben ablief. Das weibliche Opfer beschimpft nun in einem Rundumschlag nahezu alle Anwesenden, die den fahrenden Zug ja nicht verlassen können und somit müssen wir eine Hasstirade nach der anderen über uns ergehen lassen.

Endlich fährt der Zug in den nächsten Bahnhof ein und das komplette Abteil verlässt den Waggon. Diese Geschichte hier wird mir wirklich niemand glauben, denke ich auf den Weg zur Arbeit, der heute etwas länger ist, da ich extra eine Station weiter gefahren bin, damit mir auch ja nichts von diesem interessanten Schauspiel entging.

Das Leben schreibt eindeutig die besten Geschichten, sowas kann mich sich gar nicht ausdenken.

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Kommentare

19:51 30.04.2008
aber du bist ja ganz schön sensationslüstern, daß du extra eine Haltestelle weiter fährst p
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19:50 30.04.2008
mein Eindruck: so ganz "dicht" war die angefaßte aber auch nicht ...
da ich selber auch mal etwas ähnliches erlebt habe ... aber leider keine Ohrfeige verpassen konnte, weil der schon weg war, danach hab ich alles mit mir selbst ausgemacht ... und keinem davon erzählt ...
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13:34 30.04.2008
:D ...
Naja...missglückte Kommunikation (bzw. Reaktion) ist doch immernoch besser, als es gar nicht erst zu versuchen...^^ Finde ich jedenfalls. ;)
Alles Liebe!
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2008-04-30 13:00