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Tagebuch pitoresk
2008-06-26 11:29
Bauchzulage
Arbeitsloser an Gott, Arbeitsloser an Gott. Bitte hören. Was soll ich bloß mit meinem Leben anfangen? Wie, das muss ich selbst herausfinden? Da bin ich nun schon im vierten Jahrzehnt auf diesem Erdball und habe schmächlicher Weise immer noch keine rechte Ahnung davon, wofür ich ein Talent besitze, was mich wirklich dauerhaft begeistern könnte und du, lieber Gott, verschränkst einfach deine Arme vor der Brust, siehst genüsslich zu, wie ich an mir selbst verzweifle - sehe ich da etwa ein Grinsen in deinem Gesicht?

Nun habe ich in den letzten Monaten folgendes Experiment unternommen. Ich trete bis zu vierzig Kilometer am Tag in die Pedale meines Fahrrades und steuere stets einen neuen Ort an, der mir bislang unbekannt war: so war ich kürzlich das erste Mal in der Berliner Kanalisation bei einer unterirdischen Führung durch die hauptstädtische Unterwelt, das erste Mal in einem Swingerclub, habe mich das erste Mal mit einer Frau getroffen, die per Internetinserat ihre Ansprüche an einen Mann formulierte und bin das erste Mal auf die Spitze des Berliner Funkturms gefahren, was man als Tourist machen würde, wo man als Berliner jedoch niemals hingehen würde. Schließlich trifft man hier ausnahmslos stolze Dialektsprecher, deren Wortwahl einem unter Umständen vollständig unverständlich und fremd bleibt, obschon es sich ja genauso um die deutsche Sprache handelt.

Mein Swingerclub-Besuch interessiert euch sicher nicht die Bohne, mein Stelldichein mit der Annoncen-Ehefrau, die dringend eine außereheliche Äffare suchte, sicher ebenso wenig. Deshalb verschone ich euch damit. Auf einem anderen Portal habe ich meine Erlebnisse in aller Ausführlichkeit beschrieben, um es zu verarbeiten und mir vor allem klar zu werden, weshalb Leute in Swingerclubs flitzen und weshalb Ehefrauen, sie war Zahnarzthelferin, wöchentlich mit einem anderen Mann ihre sexuellen Bedürfnisse ausleben wollen. Die Antwort: Selbstbestätigung finden und nach Möglichkeit in eine Art kurzfristigen Rausch verfallen, den andere Menschen zum Beispiel mit Hilfe von Alkohol erzielen. Ich kam zu dem Schluß: eigentlich auch nur eine Ersatzhandlung, weil man nicht so genau weiß, wonach es einem tatsächlich dürstet. Und in dieser Form der Unentschiedenheit fühle ich mich mit ihnen verbunden - nur half mir das nicht weiter. Es tröstet aber immer sehr Menschen zu treffen, die ähnlich suchend sind, die sich auf ähnliche Art und Weise abzulenken versuchen. Zwar nicht durch alkoholische Betäubung, sondern durch körperliches, sexuelles Ausagieren, um in der körpereigenen, hormonellen Endorphin-Ausschüttung zu baden und sich in damit in einem temporären Gefühlsüberschwang zu versetzen. Nach dem Alkohlrauch wie nach dem sexuellen Rausch bleibt jedoch nur Leere ... und die kann unerträglicher sein als jede andere Forum der Verzweiflung, der Einsamkeit und des Alleinseins.

Beim fahrradfahrenden Beobachten von einheimischen und touristischen Großstadtmenschen fielen mir immer wieder Bäuche in die Augen. Ja, es ist erschreckend. Ich muss eingestehen, dass ich zeitweise den Leuten zuerst auf den Bauchumfang stierte und erst dann ein paar Etagen höher aufblickte. Ihr merkt, endlich komme ich zum Kernthema meines heutigen Kommentars: wieviel Bauchzulage gönnt sich der Einzelne? Natürlich ist dies auch eine Menschentyp-Frage, warum sonst sind die meisten Frauen in helfenden Berufen eher füllig? Natürlich manifestiert sich die Lebenseinstellung auch körperlich. Und ist der Körper nicht viel schwerer zum Lügen fähig als man mit Worte Menschen falsche Tatsachen unter die Nase reiben kann? Aber natürlilch können auch Körper lügen, was in gewisser Weise Schauspieler perfektionieren, weil sie vor allem mit ihrer Körpersprache gekonnt Gefühle darstellen, die sich uns sofort unbewusst erschließen.

Wir brauchen mehr Bauchgefühl in unserem Land. Vergesst die ständig neuen Geldzuwendungen an ausgewählte, streng kontrollierte Bedürftige, gebt dafür allen das Recht auf eine staatliche zu beantragende Bauchzulage. Wir brauchen hier ganz dringend mehr Gefühl. Mehr Gefühl für den eigenen Körper, mehr Gefühl für die eigenen Bedürfnisse und mehr Mitgefühl für den Mitmenschen, Nachbarn, Kollegen. Es fehlt Deutschland nicht an Moneten. Wir brauchen mehr Gefühl im Bauch, der sich nicht am Körperumfang misst, sondern an Sensiblität im Umgang mit anderen und mit sich selbst.

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Kommentare

19:14 03.07.2008
Hallo Pitoresk, willkommen zurück. Freue mich von dir zu lesen. Marianne_im_Glück bringt es auf den Punkt.
*streicheleinheit, streicheleinheit* Kopf hoch, es geht wieder einmal vorwärts.
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unbekannt
17:09 29.06.2008
Schön Dich mal wieder zu lesen, Du Dinge-analysier-und-auf-den-Punkt-bring-GOTT!


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unbekannt
13:03 29.06.2008
Du machst mir da etwas vor ... ich werde mir an Deinen rädlichen und sonstigen Aktivitäten (außer Swingerclub ))) ein Beispiel nehmen ...

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11:52 26.06.2008
uffa... als ich bauch gelesen habe, habe ich meinen Bauchumfang kontrolliert. *seufz*
Ich sollte auch viel Fahrrad fahren - aber das kann ich nicht.

Gefühl hab ich - ich kann ja mal Deutschland ein wenig über die grenze schicken.
Grüssle
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2008-06-26 11:29