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Tagebuch Tyche
2006-08-23 20:15
Schultütentag
Oma kam zu Mama. Wir trafen Papa vor der Kirche. Er trug eine blaue Jeans, braune Schuhe, kariertes Hemd, darüber ein braunes Sakko. Ich bin zwar erst sechs, aber ich wunderte mich trotzdem über die vielen Leute und vor allem über die große Kirche. Bevor ich mit Papa, Mama, Mamas Schwester und Oma in die Kirche ging, versuchte ich jedem von ihnen meine Schultüte, die ich keine Lust hatte zu tragen, in die Hand zu drücken, denn der ungewohnte Schulranzen auf meinem Rücken nervte schon genug. Mama war wie immer sehr darauf bedacht, dass ich mich ordentlich benehme vor den Augen der anderen. Papa allerdings machte ihr einen Strich durch die Rechnung und ich amüsierte mich sehr, lies es mir aber nicht anmerken, denn ich bin ja erst sechs und in diesem Alter lacht man über andere Dinge. Doch ich weiche vom Thema ab. Die Profifotografen bitteten uns vor die Tafel mit der Aufschrift " Mein erster Schultag". Daneben stand so etwas wie ein Maulwurf oder Igel, wohl damit ich mich kindgerechter behandelt fühlte. Papa stand erst etwas abseits, wurde dann vom Profifotografen zu mir gerufen. Jetzt stand er neben mir. Jetzt rief der Profifotograf noch die Mama. Bevor der Profifotograf den Fehler machte, meinen Papa darum zu bitten seinen Arm um die Taille seiner Mama zu legen, weil er dachte Mama und Papa streiten nie, forderte er meinen Papa auf seinen Kragen zu richten. Papa fing an ungelenk an seinem Sakkokragen rumzuwurschteln. Dann wurde es dem Profifotografen zu bunt, denn er musste ja noch mehr Zwerge wie mich schulbetütet und elternumrahmt auf Geld bringenden Fotos festnageln. Also, der Profifotograf machte zwei schnelle Schritte auf Papa zu, der nicht wusste wie ihm geschah, und richtete ihm den Hemdkragen. Papa konnte gerade noch hören wie eine Mutter sagte, er würde es alleine nicht hinkriegen
Mein Papa gerichtet standen wir da und nur einen Moment später waren wir digitale Bilddateien.
Mama sprach noch kurz mit dem Profifotografenassistenten, der das Geld eintrieb. Ich nutzte die Gelegenheit mich an Papas Bein anzulehnen und mein Gesicht an selbiges zu schmiegen, was Mama, als sie es sah, als eine weinerliche Geste meinerseits interpretierte und mich abrupt von Papas Bein wegzog. Papa nahm es wie immer mit Fassung.
Dann also gingen wir in die Kirche. Mich interessierte vor allem die Glocke und ich wollte wissen, wo sie denn hing. Dieses Interesse schien allerdings nur Papa mit mir teilen zu wollen. Die anderen, Eltern und Kinder, starrten nach vorne, wo etwas stand, das ich nicht kannte. Mein Papa sagte mir, dies sei ein Altar, konnte mir aber auch nicht so richtig erklären, wozu dieses mit Figuren bestückte Ding gut sein soll. Plötzlich fingen vor dem Altar welche an zu reden und zu singen. Ich hopste bei meinem Papa auf den Schoss, um mir ein besseres Bild von dem Spektakel zu machen.
Schließlich sollte ich mit der lästigen Schultüte nach vorne gehen. Vor diesen komischen Altar standen wir dann, wir, die Schulkinder und ein Mann sagte etwas zu uns. Es wurde noch ein Song vorgetragen. Die Eltern sollten irgendwelche Bewegungen machen, machten sie aber nur halbherzig und dann war das Lied zu Ende und ich war froh, dass ich den Altar hinter mir lassen durfte. In dem unglaublichen Gewusel fand ich zuerst Papas Hand und wir verliessen alle die Kirche. Schade, ich hätte gerne die Glocken gehört, aber irgendwie schien dies nicht wichtig zu sein.
Papa lies noch ein paar Fotos machen von sich und mir und Mama und dann verschwand er auf irgendeiner Toilette. Er hatte uns nicht verraten, dass er heute morgen schon viel zu früh aufgewacht war und sehr viel Kaffee getrunken hatte und nun unter einer Konfirmandenblase litt, die mir noch bevorsteht. Erstmal Einschulung, dann Konfirmation. Eins nach dem anderen sag ich mir.
Papa holte uns ein auf unserm Weg zur Schule und machte noch ein paar Fotos mit seinem neuen Bildapparat, auf den er so unheimlich stolz ist.
In der Aula der Schule angekommen, pflanzte ich mich mit meinen zukünftigen Klassenkameraden und Klassenkameradinnen auf ein paar Turnbänke. Alle waren aufgeregt,vor allem die Eltern und Großeltern, und wuselten um uns herum mit ihren Kameras und Cams. Keiner fragte mich, ob diese blöde Schultüte mich nerven würde oder, ob er mir den Ranzen abnehmen könnte. Irgendwie war mir nicht ganz klar, worum es hier eigentlich geht. Nun gut, die Erwachsenen werden es schon wissen. Ist nicht mein Problem. Papa trat hinters Rednerpult. Ich fürchtete, er würde jetzt einen seiner berühmt, berüchtigten nie enden wollenden Vorträge halten. Zum Glück machte er nur ein Foto aus der Rednerpultperspektive.
Ich bin in der Schmetterlingklasse, die 1 A. Was für ein Glück. Ich durfte mit meiner Klasse und meiner zukünftigen Klassenlehrerin zuerst ins Klassenzimmer flüchten vor den vor Stolz triefenden Blicken der Elternmassen. Mein Papa nahm mir die Schultüte ab und so befreit maschierten wir ab. Ich habe kurz zuvor noch mitbekommen wie ein hysterischer alter Opamann meinen Papa aufforderte die Digicam-Ich-will-mein-Enkel-fotografieren-Blickrichtung freizumachen. Mein Papa duckte sich schnell und ich wusste, was er dachte, denn ich kann Gedanken lesen. Die Erwachsenen schmunzenln immer ein bißchen, wenn ich dies behaupte, aber mein Papa glaubt mir. Doch mein Papa ist auch nicht wie die anderen, das könnt ihr mir glauben.
So wird mein Papa auch nicht überrascht sein, wenn ich seine Gedanken verbreite. So wunderte er sich beispielsweise über viele andere Papas, die vor vielen Jahren mit meinem Papa auch Schultüten in die Schule trugen. Mein Papa sah diese Papas, die nun ihren eigenen Papas von damals glichen. Die Autohaussöhne von damals waren jetzt Autohauspapas geworden. Hotelbesitzersöhne waren jetzt Hotelbesitzerpapas usw. Ich fragte mich wessen Sohn mein Papa damals war und mir fiel nichts ein. Vielleicht weil ich erst sechs bin oder vielleicht wegen etwas anderem.......
Wie gesagt, ich verschwand mit meinen zukünftigen 1A.-Klassenkameraden-innen und meine zukünftigen Klassenlehrerin im zukünftigen Klassenraum. Ich setzte mich in die zweite Reihe links, gesehen von der Klassenlehrerin, an den Gang. Neben mir war ein Platz frei und dann saß da ein Junge in Anzug und Fliege, wie ich finde ein bißchen overdressed, wie es auf neudeutsch heisst (falls sich jemand fragt, woher ich diese Wörter kenne: von meinem Papa) aber noch zierlicher als ich. Und ich habe schon ein Problem mit meiner Größe. Alle sagen zu mir, ich sei der kleine N. ( ich darf den Namen hier nicht ausschreiben), was mich total nervt, aber, wie gesagt, der overdressed-Klassenkamerad der Zukunft war noch zierlicher als ich und so durfte er in meiner Nähe Platz nehmen oder vielleicht nahm ich auch neben ihm Platz. Das weiss ich nicht mehr so genau.
Schließlich war die erste Schulstunde endlich zuende und wir sollten die Stühle hochstellen. Ich machte es verkehrt, ich war auch ziemlich müde, aber nur mein Papa sah, dass ich ständig gähnte. Er war es auch, der meine Mama zurückpfiff, als sie schon zu mir laufen wollte, um mir zu sagen, dass ich den Stuhl falsch auf den Tisch gestellt hätte. Mein Papa rief sie zurück, indem er ihr sagte, dass würde er schon früh genug lernen. Außerdem sei es doch egal wie die Stühle auf den Tischen stünden (Papa redet auch immer im Konjunktiv; finde ich gut).
Papa redetete dann noch mit einem alten Schulfreund. Sie waren sich einig, dass sie nicht mehr viel wüssten von ihrem Schultütenritual, dass sie aber das eine oder andere Mosaiksteinchen in ihrem Erinnerungskästchen gefunden hätten, die, zusammenfügt, ein nicht schlechtes Erinnerungsbild abgeben könnten. Ist mir aber auch egal. Papa hat jedenfalls viel fotografiert und, wie ich ihn kenne, merkt er sich auch viel und außerdem hege ich den Verdacht, dass er alles Mögliche aufschreibt, denn als wir in Bremen waren, holte er eines Abends plötzlich eine florale Kladde hervor und fing an mich aufzuschreiben. Ich sagte an diesem Abend, das wäre so ein schöner Tag und ich fügte noch hinzu, dass es auch ein schöner Morgen werden würde, weil er mir auf meine Frage, ob wir noch länger in Bremen bleiben würden eine bejahende Antwort gab und nicht mit einem von mir vermuteten "Mittelnein" antwortete. Papa schrieb mein "Mittelnein" auf und ich fragte ihn, ob er denn Tagebuch schreiben würde. Er wich aus, indem er mich fragte, wie ich denn auf das Wort "Mittelnein" gekommen sei und ich antwortete, ihn in dem Glauben an wiegend, ich hätte nichts gemerkt:: " Papa, ich erfinde manchmal neue Wörter". Und, ihr werdet es nicht glauben, auch diesen Satz, glaube ich, hat er in seine florale Kladde geschrieben.
Nun muss ich aber meine Einschulungsgeschichte beenden. Seid mir nicht böse, aber morgen, so sagen die Erwachsenen, beginnt der Ernst des Lebens. Ich finde es gar nicht so ernst und mein Papa auch nicht. Ihr wisst ja, ich kann Gedanken lesen. Ich geh da einfach hin und gut. Ich tue so, als wenn ich Schreiben und Lesen lernen würde. Dass ich es schon kann, wisst nur ihr. Dass ist unser Geheimniss. Wenn ihr es nicht verratet, werde ich noch mehr Geschichten von der Schule und von meinem Papa erzählen.

Gute Nacht

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leben 

Kommentare

17:42 24.08.2006
Also mein Paps hat mir die Frage beantwortet mit, er wäre im Himmel und wie er aussieht? Hm...gibt einige Bilder von ihm, aber ich kenn auch niemanden, der ihn schon getroffen hat. Falls ich ihn treff, sag ich dir Bescheid wie er aussieht
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17:36 24.08.2006
Danke, danke für den Glückwunsch, ich werde Papa auch noch mal fragen, wo Gott denn ist? Er redet irgenwie immer drum rum. Er kann mir auch nicht sagen, wie er aussieht.
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16:56 24.08.2006
Dieses Figuren bestückte Ding soll ein Platz sein, der uns die Nähe Gottes besonders deutlich macht. Darum stehen die Figuren drauf, meist hängt/steht auch irgendwo ein Kreuz und es liegt eine Bibel drauf.
Und wenn du bitteten statt baten schreibst, möge einem 1. Klässler verziehen sein, das lernst du ja erst später. Erklärt dir Papa aber bestimmt auch gerne.
Glückwunsch zum 1. Schultag !!!
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11:10 24.08.2006
Danke Cläre. Ich werde es meinem Papa erzählen, dass du mich gelobt hast, wenn du erlaubst.
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unbekannt
10:59 24.08.2006
Welch Talent! Wunderschön erzählt.

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Tyche Offline

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Ja | Nein

2006-08-23 20:15