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Tagebuch staunistauni
 1977-12-02 hh:mm
Das viel gepriesene sozialistische Gesundheitswesen


I
m September 1977 war nun auch Elviras Jüngster zur Schule gekommen. Bei ihm lief es nicht ganz so leicht wie bei seinem großen Bruder.

Dirk war immer sehr schnell müde und litt öfters unter Migräne. Ein Lernen außer den obligatorischen Hausaufgaben war bei ihm einfach nicht drin. Nach einer Untersuchung bekam Elvira von seiner Ärztin ein Attest, in welchem bescheinigt wurde, dass man sie zur besseren Betreuung ihres Sohnes verkürzt arbeiten lassen sollte. Dieses Attest musste nun jedes Jahr neu von der Ärztin bestätigt werden.

Jetzt begann für Elvira eine wirklich schöne Zeit. Endlich hatte sie etwas mehr Zeit für ihre Familie und musste sich nicht mehr so abhetzen, um bis Ladenschluss alles eingekauft zu haben. Die ganze Familie war in dieser Zeit etwas ausgeglichener und es schien, dass sich die Lage endlich wieder normalisiert hätte.

Da kamen wieder andere Sorgen. Alfred Schrader, der in den letzten Jahren an beiden Augen operiert worden war, sowie zwei künstliche Hüftgelenke eingesetzt bekommen hatte, quälte sich seit Wochen mit Gallenbeschwerden. Er stand auf der Liste für eine dringendste Operation. Seine Frau musste jeden Tag im Krankenhaus anrufen, um zu fragen, ob ein Bett frei sei. Leider war nie eines frei und so kam es dazu, dass die Gallenblase von Alfred platzte und er sofort zur Notoperation abgeholt wurde. Alle bangten um das Leben des Vater und Elvira lernte das Beten wieder.

Nach achtstündiger Operation sagte der Arzt: „Ihr Vater hat die schwere Operation erst mal überstanden. Ob er es schafft, wird die Zeit bringen. Von einhundert Operierten überleben höchstens zehn. Ihr Vater ist aber nicht mehr der Jüngste.“ Helmut als Atheist meinte, „Wenn Vati das übersteht, dann glaube ich an Gott!“ Das Wunder passierte, Vater hatte überlebt. Alle waren sehr glücklich.

Anschließend kam aber eine schwere Zeit. Der Operierte, auch als Gesunder nicht gerade gewichtig, war fast zum Skelett abgemagert. Nachdem er auf der Intensivstation gut versorgt worden war, wurde er auf die normale Station verlegt. Er war sehr schwach und konnte noch lange nicht aufstehen.

Als die Familie ihn Weihnachten besuchte, stand auf seinem Nachtschrank ein festliches Essen. Ein Stück Gänsebraten, Rotkraut und Kartoffeln. Daneben lag ein harter Lebkuchen und ein kleiner Schokoladenweihnachtsmann. Alfred Schrader sagte zu seinem Besuch: „Es riecht so gut nach dem Essen, aber ich kann mich ja nicht mal alleine rumdrehen, um an den Teller zu kommen. Außerdem würde ich das Essen nicht vertragen, ich kann doch momentan nur Brei essen.“ Die Versorgung lief unter dem Motto: „Friss oder stirb!“ Die Familie versorgte ihn dann mit mitgebrachtem Essen.

Außerdem beklagte sich der Kranke darüber, dass er seit Tagen nur oberflächlich gewaschen worden sei. Die Füße hatten, seit er von der Intensivstation kam, noch kein Wasser gesehen.

Lotti hob die Decke hoch und alle Besucher trauten ihren Augen nicht.

Schnell besorgte Elvira eine Schüssel, nahm seine Seife und wusch ihn erst einmal gründlich und verschnitt ihm die Nägel.

Die Versorgung im Krankenhaus war unter aller Würde. Eine Ärztin empfahl Lotti Schrader: „Wenn Sie Ihren Mann schnell wieder gesund haben wollen, dann nehmen Sie ihn am besten mit nach Hause!“ Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und so wurde Alfred Schrader heimgebracht. Da es in dem Krankenwagen eiskalt war, gab Alfred dem Pfleger noch etwas Trinkgeld, damit er ihn mit einer Decke zudeckte.

Nach diesem Meisterstück dieses so viel gepriesenen sozialistischen Gesundheitswesens konnte Elvira nicht umhin und schrieb wieder mal an den Staatsrat. Dieser Sache wurde tatsächlich nachgegangen und im Krankenhaus änderte sich einiges.

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1977-12-02 hh:mm