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Tagebuch Loewin
2005-04-16 12:56
Autorschaft
15.04.05
Über die Assoziation meines gefühlten Autorschaftsbegriffs mit Selbstzerstörung

Der Autor meiner Vorstellung ist meist männlich und zelebriert sich selbst als Genie sowie Träger einzigartiger Schmerzen. Seine Texte entstehen aus dem Schmerz, er blutet sie auf das Papier. So entstehen ja oft Gefühlsgedichte: eine Person will ihr Leiden verarbeiten, also schreibt sie/er ein Gedicht drüber. Dem entsprach meine Vorstellung früher sehr genau. Ich konnte mir kaum denken, wie auf andere Art wertvolle (!) Texte entstehen könnten. Die Betonung des Begriffes „wertvoll“ ist wichtig. Damals machte ich diesen Unterschied ganz bewußt; was jedoch das intellektuelle Damals ist, ist durchaus das emotionale Jetzt – auch wenn wir uns intellektuell längst von einer Vorstellung oder Ansicht gelöst haben, mag sie uns emotional noch stark prägen, vielleicht stärker, als sie es täte, wäre sie nicht ins Unbewußte verschoben worden.
Mein Autorschaftsbegriff also steckt tief in mir. Der Autor (oder auch Künstler) ist überhaupt nur ein solcher, wenn er leidet. Er kann auch nicht konstruktiv mit seinem Leiden umgehen, denn dann verlöre er seine Selbstdefinition, die über das Leiden abläuft, und er verlöre seine Einzigartigkeit. Seine Einzigartigkeit ist ihm das Wichtigste überhaupt. Sobald er sich irgendwie anpaßt, hat er das Gefühl, nichts mehr wert zu sein. Sein Selbstwert liegt darin, jemand ganz Besonderes, ein ganz besonderer Künstler zu sein, auf keinen Fall „gewöhnlich“. Er weigert sich, zuzugeben, daß auch andere auf dieselbe Art leiden könnten wie er: sie könnten ja dann dasselbe Werk schreiben, und das würde das seinige negieren.
Das Schreiben ist für ihn ein schmerzvoller Prozeß auf drei Arten: Einmal, weil das Werk aus Schmerz entsteht, Schmerz also seine Voraussetzung ist. Dann, weil es ihn schmerzt, auf das leere Blatt/ den leeren Bildschirm zu sehen und er sich unfähig fühlt, ihn würdig zu füllen. Er ist perfektionistisch und korrigiert sich ständig, so daß er schwer in einen Schreibfluß kommt. Leider ist sein Ideal des Autors aber das eines Menschen, aus dem der Text ganz automatisch fließt, ein Naturgenie, dessen Produktion gleich perfekt ist. Er sieht am leeren Bildschirm, daß er selbst nicht in sein eigenes Ideal paßt und haßt sich dafür. Daraus entsteht Schmerz, wenn er noch nicht da war; ansonsten vergrößert er sich. Diesen Schmerz beschwört der Autor herauf als gerechte Strafe für sein Versagen. Das Versagen ist für ihn kein einmaliges und nur auf diese Tätigkeit bezogenes - solches partielle Versagen kennt er nicht. Er ist immer absolut. Ein Versagen, gerade in der Tätigkeit, die er für die wichtigste hält, dem künsterischen Schaffen, bedeutet für ihn den absoluten Verlust von Selbstwert. Er fühlt sich als Dreck, der bestraft werden muß. Entsprechend umfassend ist der Schmerz, den er heraufbeschwört. Der Schmerz lähmt ihn und sein Schaffen: er bleibt gefangen in der ewigen Selbstumkreisung und dem Lamentieren über sein Leiden.
Manche Manifestaionen dieses Autorbildes haben ein körperliches Gebrechen, daß ihnen die nötige Strafe im Voraus bietet und ihnen eine gewisse Läuterung verschafft. Die anderen müssen auf verschiedene Methoden der Selbstzerstörung zurückgreifen. Da sie Intellektuelle sind, loben sie insgeheim zwar den Mut und die Ästhetik aktiver Selbstverstümmelung (auch Selbstmord, der gilt ihnen viel, sie schreiben ja auch darüber); meistens nutzen sie selbst aber subtilere Methoden wie Rauchen und Trinken oder Konsum anderer Drogen. Die tun nicht weh und haben dazu noch Stil. Die Strafe dabei aber geht weit: Selbstvernichtung. Denn nun muß zusätzlich noch bestraft werden für die Furcht davor, sich selbst echten körperlichen Schmerz zuzufügen, und etwas muß getan werden gegen den inneren Schmerz, der entsteht, wenn der äußere verweigert wird.
Hier bin ich bei Überlegungen zur Selbstvernichtungstendenz angelangt, die, so glaube ich, noch einmal andere Ursprünge und Auswirkungen hat als das Streben nach Schmerz – darauf stoße ich in diesem Umfang erst jetzt. Dem wäre nachzugehen – leider habe ich keine Zeit mehr, jetzt noch weiterzuschreiben.

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Kommentare


unbekannt
17:14 19.05.2005
Ich wollte nicht die Vier explizit erwähnen, weil andere sie beschrieben haben, und sie damit meine eigene Beschreibung einengen würde. Außerdem habe ich die Vier hier um einige Aspekte erweitert, um andere verkürzt.

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17:12 19.05.2005
äh ja. irgendjemand. das war ich.
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unbekannt
17:11 19.05.2005
Genau. Deshalb will ich diesen inneren Ekstatiker nicht verbannen, obwohl ich ihm widerstehen muß, wenn ich andere nicht verletzen will - eine Gradwanderung. Du kennst das.

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unbekannt
22:49 11.05.2005
Für mich ist das der charakterliche Aspekt der VIER. Es ist lange her, dass du mir die VIER offenbart hast, und ich habe es zunächst abgestritten. Mittlerweile sehe ich etwas klarer: Es ist der ewige Drang, meine Andersartigkeit (Extravaganz ;)) kundzutun und der Zwang, trotz meines ausgeglichenen Wesens (DREI?) in allem das Extreme, Dualistische, Emotionale, Paradoxe und Irrationale zu sehen. Du weißt, wozu dies gerade letzte Woche geführt hat und du bist eine von wenigen, die wohl verstehen können, dass ich nicht anders konnte. Das ist es, was mich zum Künstler, Ästheten und Ekstatiker macht.
Mein innerer Dionysos.
http://museum.speyer.de/de/histmus/sammlungen/roemer/asset?name=bild_absatz_1


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