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Tagebuch CharlieB
2008-12-21 09:03
Besuch im Altenheim
Der Tag ist jung. Draußen herrscht noch das Zwielicht gepaart mit einer eigenartigen Unruhe über die Welt; als ob diese noch einmal Luft holt, um endlich zu starten.

Ich sitze hier an meinem Labtop, das Licht zeigt mir die Tastatur im kalten Licht. Hin und wieder nehme ich einen Schluck Kaffee und erinnere mich. Erinnere mich an den Abend vor gut einer Woche:

Kontrastleben Teil 1: Ausgebremste Kindheitserinnerung (Besuch im Altenheim)

„Und du meinst wirklich, die haben hier noch einen Weihnachtsmarkt?“ frage ich meine Frau. Ich habe Hunger und überhaupt keine Lust, sie mit ihrem Spielmannzug zum Altenheim zu begleiten. Natürlich begrüße ich diese Aktion, natürlich. Doch ich empfinde halt immer etwas Unbehagen, wenn ich solche Häuser betrete... genau wie Krankenhäuser.

„Es sieht nicht so aus, als sei hier noch ein Weihnachtsmarkt“, antwortet meine Frau.
Na prima, dann gehe ich halt mit. Also schultere ich meine Kamera, die ich für einige Schnappschüsse mitgenommen hatte, und gehe mit ihr zum Treffpunkt vor der Eingangstür. Dort standen schon die anderen, alle in ihren roten Uniformen. Ich mag keine Uniformen, beschneiden die Individualität. Wir drücken die Tür auf und betreten eine andere Welt.

Kaltes Neonlicht umgibt uns, schlagartig ist es still. An den Wänden und in den Ecken stehen vereinzelt Menschen, schauen uns mit großen Augen an. Ich senke meinen Blick und folge der Truppe. Es geht durch kalte Flure, mein Blick erhascht hier und da Bilder an den Wänden, die Szenen aus der Welt außerhalb dieser Mauern zeigen. Wir betreten einen großen Raum, der weihnachtlich geschmückt ist. Hier ist das Licht angenehmer, etwas wärmer und dunkler.

Es begrüßt uns eine Dame mittleren Alters, die uns auf ein Raum hinweist, der etwas abseits liegt und Kaffee und etwas zu essen bereit hält. Dort stärken wir uns erst mal. Dann geht es wieder zurück, der Raum ist mittlerweile mit Menschen gefüllt. Die meisten sitzen in ihren Rollstühlen. Einige werden an Sauerstoffgeräten angeschlossen, ein anderer liegt in seinem Rollstuhl, total verkrampft, nur die Augen scheinen lebendig. Immer mehr Menschen werden durch den Fahrstuhl in dieser Ebene gebracht und nach und nach hereingeschoben. Ich vermeide Augenkontakt, schaue zu Boden; fange an, meine Unsicherheit mit lauter Stimme und lockeren Scherzen zu überspielen. Dann aber packe ich nach und nach mit an, schiebe die eine oder andern in den Raum, spreche zu ihnen, beobachte.

Nach einer kleinen Pause, ich befinde mich noch im Saal, wird der Spielmannzug von der Sprecherin angekündigt, und unter Applaus kommt dieser herein und geht zur kleinen, weihnachtlich geschmückten Bühne. Dort nehmen sie Aufstellung und beginnen mit ihren ersten, für mich so typischen, Liedern.

Ich beobachte die alten Menschen. Einige schauen zur Bühne, viele jedoch scheinen gar nicht zu begreifen, wo sie hier sind, und was das hier soll. So meine Einschätzung. Dann jedoch beginnt die Musikertruppe Weihnachtslieder anzustimmen. Da wacht das Publikum auf; immer mehr Augen richten sich zur Bühne, die Augen werden plötzlich... klarer, füllen sich mit Leben und Erinnerungen. Und dann... fangen sie an, mitzusingen. Ich lasse meine Kamera sinken, nehme die Situation in mich auf. Es ist schwer zu beschreiben. Ich schaue in die einzelnen Gesichter dieser alten Leute und sehe... Kinder. Kinder, die plötzlich wieder Zuhause bei ihrer Familie sind und Weihnachten feiern. Sie befinden sich in einer Zeit, weit entfernt von hier, sehen Menschen, die es nicht mehr gibt. Sie lachen, sie klatschen in den Händen, freuen sich...

Später verabschieden wir uns auf dem dunklen Parkplatz voneinander und wünschen frohe Feiertage. Hand in Hand schlendere ich mit meiner Frau durch die Dunkelheit, Stille umgibt uns. Jeder von uns hängt seinen Gedanken nach. Ich drehe mich um und sehe, wie die Lichter des Altenheims immer kleiner werden. War das dort meine Zukunft, die ich gesehen habe?

Ich werde alt, da geht kein Weg dran vorbei. Jeder Tag, der vergeht, nähere ich mich dem Datum, der in einer ungewissen Zukunft, auf meinem Grabstein stehen wird, und ich kann nichts dagegen tun.

Mir ist plötzlich bewusst, wie gut es mir geht. Meine Frau ist neben mir, wir beide gemeinsam meistern das Leben. Ich drücke ihre Hand, sie lächelt mich an, errät meine Gedanken. Für einen kleinen Augenblick scheint die Zeit stillzustehen, schenkt uns eine Atempause. Ich bin dankbar dafür...

Kontrastleben Teil 2: Suche nach Verdrängung (Beobachtungen in einer Tabel-Dance-Bar) demnächst...

Kommentare

11:40 21.12.2008
Hin und wieder erwachen wir wohl alle mal kurz aus unserem jetzigen Leben und fragen uns sorgenvoll was da wohl noch kommen mag. Das einzige was dieses "Erwachen" mit sich bringen kann ist wohl, dass wir den Moment voll wahrnehmen und genießen und erkennen, dass wir das genießen sollten was wir im Augenblick festhalten dürfen... Wunderbar geschrieben!
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unbekannt
09:36 21.12.2008
*freudiglächel*...danke...

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09:14 21.12.2008
Ach charlis, du tust mir wirklich sehr gut. Inzwischen betrachte ich dich auch als Freundin, die mein Leben bereichert.
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unbekannt
09:12 21.12.2008
Was soll ich sagen, lieber charlie? schön, einmal wieder deine worte zu lesen und einmal mehr unglaublich gut eingefangen...wenn du mit deiner kamera bilder, emotionen, situationen so einfängst, wie du es mit worten tust, dann bist du ein begnadeter fotograf....sehr schön...danke

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