Zusammenbrüche
Als meine Welt begann Stück für Stück zusammenzubrechen, war ich etwa 11 Jahre alt.

Ich und meine beiden liebsten Freundinnen waren gerade in die neue Schule gekommen. Und plötzlich fing alles an sich rasend schnell zu verändern.
Die älteren Jungs wurden interessant. Und meine Freundinnen Romy und Angela änderten sich sehr...ich wusste nicht wie ich damit umgehen sollte.

Ich erinnere mich noch an den letzten Abend einer Klassenfahrt. Wir wollten eine "Klassenparty" veranstalten.
Und ich war allen Ernstes das einzige Mädchen, dass pünktlich im Gemeinschaftsraum erschien.
Die anderen waren noch oben in den Zimmern, steckten sich die Haare hoch, schminkten sich und zogen sich kurze Röcke an.
Ich fühlte mich wie fehl am Platz...

Richtig schlimm wurde es allerdings erst, als wir Schwimmunterricht bekamen.

Ich weiß gar nicht mehr wer damit angefangen hat, doch auf einmal hatte sich fast die gesamte Klasse gegen mich verbündet. Wobei das zu viel gesagt ist. So wichtig war ich ihnen nicht.
Sie waren sich nur alle auf einmal einig, dass ich fett wäre. Und die, die mich nicht damit ärgerten, hielten sich doch zumindest zurück.
Wie zum Beispiel Romy und Angela, die beide ihren Ruf nicht gefährden wollten, indem sie mich in Schutz nahmen.

Und ich gab ihnen allen Recht.
Plötzlich nahm ich meinen Körper wahr, der mir vorher ziemlich egal gewesen war.
Ich zupfte an meinem Bauch herum, sah mir meinen Po vor dem Spiegel an...und fand mich unansehnlich.

Die Sache weidete sich aus.
Von klein auf hatte ich schon immer lange, lockige Haare.
Als kleines Mädchen hatte ich sie unheimlich schön gefunden. Doch jetzt, mit 11, 12 Jahren fand ich sie schrecklich. Sie ließen sich in keine Form bringen und was ein Pony hätte sein sollen, war vielmehr ein dichtes Gestrüpp.

Und da ich ja so furchtbar hässlich war, versuchte ich so gut es ging mich unsichtbar zu machen.
Ich hatte oft den Gedanken, dass die Leute mich abstoßend finden mussten, wenn sie mich sahen.
Und so trug ich immernur ganz sackartige Sachen und hatte grundsätzlich einen Pferdeschwanz. Meinen Pony bändigte ich mit unendlich vielen Haarspangen, damit keine einzige Locke mehr hervorschaute.

Aber keiner gönnte mir die Unsichtbarkeit.
Ständig wurde ich darauf hingewiesen, dass ich fett war. Dass ich hässlich war.

Richtig schlimm wurde es, als die Sache mit Romys älterem Bruder anfing.
Bei Romy und Angela standen die Freunde von Romys großem Bruder hoch im Kurs. Die älteren Jungs fanden das aber höchstens witzig, glaube ich. Gegen Romy sagten sie nichts. Angela bekam ein paar dumme Kommentare ab, wegen ihrem schlechten Modegeschmack.
Tja und ich...obwohl ich mich nie bemerkbar machte, bekam auch was ab.

Sie lachten über meine Haare und erfanden hässliche Worte für mich. Eines davon war "Traktorface". Es klingt so hässlich, dass es mir sogar peinlich ist, dieses Wort ins Diary zu schreiben.
Irgendwie wurde ich ihr Lieblingsopfer.

Ich erinnere mich noch, wie ich mich auf die Osterferien freute, weil ich so 14 Tage Pause vor ihren Angriffen hatte. Ich wollte mich nur zu Hause verkriechen, damit niemand mich sah.

Einmal sollten wir für ein Schulfest einen Tanz vorführen. Dafür sollten Pärchen gebildet werden...welcher Junge mit welchem Mädchen tanzen sollte, wurde ausgelost.
Den Jungen, der mein Los gezogen hatte, hörte ich sagen : "Toll...war ja klar, dass ich wieder die Niete ziehe..."

Ich weiß gar nicht wieso...aber damals....hab ich niemals geweint.
Ich hätte so viel Grund gehabt, aber ich musste nicht weinen. Ich hab es als normal angesehen.
Ich war ja hässlich. Ein richtiges Monster. Da war das doch nur natürlich, dass alle so auf mich reagierten.

Mit der Zeit ebbten die Kommentare ab.
Etwa als ich 14 war hörten sie auf.
Aber die Schüchternheit konnte ich nicht ablegen. Diese Gedanken konnte ich nicht vergessen. Ich fand mich immernoch hässlich. Und fett.

Und so lebte ich weiter in meiner eigenen Welt. Und war froh, wenn man mich wenigstens in Ruhe ließ. Nur nicht mehr diese Worte hören...

Das Schlimmste ist aber wohl, dass niemand wusste wie es in mir aussah, weil es mir viel zu peinlich war.
Nicht einmal meinen Eltern erzählte ich davon. Ich schämte mich zu sehr.