Tiefpunkt?
Gestern hat mich jemand nach dem Tiefpunkt meines Lebens gefragt. Ich konnte ihm keine Antwort geben. Klar, manchmal hab ich auch schlechte Laune und fühl mich einfach nur total mies, aber das ist doch dann kein Tiefpunkt. Das ist normal. Ich kann wirklich nicht sagen „Dann und dann, als das und das passiert ist, das war der Tiefpunkt.“ Ich weiß aber auch so generell nicht, wann es mir das letzte Mal richtig mies ging. Oder habe ich so ein verdammt glückliches Leben? Wenn ich hier durch die Tagebücher surfe und mir den einen oder anderen Eintrag durchlese, dann komm ich mir mit meinen Problemen, oder dem, was für mich Probleme sind, total lächerlich vor. Mein Leben läuft so, wie ich das will, ich bin total zufrieden und wenn mal etwas nicht so läuft wie ich das gerne hätte, bin ich meistens selber dran Schuld (zu wenig Selbstdisziplin und so weiter). In der Schule läuft alles glatt, ich bin der Liebling aller Lehrer, ist kein Wunder bei einem Schnitt von 1,33 die halten mich wahrscheinlich für den Oberstreber, dabei mach ich ja fast gar nichts für die Schule, nur Hausaufgaben und hin und wieder mal ein Referat. Ich komm mit den meisten Leuten super klar, die anderen sind mir mehr oder weniger egal, aber Feinde hab ich nicht. Meine Familie ist super, wir haben voll das gute Verhältnis zueinander alle. Ich hab halt alles, was ich will (nur auf die große Liebe, da warte ich noch drauf). Das ist mir aber letztens schon mal klar geworden, als ich bei Sarah war.
Wir kennen uns ja noch nicht so lange und dann hat sie ein bisschen was erzählt von ihrer Familie und so. Und die tut mir echt so Leid! Ihre Eltern leben getrennt, die Mutter hat einen neuen Freund, der sie total fertig macht, die Mutter im übrigen auch, und sie kann sich dann anhören, wie schlecht das der Mutter geht und ihr selber hört keiner zu, wenn sie mal jemanden zum Reden braucht. Ich hab mir vorgenommen, für sie da zu sein. Da kommt meine verkümmerte soziale Ader mal zum Vorschein. Sie hat es echt nicht leicht, denk ich mal. Dann kommt auch noch der Augenkrebs dazu, den sie als Kind hatte, seitdem hat sie rechts ein Glasauge. So, auf den ersten Blick scheint sie recht gut damit klarzukommen, aber das ist bestimmt eine andere große Belastung für sie. Ich hab ihren Personalausweis gesehen, auf dem Foto dreht sie sich voll weg von der Kamera, damit man das nicht so sehr sieht. Ich hätte den Fotograph für das Foto verklagt. Als Fotograph hat man eine Ausbildung und kann so was einschätzen, wie man jemanden zu fotografieren hat. Aber das ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls sollte ich den ganzen Tag lachend durch die Gegend springen, ich kann mich echt nicht beklagen mit meinem Leben...