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Friday, 26. April 2024
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Tagebuch Vielliebchen
 1895-04-04 hh:mm
Heute morgen war wieder Handar...
Heute morgen war wieder Handarbeit. Johanna Becker war auch da, sie kam mir auch so komisch vor u. setzte sich auch gar nicht, wie sonst neben mich. In der Pause nun sagte sie „nun berichte einmal, wie ist denn alles gekommen, seid ihr euch wieder gut.“ Ich gab ihr aber keine Antwort darauf, sondern sagte „ du, ich glaube, Thietz ist mir böse.“ Sie sagte, nein, er habe nur zu gern gesagt „ er fürchtete, ich habe ihn nicht gern gehabt u. habe ihn auch noch nicht gern.“ Sie will Horn einmal fragen, weßhalb er nicht zu uns gekommen ist u. s. w. Als wir aus der Stunde kamen, kam Stedman die Bahnhofstr. her u. grüßte, dann ging er auf die Post u. kam uns dann nach. Er wandte sich auch wieder nicht an Boba, dann kam er aber auf meine Seite u. sagte, er habe eine Bitte, ob er uns heute Mittag photographieren dürfe. Wir hatten nichts dagegen u. er kam nach 2 Uhr zu uns. Ich empfing ihn, dann wollte ich Mutter rufen, fand aber zu meiner größten Freude, daß kein Mensch sich in dem gesamten Stock befand, als wir beide. Ich ging zurück zu ihm, sagte, daß, wenn ich schriebe wie der unter B. S. Ehren Creitst schreiben würde. Dann sagte ich ihm auch noch, wenn er mir den letzten Brief wiedergäbe, wolle ich ihm schreiben, sonst nicht. Ich erzählte ihm auch noch, daß ich mich so nach ihm gesehnt habe u. daß ich an seiner Liebe gezweifelt u. sonst noch alles mögliche. Er hielt immer meine Hand in der seinen u. küßte sie. Dann sagte er, er hätte mir auch etwas mitgebracht. Er zog ein Couvert heraus, darauf stand „Immer Du.“ Ich machte es auf u. da kommt ein reizendes Ding heraus zum


Aufhängen, lauter aneinander gebundene Veilchenblätter von Papier (geformt wie Veilchenblätter), darauf verschiedne Blumen u. auf der Rückseite ein Gedicht. Ich bedankte mich sehr dafür u. er küßte mir wieder die Hand. Ich will das Gedicht aufschreiben, es ist ganz reizend.

Immer Du!
I. An wen ich denke, willst du wissen?
Mein schönes Lieb, ich denke dein,
Du nimmst mit deinem Blick, dem süßen
Mein ganzes Sein u. Sinnen ein.
II. Nach welchem Stern ich sehnend schaue,
Wo tausend strahlen klar u. hell?
Dem Aug’, das unschuldsvolle blaue, (grüne)
Ist für mich alles Lichter Quell.
III. Wenn meine Blumen meine Lieder?
Du Schelm erriet’st es lange schon.
Ich leg’ in Demut Alles nieder
Vor diesem Anmut holdem Thron.
IV. Von wem ich träume? Kannst du fragen?
Du bist mein Traum in stiller Nacht,
Man träumt ja stets, das laß dir sagen,
Von dem, was man zuletzt gedacht.
V. Für wen ich bete, soll ich nennen?
Damit du keinen Zweifel hegst,
So laß dir schüchtern denn bekennen
den teuern Namen, den du trägst.
VI. Und all mein Wünschen, Hoffen, Sehnen,
Was mich erfüllt an Lust u. Pein,
Des Glaubens Kraft, des Zweifels Thränen,
Schließ ich in diesen Namen ein.
(Helene Krüger)

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Das Gedicht habe ich erst gegen Abend oben in meinem Zimmer gelesen, denn ich mußte doch endlich Mutter rufen. Dann waren wir noch einen Augenblick allein u. sprachen nur gleichgültige Dinge. Boba wurde auch gerufen u. als es aufhörte zu schneien, es war nämlich sehr rauhes Wetter, gingen wir in den Garten zum Photographieren. Zwei Bilder, worauf wir beide sind u. dann noch jeder alleine. Er blieb noch bis gegen 6 Uhr. Ich sang ihm noch zwei Lieder. Boba holte Mutter um St. Adieu zu sagen u. da waren wir dann wieder für einen Augenblick alleine. Er küßte mir nochmal die Hand u. sagte, vergiß mich nicht ganz. Wenn Paul an Stedmans Stelle gewesen wäre u. es wäre noch 2 Jahre früher gewesen, dann hätten wir uns anders geküßt, wie nur auf die Hand. Aber es ist besser so. Wie er weg war, mußte ich mich noch anziehen, um mit meinen Schwestern an die Bahn zu gehen u. Papa abzuholen. Auf dem Rückwege begegnet uns Stedman noch einmal, er führ 629 ab. Thietz war auch heute nicht da, er ist bös u. mir ist es ganz recht. Wenn Stedman aus den Ferien zurückkommt u. er hat mich noch lieb, dann erzähle ich ihm alles. Aufrichtig muß ich sein, sonst kann keine Liebe bestehen.

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