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Tagebuch pitoresk
2008-04-23 11:24
mit dem Brötchenteig Fußballspielen
Es war einmal vor sehr langer Zeit. Ich hatte mit Ach und Krach meiner gymnasialen Laufbahn ein zertifiziertes Ende gesetzt. Und ich wollte nur noch eines: weg vom ständigen begreifen müssen mit dem Kopf, hin zum Be-greifen mit den Händen. Also entschloss ich mich zu einer Bäckerlehre trotz Abitur.

In der Theorie war der Gedanke sicher nicht ganz falsch, aber in der Praxis war es im Grunde genommen der blanke Horror. Die Herren Kollegen in der Backstube waren recht einfach strukturiert, tja und als Neuling hat es man ohnehin nie so leicht. Es war eine Bio-Vollkornbäckerei, die im Schaufenster damit warb, das man hier zuckerfrei und nur mit Honig backe. Zur Verblüffung merkte ich jedoch, dass man hier sehr wohl mit einem Anteil Zucker und zwei Anteilen Honig backte. In meinem jugendlichen Leichtsinn entrüstete mich das nicht nur, sondern ich fand das auch eine Lüge gegenüber allen Kunden, die ich auch dem Meister Kund tat. Der erklärte mir, dass das Backergebnis ohne Zuckerverwendung deutlich unattraktiver aussah und deshalb zumindest ein kleiner Anteil Zucker von Nöten sei. Okay, aber dann muss man das auch nach außen hin so deklarieren und darf dem Kunden nicht falsche Tatsachen vorspielen.

Wenn der Meister mal nicht in der Backstube war, ging es wirklich drunter und drüber. Die Gesellen spielten mit dem Brötchenteig Fußball. Entschuldigung, findet ihr das in Ordnung? Weißt du was, Professor (so nannten die mich damals), ich muss es ja nicht essen. Diese Einstellung fand ich wirkllich unmöglich. Wenn die Menschheit so miteinander umginge, kann man sich eigentlich gleich den Strick nehmen.

Am schlimmsten war jedoch der rüde Umgangston untereinander, das Übermaß an sexuellen Andeutungen und Witzen, die wohl mehr von den Minderwertigkeitskomplexen der Bäcker verriet als von ihrem tatsächlichen zwischenmenschlichen Qualitäten. Ich äußerte mich dazu nie, was mir den Ruf einbrachte, dass ich sowas wohl nicht machte. Naja, die Luft in dieser Backstube war nicht nur stickig und heiß aufgrund des Backvorgangs, sondern auch aufgrund des wenig kommunikativen und kameradschaftlichen Umgangs miteinander. Sehr viel gelernt habe ich in dem einen Jahr, das ich durchhielt, ohnehin nicht. Meine Arbeit bestand vorwiegend aus Blecheputzen und allerhand anderer Vorarbeiten: Teige ansetzen, Konditorenmassen zubereiten, wobei ich immer wieder entsetzt war, wieviel Fertigprodukte aus Zeitersparnisgründen sogar in einer Biobäckerei zum Einsatz kommen.

Ich gab auf und schrieb dem Meister einen Brief. Ich könne es moralisch nicht vor mir verantworten in einem Betrieb zu arbeiten, der nach außen andere Dinge vorgibt als er tatsächlich tut. Außerdem habe man hier wenig Respekt vor Lebensmitteln und gehe damit nicht verantwortungsbewusst um. Das sei bei Brot, was danach bei 220 Grad in den Ofen komme vielleicht nicht so wichtig (da bei dieser Temperatur ja alle Erreger abgetötet werden), aber bei Kuchen und Torten, wo ein Großteil der Zutaten roh verarbeitet werden, sei meiner Meinung nach Hygiene und ein vorsichtiger Umgang mit den Produkten einfach die Pflicht eines Mitarbeiters, der mit Nahrungsmitteln umgehe. Vielleicht sei ich auch einfach zu sensibel für diese Bäckerwelt, entschuldigte ich mich fast bei meinem Meister für meine Kündigung, da ich diesen rauhen Umgangston noch nie erlebte und zudem nicht vorhabe jemals in meinem Leben so mit anderen umgehen zu wollen. Erst recht nicht wolle ich derart rücksichtslos behandelt werden.

Der Meister, sonst ein Ausdruck an Unbekümmertheit und Selbstbewusstsein, reagierte erstaunlich betroffen. Er habe sehr wohl erkannt, dass ich insbesondere für die Konditorei ein Händchen habe. Meine Croissants wären die Besten, die er je von einem Azubi nach einem Lehrjahr gesehen habe. Natürlich sei ihm aufgefallen, wie hygienisch ich arbeite und wie aufopferungsvoll ich mich engagiere, aber darauf komme es eben alleine nicht an. Dennoch hatte er mit mir geplant und hätte mich ganz bestimmt zu einem guten Konditor gemacht. Über meine Entscheidung wäre er sehr enttäuscht.

Über diese Reaktion war ich nun total verblüfft, hätte ihm eine solch differenzierte Beurteilung gar nicht zugetraut und war besonders überrascht über die doch leise anklingende Wertschätzung, von der ich in all der Zeit wirklilch rein gar nichts gemerkt habe. Ich wurde in der Backstube immer nur von ihm angeschrien, selten wurde mal im ruhigen Ton mit mir gesproche und an ein Lob konnte ich mich auch nicht erinnern. Unsere Wege trennten sich also und ich suchte mir einen Beruf in einer etwas sensibleren Branche. Bis heute jedoch ist mir die Lust am Backen geblieben, die man mir selbst nach diesen schlechten Erfahrungen nicht nehmen konnte. Und so wünschen sich meine Freunde keine extrateures Geschenk von mir zum Geburtstag sondern meistens eine originelle Torte oder ein frisches Brot. Und das backe ich dann gerne mit ganz viel Liebe nach Feierabend in meiner Küche für sie.

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Kommentare


unbekannt
17:59 23.04.2008
Also,erstens:Toll,ich mag deinen schreibstil,zB des hier:Es war einmal vor sehr langer Zeit. Ich hatte mit Ach und Krach meiner gymnasialen Laufbahn ein zertifiziertes Ende gesetzt.End cool,was du für worte findest.
Und zweitens,gut dass du des nicht moralisch mit dir vereinbaren konntest,...solche zustände sind ja wirklich furchtbar.^^
Lg


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2008-04-23 11:24