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Tagebuch Doc12
2010-10-08 09:21
Der weinende Clown - 78
„Hast du überhaupt Zeit?“, fragte Sarah, als sie am anderen Morgen beim Frühstück saßen.
„Natürlich. Geh du ruhig zum Friseur, ich passe auf Karsten auf und bis du zurück kommst, kann er lesen und schreiben“, versprach er und schmunzelte.
„Na, da bin ich ja mal gespannt“, erwiderte sie und schüttelte ungläubig den Kopf.
„Au ja, toll!“, rief der Junge und sprang aufgeregt auf, um Heft und Bleistifte zu holen.
„Zuerst wird gefrühstückt, mein Sohn!“, mahnte ihn seine Mutter. Nur ungern und sehr zögernd setzte sich der Junge wieder auf seinen Stuhl.
„Wie lange wirst du weg sein?“, wollte Bruno wissen.
„Ich denke, höchstens zwei Stunden. Ich komme gleich dran – bin ja schon angemeldet.“

Kurze Zeit später sah sie auf ihre Armbanduhr und stand auf. „So, ich bin dann mal weg. Abräumen dürfen meine beiden Männer.“
„Na, der Morgen geht ja schon gut los ...“, feixte Bruno und grinste schräg.
Sarah nahm Mantel und Handtasche von der Garderobe, küsste beide flüchtig auf die Wange und verließ die Wohnung. Bruno räumte anschließend gemeinsamt mit Karsten den Tisch ab. Schnell hatte sich der Junge seine neuen Schreibutensilien geholt und sie erwartungsvoll vor sich auf den Tisch gelegt. „Los geht’s.“
„Also gut. Zuerst solltest du lernen, deinen Namen zu schreiben, weil der eigene Name für jeden Menschen sehr wichtig ist“, meinte Bruno, erklärte ihm, dass es große und kleine Buchstaben gibt, dass sich Wörter aus Buchstaben zusammensetzen und wie man die einzelnen Buchstaben ausspricht. Der Junge war voll bei der Sache und nach kurzer Zeit malte er – wenn auch noch sehr unbeholfen und krakelig – ein großes „K“ aufs Papier. Er hatte Spaß daran, begriff schnell und war tatsächlich nach einiger Zeit in der Lage, seinen Vornamen zu schreiben, was er langsam und mit Andacht tat.

„Jetzt müssen wir nur noch lernen, alle Buchstaben gleich groß zu schreiben“, sagte Bruno und brachte ihm bei, die Linien und Zeilen des Heftes zu beachten.
„Schreib nur mal eine Seite voll mit deinem Namen.“ Dabei schrieb er ihm eine Zeile vor.
„Du kannst das aber gut“, bemerkte Karsten.
Bruno lachte. „Ich schreibe ja auch schon länger als du. Schreiben ist Übungssache.
Je mehr du schreiben und lesen übst, desto besser kannst du es mit der Zeit.“
„Ab jetzt schreibe ich jeden Tag.“
„Und ich lerne dir jeden Tag ein neues Wort.“
„Au ja, toll!“, freute sich der Junge.

Es läutete an der Tür. „Das ist Mama“, rief Karsten, sprang auf, rannte in den Flur und betätigte den Türöffner. Bruno sah auf die Uhr. Fast zweieinhalb Stunden waren vergangen – beinahe wie im Flug und er musste sich selbst eingestehen, dass ihm die Beschäftigung mit dem gelehrigen Jungen sehr viel Spaß gemacht hatte.
„Mama – ich kann schon meinen Namen schreiben!“, begrüßte der Junge seine Mutter.
„So, so.“ Sarahs Blick war ungläubig.
„Gut siehst du aus“, bemerkte Bruno anerkennend mit einem Blick auf ihre Frisur und fügte hinzu: „.Steht dir klasse.“
„Danke. Die Gerlinde macht das immer recht gut. Ich bin schon seit Jahren Kundin bei ihr.“
„Gerlinde? Deine Friseurin?“
„Ja.“
„Mama, schau! Das hab ich geschrieben! Kannst du das lesen?“ Mit diesen Worten hielt ihr Karsten das Heft hin. Sarah nahm es, schaute kurz hinein, lächelte und strich ihm liebevoll über das Haar.
„Karsten, Karsten, Karsten ... so viele Karsten auf einer einzigen Seite – unglaublich“, sagte sie und lachte.

Dann, nach einer kleinen Pause, legte sie das Heft auf den Tisch und meinte plötzlich sehr nachdenklich: „Sie tut mir leid.“
„Wer tut dir leid?“, fragte Bruno.
„Gerlinde.“
„Warum?“
„Sie wird vermutlich ihren Laden schließen müssen.“
„Weshalb das denn?“
„Sie sagt, die Kosten würden sie auffressen, der Umsatz wäre zu niedrig, die Kunden blieben weg – all diese Dinge.“
„Eine völlig normale Zeiterscheinung“, erwiderte er und fuhr fort: „Man merkt überall, dass die Leute zu wenig Geld im Geldbeutel haben. Sie müssen sparen und den Gürtel enger schnallen. Und dabei spart man auch am Friseur.“
„Aber in den Medien erzählen sie immer etwas vom sogenannten Aufschwung. Doch wo ist der? Ich habe bislang noch nichts bemerkt.“
„Das habe ich mich auch schon ein paar Mal gefragt. Vermutlich findet der so leise statt, dass es das Volk nicht mitbekommt, sonder nur ein paar ganz Hellhörige irgendwo oben.“ Bruno grinste.

„Ach weißt du, wenn ich ehrlich bin: Ich hasse dieses scheiß Geld! Das ganze Leben lang dreht es sich nur darum. Hast du’s, bist du der große Macker, hast du keines, bist du ein Leben lang der Arsch ...“ Sarah war wütend.
„Das hast du jetzt etwas sehr drastisch ausgedrückt – aber durchaus richtig erkannt, wobei man einschränken muss, dass der Wert eines Menschen nicht vom Geld abhängt, das er besitzt – oder auch nicht besitzt“, antwortete Bruno und sah ihr gerade in die Augen.
„Es wäre schön, wenn man viel Geld hätte, das man für sich arbeiten lassen könnte“, meinte Sarah.
„Geld arbeitet aber nicht, meine Liebe. Du kannst ja mal folgendes ausprobieren: Leg ein Bündel Geldscheine in den Schrank und hol ihn nach zwei Monaten wieder raus. Und dann sagst du mir, was das Geld gearbeitet hat. Hat es gespült, gewaschen oder geputzt – oder gar neues Geld produziert? Nein, hat es nicht. Es sind Menschen, die dafür die Zinsen erarbeiten. Und zwar Menschen, die sich Geld leihen, weil sie etwas vorhaben, aber nicht das Geld dazu. Sie bezahlen dafür Zinsen und man muss sich das nur mal vor Augen halten: Diese Menschen, die zu wenig Geld haben, müssen von dem, was sie erarbeiten, einen Teil davon an jemanden abgeben, der soviel Geld hat, dass er es gar nicht braucht und auch nicht dafür arbeiten muss – für denjenigen handelt es sich nämlich um ein leistungsloses Einkommen! Die Ungerechtigkeit steckt im System und das Gemeine daran ist, dass man sie auf den ersten Blick nicht erkennt. Paradox, nicht wahr? Und genau aus dieser Tatsache heraus resultiert die Aussage, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Es ist ein genialer Umverteilungsprozess von unten nach oben. Deswegen ist dein Geld nie weg – es hat nur ein anderer – und vermutlich einer, der gar nicht weiß, wohin damit.“

Kommentare

09:24 08.10.2010
Dazu fällt mir nichts mehr ein...
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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2010-10-08 09:21