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Tagebuch c.
2012-06-30 09:20
Fail

 

Er war so etwas wie der letzte  Sonnenstrahl kurz bevor die Welt unterging, der Donnerstagabend.

 

Ich habe gestern so was von gründlich versagt und habe diese Situation auch noch irgendwie selbst herbeigeführt, in der die Demütigung nicht hätte größer sein können.

 

Das Gespräch mit EL Presidente, dem Bürgermeister, vor einigen Wochen ergab tatsächlich mehr als ein bisschen heiße Luft. An diesem Wochenende feiert meine Stadt ein Jubiläum, zu dem die Bürgermeister aller Partnerstädte eingeladen wurden.

 

Das Angebot: "Machen Sie uns doch den Dolmetscher für den Portugiesen."

 

Ich bin kein Idiot. Ich weiß, was ich kann und was ich nicht kann. Ich kann mich gut selbsteinschätzen.

 

Ein Tag dieses Wochenendes, der gestrige Freitag, kam letztendlich als einziger Termin in Frage.

 

Mir schilderte man die Situation folgendermaßen: Der Portugiese spricht weder Deutsch noch Englisch und niemand würde sich mit ihm verständigen können während eines Mittagessens mit anschließender Stadtführung in der nächstgrößeren Stadt. Man sprach immer nur von dem Bürgermeister. Den Bürgermeistern. Man sprach so von diesem Freitag, dass ich davon ausging, dass es sich um1:1 Situationen handeln würde. Jeweils ein Bürgermeister mit jeweils einem Dolmetscher. Und weil sich sonst niemand mit ihm hätte verständigen können, erwartete auch niemand Simultandolmetschen, niemand erwartete Perfektion.

 

Ich habe sehr lange überlegt, ob ich dieses Angebot annehme. Ich habe es mir sehr gründlich überlegt. Ich hatte kein super gutes Gefühl, als ich zugesagt habe. Aber ich war mir doch sicher genug, dass ich mich in der mir geschilderten Situation zurechtfinden würde. So wie es sich darstellte, traute ich mir die Aufgabe zu.

 

Es gibt zwei Dinge, die ich brauche, um mich in einer größeren Gruppe von Menschen wohl zu fühlen. Ich brauche eine feste Bezugsperson und eine klare Aufgabe. Beides schien mir gegeben zu sein. Und so dachte ich mir letztendlich: "Wenn man jeder Situation aus dem Weg geht, in der man eine Sprache sprechen und üben könnte, kann es auch nie besser werden." Denn zwei Jahre oder länger hatte ich die Sprache nicht mehr aktiv benutzt. (Die letzte Prüfung war auf Deutsch, zur Vorbereitung hatte ich nur mit dem geschriebenen Wort zu tun.) Ich fühlte mich also deutlich herausgefordert, aber nicht überfordert.

Und dann kam alles anders.

 

Anfang der Woche bekam ich endlich das Programm für gestern. Viel später als angekündigt. Und als ich dort die Worte "Portugiesische Delegation" las, war ich erst einmal schockiert. Ich rief die Verantwortlichen an und erfuhr zum ersten Mal, dass ich statt einer drei Personen zu betreuen hatte. Davon war nie die Rede. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nicht zugesagt. Das war deutlich mehr als ich mir zutraute. Praktisch drei Einzelbetreuungen und eine Gruppenbetreuung in einem. Das wäre mir auf Deutsch und mit punktgenauer Vorbereitung schon nicht leicht gefallen. Aber so...

 

Der Freitag war also zur großen Bedrohung geworden und gestern Morgen war ich fix und fertig. Ich wusste, es würde nicht gut werden. Ich konnte nicht bzw. nur zwei Stunden schlafen. Mir war schlecht, ich hatte Magenkrämpfe, ich zitterte, es war nicht schön.

 

Der Tag wurde nicht besser. Letztendlich hatte man wohl doch irgendwie fröhliches Simultandolmetschen erwartet. Lockeres Alleinunterhalterprogramm für die geschätzten Gäste. Bis nach dem Mittagessen ging es dennoch tatsächlich irgendwie. Dass ich die Speisekarte bereits zu Hause übersetzt und für die drei ausgedruckt hatte, kam sogar ausgesprochen gut an. Ich wagte es fast schon zu denken: "Das war ja doch gar nicht so schlimm, jetzt hast du es ja auch schon fast geschafft."

 

Und dann kam die Führung durch die große Kapelle.  Nachdem uns der Gewitterschauer völlig durchnässt hatte, kam unsere fröhliche Miss Tourguide von der Tourismusinformation, nach eigenen Angaben eine Holländerin,  mit super schicken Tourguide-Mikrophonen und -Kopfhörern und es hieß: "Jetzt stellen Sie sich mal hübsch mit mir hier vor die Gruppe und übersetzten simultan alles, was ich erzähle." Bam in your face...Ich war immer davon ausgegangen, auch als ich noch von nur einer Betreuungsperson ausging, dass ich Teil der Gruppe sein würde und am Rande und ohne Publikum übersetzen würde. Davon, dass ich quasi einen Vortrag vor der Gruppe halten sollte, war nie die Rede.

 

Der finale Todesstoß kam dann, als unsere fröhliche Miss Tourguide meine Gruppe in perfektem Portugiesisch ansprach, um einige Informationen zu ergänzen. Da stellte sich heraus, dass sie Muttersprachlerin war. Und ab da ging dann wirklich gar nichts mehr. Ich war absolut verunsichert und fühlte mich eigentlich nur bloßgestellt. Sie hat mich dann erlöst und hat letztendlich ihre Führung zweisprachig durchgezogen. Das hat es einerseits besser, andererseits viel schlimmer gemacht. Irgendwo war ich froh, einerseits aus der Situation raus zu sein, andererseits war das nicht gerade eine Medaille für mich und meine Kompetenzen.

 

Letztendlich weiß ich nicht, was ich gestern da überhaupt sollte. Die Portugiesen konnten nämlich tatsächlich auch gut genug Englisch, so dass sich alle auch so hätten verständigen können. Die Führung durch die Kapelle war ursprünglich auf Portugiesisch gebucht gewesen. Daher die perfekt zweisprachige Miss Tourguide. Das erfuhr ich dann hinterher. Irgendwie fühlte ich mich doch leicht verarscht. Ganz leicht.

 

Es ist sicher nicht meine Schuld, dass der Tag gestern einfach nur ein großer, stinkender Fail war. Die Organisation war für den Arsch. Schon in Kleinigkeiten war alles furchtbar unstimmig. Es dauerte ewig, bis man das Programm fertig hatte. Anfang der Woche fragte ich dann noch nach, wann der Tag für mich beginnen sollte, denn das ging nicht eindeutig aus dem Programm hervor. Die Auskunft war 10.45 Uhr. Am Mittwoch telefonierten wir noch einmal, ich fragte ein zweites Mal zur Sicherheit. Die Auskunft wieder: Treffen um 10.45 Uhr da und da. Gestern bekam ich um 08.30 Uhr eine SMS, in der es hieß: "Der Beginn ist verschoben, wir treffen uns jetzt doch erst um 10.45 Uhr." Ich war verwirrt. Rief an. Und erfuhr, dass ich ursprünglich einmal eigentlich um 09.00 Uhr hätte da sein sollen. Das stand so nirgends im Programm, ich habe zweimal nachgefragt und habe eine andere Information bekommen und wäre letztendlich doch mehr als 1 1/2 Stunden zu spät da gewesen, wenn es nicht zu der kurzfristigen Planänderung am Freitagmorgen gekommen wäre.

 

Eigentlich ist sowas höchst ärgerlich und unprofessionell. Von Seiten der Organisatoren kamen im Vorfeld nur Fehlinformationen. Das reinste Chaos. Eigentlich müsste ich sauer auf sie sein und sollte mich nicht so gedemütigt und völlig bloßgestellt fühlen.

 

"Gräme dich nicht, mein Herz. Du hast einen aussichtslosen Kampf gekämpft, aber du hast überlebt. Schwer verwundet zwar, aber du hast überlebt und allein das zählt."

 

So sollte ich es wohl sehen. Aber noch spüre ich einfach nur die Niederlage.

 

Auch sollte es mich wohl trösten, dass sich am Ende doch noch zeigte, dass ich das, was ich mir von Anfang zutraute, wohl auch gut bewältigt hätte.

 

Die Herren der Gruppe bekamen am Ende des Tages noch spontan Lust, den Turm der Kapelle zu besteigen.  Ich blieb zurück mit der Dame der Gruppe. Und allein mit ihr, ohne Beobachtung, ohne Publikum, lief es gut. Wir verbrachten 11/2 Stunden zu zweit, konnten uns gut unterhalten, gut verständigen. Ich habe sie am Ende wieder sicher zurück zum Auto gebracht, nachdem wir den Rest der Gruppe einfach nicht wiederfinden konnten. Auch die Programmänderungen und die finale Abendplanung konnte ich am Ende gut oder auf jeden Fall verständlich kommunizieren.

 

Ich weiß also, hätte es die 1:1-Situation gegeben, von der ich bei meiner Zusage ausgegangen bin, ich hätte sie gut gemeistert. Ein schwacher Trost. Zu schwach. Noch.

 

Denn noch fühle ich mich einfach beschissen. Wie der letzte Idiot. Völlig inkompetent. Es ist Mist.

 

Ein Vertrag wurde nicht abgeschlossen. Jetzt bin ich froh darum. Schon vor zwei Wochen hatte ich mich erkundigt. Letzte Woche habe ich nachgefragt. Am Mittwoch war er dann endlich fertig, der Vertrag und sollte gestern irgendwann zwischen Tür und Angel ausgefüllt werden. Er war auch gestern tatsächlich in irgendeinem der Autos, aber am Ende des Tages habe ich nicht noch einmal an ihn erinnert. Ich will kein Geld für den gestrigen Tag. Dafür fühlt er sich zu sehr nach Katastrophe an. Ich habe nicht das Gefühl, dafür auch noch Entlohnung verdient zu haben. Es käme mir anmaßend, ja unverschämt vor, für den gestrigen Tag einen materiellen Gegenwert anzunehmen oder gar einzufordern.

 

Es ist nicht so, als würde ich nun aus Stolz vierstellige Summen ausschlagen. Es ist nicht mal ein höherer dreistelliger Wert. Er ist gerade noch so dreistellig. Zwar macht es in meiner Situation einen signifikanten Unterschied, ob ich nun über 100 Euro mehr oder weniger verfügen kann, aber dennoch...Ich will keine Almosen, keine falschen Verpflichtungen für Scheiße.

 

Niemand hat sich beschwert. Alle waren sehr nett. Alle zeigten sich sehr verständnisvoll der Tatsache gegenüber, dass ich keine Dolmetscherausbildung habe und so etwas noch nie zuvor gemacht habe. Unsere Miss Tourguide lobte mich und meinte, ich hätte es wirklich gut gemacht. Nur etwas zu langsam für die begrenzte Zeit, die zur Verfügung stand.

 

Und trotzdem...für mich selber war der Tag einfach nur ein eklatantes Versagen. Ich kann dafür nicht mehr annehmen als den kostenlosen Transfer und die freie Verpflegung. Alles andere würde sich für mich nur wie der Gipfel der Demütigungen anfühlen. Das war nicht gut. Das war weit weg von Kompetenz und Professionalität. Das war einfach nur Mist.

 

Kommentare

11:00 01.07.2012
ich seh das so wie die anderen!
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11:51 30.06.2012
Ich finde auch, du bist viel zu streng zu dir selber. Du hast es objektiv gut gemacht. Viel wichtiger ist jedoch, dass du dich überhaupt getraut hast und dann den schwierigen Tag durchgezogen hast.
Du kannst absolut stolz auf dich sein!!
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11:20 30.06.2012
Du solltest das Geld und auch das Lob annehmen, denn (sorry) perfekt ist niemand und dafür hast du es doch wirklich gut gemeistert!!! Die wollten dich ohne Ausbildung, waren selber chaotisch, also gibt es keinen Grund, sich zu schämen oder zu stolz zu sein oder sonst etwas!!!
(Ich weiß, ich reagiere bei so was ganz ähnlich, aber es ist verkehrt! --> Als ich die Führung für die Holländer gemacht habe, war ich so froh, dass mein Chef alles verstand und übersetzen konnte, weil mein Schul-Niederländisch nicht mal ansatzweise reichte, wie ich da merkte. War echt peinlich, ständig nachzufragen, obwohl es hieß, dass ich etwas Holländisch kann... Aber wenn man dazu nicht ausgebildet ist, ehrlich, dann ist das am Ende völlig egal!)
Nimm das Geld und sei stolz darauf, das überhaupt gemacht zu haben!!!
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10:37 30.06.2012
Ich wäre 1000 Tode gestorben in der Situation.

Aber natürlich nimmst du das Geld. Du warst dort und hast gearbeitet, war ja kein Privatvergnügen.
Du bist keine ausgebildete Dolmetscherin, von daher durfte man keine Wunder von dir erwarteten und du hast dich wacker geschlagen. Also lass dich auf jeden Fall dafür bezahlen.
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2012-06-30 09:20