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Tagebuch MI
2005-09-09 10:30
Stille
Ich bin so klein und zerknirscht wie schon lange nicht mehr. Es ist nicht das erste Mal, daß ich in so eine Situation reingerate, ich weiß noch gut, wie sich das anfühlt: schlecht, unendlich schlecht. Wie wenn man bei einem Marathonlauf zusammenbricht und es einem unvorstellbar erscheint, ihn jemals zu Ende bringen zu können. Ja, überhaupt nur aufzustehen und weiterzulaufen scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Ich? Da wieder mitlaufen? Wo jeder sich selbst der nächste ist, jeder einfach nur zusieht, wie er klarkommt, egal, ob er dabei anderen in die Quere kommt, andere über den Haufen rennt, andere irgendwo verrecken und verrotten?

So ist das bei mir. Ich sehe zwar die Warnzeichen kommen, Fehler häufen sich, das Gefühl der Fremdbestimmung nimmt zu, ich mache immer mehr Dinge, die ich eigentlich gar nicht machen will und auch nicht muß, denke mir: dies noch, jenes noch, dann hast Du deine Ruhe, kannst wieder was anderes machen. Aber was dann passiert ist, daß dies und jenes weiteres "Dies" und "Jenes" nach sich zieht, es nimmt einfach kein Ende, bzw. das Ende ist, daß ich mich wieder soweit von mir selbst und von dem, was ich bin und was ich will, entfernt habe, daß ich nur noch zusammenklappen und sagen kann: "No!" (oder besser: "No! No! No!", das hat wirklich was).

Soll ich ein Hemd anziehen mit einem fetten "NO!" drauf? An meine Tür ein Schild kleben mit "NO!"? Ich weiß es nicht. Ich muß es in meine Augen reinschreiben, so daß es jeder sofort sieht, der was von mir will. Aber eigentlich gilt das nicht jedem. Es gilt nur jedem, der über Gebühr etwas von mir will. Der von mir will, daß ich etwas tue, damit er es nicht tun muß, obwohl er es genauso gut wie ich tun kann und auch tun muß.

Ja, ja, der Lastenesel, immer mal was draufpacken, Klagen eisern ignorieren, ja belächeln, in Frage stellen, ob denn wirklich alles so schlimm ist. Und dann munter weiter machen, mehr draufpacken, den Esel ja nicht zum Luftholen lassen kommen, nur nicht auf dumme Ideen kommen lassen.

Aber jeder Esel hat einmal genug, vor allem, wenn er weiß, wie sich das anfühlt, wenn es zuviel wird, wenn er merkt, daß es jetzt an seine eigene Substanz geht, an seine eigenen Projekte, seine eigenen Interessen, die er nicht mehr weiterverfolgen kann. Und dann bleibt dem gutmütigem Esel irgendwann nur noch eines übrig: alles abwerfen, was er nicht tragen kann und will. Er muß es drauf ankommen lassen. Es ist eine physische Reaktion, alles in mir wehrt sich dagegen, noch weiter zu machen. Ich kann gar nicht anders und muß jetzt allein an mich denken und alles andere von mir fernhalten, was mich von meinem eigentlichen Weg abbringt.

Mag ja sein: jeder hat so seine Philosophie, wie man mit Menschen umgehen muß. Er meint, man müsse sie fordern und den Erfolg regelrecht aus ihnen herauspressen ("push"), sonst würde nichts geschehen. Aber ich halte Menschen nicht für so dümmlich und faul, daß sie nichts tun, wenn sie nicht gefordert werden. Ich glaube, wenn sie korrekt behandelt werden, wenn sich ein jeder auf seine eigene Weise einbringen kann und nicht auf eine erzwungene, wenn sie einen Sinn in ihrer Tätigkeit sehen, wenn sie das Gefühl haben, daß die Aufgaben und auch die Erfolge gerecht verteilt sind, wenn sie eine Perspektive haben, dann werden sie auch im positiven Sinne kreativ sein, dann kommt der Erfolg als Nebenprodukt. Aber wenn man es aus ihnen herauspressen will, dann bekommt man nur Duckmäuserei und Menschen, die anfangen ihre Arbeit zu hassen. Gras wächst nun einmal nicht schneller, wenn man dran zieht.

Aber ich bin nicht mehr hilflos, ich bin vorbereitet, ich habe andere Standbeine, ich muß mich nicht mehr andienen, ich will nicht mehr. Und da, wo ich jetzt gerade bin, ist es still, sehr still. Diese Stille brauche ich jetzt dringender als alles andere. Es ist so leicht, Wasser zu verunreinigen und es in Turbulenzen zu versetzen. Aber es dauert lange, bis die Oberfläche wieder glatt ist und das Wasser ungetrübt.

Michael

Kommentare


unbekannt
19:17 09.09.2005
Diesen Zustand hast Du gut beschrieben - und ich glaube, es ist auch gut, dass Du das jetzt schon als Problem für Dich durchdenken kannst!
Ich war leider nicht so klug wie Du, habe mehr und mehr selber leisten wollen, mit mit allem Möglichen "gepusht" und fast meine Gesundheit, mein Leben ruiniert!
Du scheinst da besser gerüstet zu sein! Freu Dich darüber, das ist viel Wert!
LG


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