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Tagebuch MI
2005-09-27 16:57
Erwartung und Ergebnis
Ich hatte im letzten Eintrag über meinen Vertrauensverlust geschrieben. Dieses Wort "Vertrauen" verdient eine noch genauere Betrachtung. Mir kamen gestern noch Gedanken darüber, inwiefern sich Glaube und Vertrauen ähneln oder unterscheiden. Im religiösen Sinne kann ich ja sowohl "an Gott glauben" als auch "auf Gott vertrauen". Dabei setzt Vertrauen aber Glaube voraus. Auf etwas, an das bzw. an dessen Existenz ich nicht glaube, kann ich auch nicht vertrauen.

Vertrauen ist somit immer mit etwas sehr Konkretem verbunden, während Glauben immer (notwendigerweise) abstrahieren muß (denn sonst wäre es ja Wissen). Ich weiß nicht, ob da eine Systematik dahintersteckt, wenn erst der Glaube verloren geht und dann anschließend das Vertrauen. Im Grunde ist ja das einzige Vertrauen, das in diesen Zeiten propagiert wird, das Vertrauen in sich selbst: Trau nur dir selbst, aber keinem anderen. Wenn Du dich auf andere verläßt, bist Du verlassen. Usw.

Und wenn ich mal Revue passieren lasse, was das Verhalten meiner Umgebung mehr und mehr prägt, dann ist das ganz allgemein ein Vertrauensverlust. Nicht nur in irgendein System, irgendwelche damit verbundenen Personen. Sondern schlicht von Mensch zu Mensch. Pointiert könnte ich auch sagen: keiner traut mehr seinem Nächsten.

Begegnungen sind oft davon geprägt, daß der andere ja "prinzipiell auch mein Feind sein könnte". Man begegnet sich immer zweimal im Leben. Wer weiß, ob mein Gegenüber dann immer noch auf meiner Seite ist. Die Distanz zwischen den Menschen nimmt zu. Jeder Mensch wird nach und nach zu einer Insel.

Ich weiß nicht, ob das gut ist. Mir fällt zum Beispiel im Arbeitsleben sehr stark auf, daß immer mehr nur noch über Druck funktioniert. "Da muß man Druck machen. Da muß man nachhaken. Sich in Erinnerung bringen. Hinterhertelefonieren." Usw. Ohne Druck scheint nichts mehr zu gehen.

Ich persönlich hasse es, Druck auf andere auszuüben. Das hängt damit zusammen, daß ich es viel interessanter finde zu sehen, was die Menschen freiwillig machen. Wenn Menschen nur noch auf Druck etwas machen, dann erhöhe ich nicht den Druck, damit was geschieht, sondern ich möchte wissen, warum das so ist. Was steckt dahinter? Im Grunde ist das so eine Art "Ministreik". Ich kenne das sehr gut auch von mir.

Bei mir läuft das so: wer Druck auf mich ausübt, um etwas von mir zu erhalten, der bekommt überhaupt nichts, bzw. das absolute Minimum, das ich zu geben bereit bin. Wer mich läßt, mir Anstöße gibt, hier und da mal eine Bemerkung fallen läßt, dem stehe ich zur Verfügung. Das war schon immer so bei mir. Druck auf mich auszuüben kann nur in einer Katastrophe enden. Das ist z. B. auch genau der Grund, weshalb ich mir meine Bundeswehrzeit so schwer gemacht habe.

-

Gestern kam der Softwaretechniker eine halbe Stunde zu spät ans Instrument. Wir waren um 14:00 verabredet, er kam erst um 14:30. Aber ich mache den Leuten daraus keinen Vorwurf. Er weiß selbst, daß er zu spät ist. Ich empfange ihn so wie der Vater seinen verlorenen Sohn (etwas überzogen jetzt, ich meine das von der Tendenz her). Jetzt ist er da, jetzt können wir was zusammen machen. Die Zeit vorher habe ich eben anders genutzt. Mein Kollege O. jedoch wurde ungeduldig, seine Vorurteile gegen die Serviceleute bestätigten sich nur ein weiteres mal, er verzog eine Miene.

Als der Softwaretechniker nach (dieser) einer halben Stunde noch nicht eingetroffen war, sagte ich meinem Kollegen, ich werde ihn anschreiben und einen anderen Termin vereinbaren. O. meinte, ich solle das offiziell machen, als Kopie an diverse Abteilungsleiter, damit was passiert (er war schnell der Überzeugung, daß der Mann gar nicht mehr kommen würde). Ich habe ihm gesagt, daß ich davon gar nichts halte. Man steht da am Scheideweg: entweder übe ich jetzt Druck aus und erreiche damit vielleicht, daß dieser Mann beim nächsten mal pünktlich ist. Oder ich übe keinen Druck aus, lasse den Mann und sein Gewissen allein und muß vielleicht in Kauf nehmen, daß der Mann weiterhin unpünktlich bzw. gar nicht kommt.

Was für mich aber entscheidend ist, das ist, daß ich diesen Mann auf eine bestimmte Art und Weise bei mir haben möchte. Ich möchte, daß er mit einem hohem Maß an Freiwilligkeit bei mir ist und mir bei den Problemen am Gerät hilft. Und das kann ich nur dadurch erreichen, daß ich ihn lasse. Es ist sehr interessant zu sehen, wie sehr sich das Verhalten der Menschen unterscheidet, wenn sie etwas tun, wozu sie gezwungen oder gedrängt werden, und wenn sie etwas tun, was sie aus freien Stücken, aus freiem Antrieb, aus eigener gewachsenen Überzeugung tun. Man braucht keine große Vorstellungskraft, um sich die Unterschiede auszumalen.

Was ich an mir bemerke: Freiwilligkeit geht mir über alles. Ich will nur haben, was die Menschen freiwillig und gerne machen und weil sie einsehen, daß es das Beste für alle ist, wenn sie das jetzt tun, was sie tun. Das finde ich, sollte die Maxime für jeden Umgang mit Mitarbeitern sein. - Auch auf Gedeih und Verderb hin. Denn ich bin andererseits der Überzeugung, daß aus zwangsweise durchgeführten Arbeiten nicht viel Gutes hervorwächst.

Ich möchte da vertrauen, das ist der Punkt. Ich möchte meinen Mitmenschen vertrauen. Ich möchte darauf vertrauen, daß wenn mir jemand sagt, er sei dann und dann dort und dort, daß das auch tatsächlich der Fall ist. Und sollte es nicht klappen, dann vielleicht das nächste Mal oder das übernächste Mal. Meine Geduld ist da unbegrenzt. Und in diesem Punkt habe ich eine unumstößliche Überzeugung: nämlich das nur auf diese Art und Weise langfristig ein gesunder und fruchtender Umgang miteinander möglich ist. Und daß es einem die Menschen auch mit Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit danken. Vielleicht gilt auch hier in diesem zwischenmenschlichen Bereich im Besonderen: "You get, what you expect."

Der Mitarbeiter hatte auch eine ordentliche Begründung für sein zu spätes Erscheinen. Er hatte noch ein Gerät (Ethernethub) konfiguriert, daß wir am Instrument brauchten.

Michael

Kommentare

13:26 28.09.2005
Hallo Claudia,
ich melde mich noch bei dir, ist nichts 'persönliches' oder so.
Grüße, Michael
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12:44 28.09.2005
Hallo Michael!

Ich lass mir auch nicht gerne was aufzwängen. Wenn ich im Befehlston mitgeteilt bekomme: "Mach das! Jetzt und sofort!" Da ist dann mein erster Gedanke: "Nö!" Ich halte dann ein imaginäres Protestschild in die Höhe und rufe innerlich: "Mit mir nicht!" Hätte man die gleiche Forderung als Bitte mit nettem Tonfall an mich ran getragen, wäre ich sofort dabei.

Das mit deiner Geduld finde ich sehr löblich. Da bin ich ja dann doch ein bisschen ungeduldiger. Die Begründung ist natürlich eine super Rechtfertigung und absolut verständlich, aber ein Anruf wäre doch nett gewesen. Bei der Arbei ist das vielleicht noch was anderes, weil man ja immer noch was anderes zu tun hat. Bei einer privaten Verabredung fänd ich das aber schon ein bisschen ärgerlich.

Und zum gegenseitigen Vertrauen gehört auch, dem anderen zu sagen, dass es einen stört, ne halbe Stunde allein im Cafe (private Verabr.) zu warten. Das kann man auch nett sagen, so dass kein Druck ausgeübt wird.

Ok, ich find mal wieder nicht die richtigen Worte, um mich auszudrücken und fang deshalb an zu schwafeln.

LG
Claudia

PS: Gehört hier nicht hin, aber mir ist aufgefallen, dass ich kein Fav. mehr von dir bin. Darf ich fragen warum?
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