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Tagebuch Kerst
2005-07-18 16:49
Der unerwartete Gast
Die Trauer ist ein unerwarteter Gast.
Eines schönen Tages klopft sie an deine Tür und fragt nicht, ob sie hereinkommen darf, sondern setzt sich mitten in dein Wohnzimmer und macht es sich bequem und gemütlich.
Am Anfang denkt man sich "nun gut, irgendwo muss sie ja sein", und bleibt gastfreundlich. Dann kommt der Punkt an dem man sich denkt "nun könnte sie aber mal langsam wieder gehen" und versucht mit allerlei diplomatischen und undiplomatischen mitteln, sie dazuzubringen, aufzustehen und sich zu verabschieden, weil man gern mal wieder für sich sein möchte.
Aber nein, sie hockt da, stumm und unverschneit und bewegt sich kein Stück. Man versucht sie rauszuzerren , rauszuekeln, aber sie sitzt einfach da:
Jeden Tag versucht man es wieder, doch wie ein nasser Sack Zement thront sie auf deinem Sofa und schaut dir über die Schulter. Du fühlst dich beobachtet und unwohl, aber sie sitzt
einfach da, schweigt, wartet und du weißt nicht einmal worauf, geschweige denn wie lange.
Und noch ein Tag und noch ein Versuch, sie zum gehen zu bewegen. Hergott, in unserer modernen Welt muss es doch möglich sein der Lage Herr zu werden. Aber nein, dieses Ding hockt da wie eine Spinne im Netz und wartet.
OK raus will sie nicht. In deinem Wohnzimmer ist zu wenig Platz. Also fängst du an dich an sie zu gewöhnen, stellst den Tisch ein bißchen weiter und den Stuhl ein bißchen weiter dort hin.
Jetzt sitzt sie zwar immer noch da, aber nicht mehr in der Mitte.
AHA - denkst du dir! Ich kann sie nicht zum gehen bewegen, aber ich kann mich um sie herum bewegen.
Ein bißchen die Möbel umstellen, ein paar perspektiven und schon sieht sie nicht mehr so bedrohlich aus.
Tatsächlich kannst du sogar um sie herum gehen und sie von hinten anschauen - unspäktakulär.
Weitere Tage vergehen und sie setzt schon ein bißchen Staub an bis sie sich plötzlich wieder mal schüttelt, eine Trauerstaubwolke aufsteigt und dich einhüllt. Du stellst den Tisch noch ein bißchen mehr dort hin und den Stuhl noch ein bisschen mehr da hin, und auf einmal ist sie nur noch der Rand deines Wohnzimmers und nicht mehr das Zentrum.
Aber sie sitzt noch immer da. Manchmal wirft sie dir einen vorwurfsvollen Blick zu und du fühlst dich versucht sie wieder in die Mitte aufzunehmen.
Manchmal schüttelt sie sich und hüllt dich in eine Staubwolke, aber irgendwann ist sie so eins geworden mit deinem Wohnzimmer, dass du sie nicht einmal mehr siehst, außer wenn sie sich gerade schüttelt.
Und schon hast du aus deiner Not eine Tugend gemacht, und Dank dem ungebetenen Gast, der nicht mehr gehen wollte eine ganz neue Perspektive in deinem Leben gemacht.
Würde man nun die Trauer aus deinem Wohnzimmer entfernen, so würde ein hässlicher kahler Fleck bleiben, weil da auf einmal etwas fehlen würde.

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Kommentare


unbekannt
03:02 24.07.2005
man könnte sie vielleicht vertreiben, indem man die hoffnung und die zuversicht reinlässt, die schon ziemlich lange an der tür stehen und sich nicht zu klopen trauen, weil sie immer etwas verzagter sind. sie haben angst zu stören.
wenn die beiden dann da sind und die trauer gegangen (sie reagiert immer sehr beleidigt, wenn die beiden auftauchen), dann kannst du hoffnung und zuversicht auf den kahlen fleck setzen, deine möbel wieder ranschieben und beobachten, dass die beiden lachen und sogar ein bisschen leuchten.


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10:20 19.07.2005
Also Tipp von mir...klopft die Trauer an Deiner Türe..halte sie geschlossen.
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2005-07-18 16:49