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Tagebuch c.
2012-09-22 23:20
Der letzte Samstag
Das war nun also mein letzter Samstag hier in meiner Wohnung. Die Samstage, das waren immer ganz besondere Tage. Mein Wochenende. Mein Tag für mich. Der Sonntag war immer da für den Besuch bei meinen Eltern, aber der Samstag, der gehörte nur mir. Ich habe oft geputzt, an einem Samstag. Ich habe oft gewaschen, an einem Samstag. Ich habe oft eingekauft, an einem Samstag. Und dennoch, er war mein Tag, der Samstag, ein Tag für mich, an dem alles erlaubt war. Uni, Praktikum, Bewerbungsstress, am Samstag habe ich entspannt, mich von der Woche erholt und Kraft getankt. Für den Sonntag. Für die neue Woche.



Sechs Nächte habe ich noch in meiner Wohnung, dann schlafe ich wieder in meinem alten "Kinderzimmer" und auf unbestimmte Zeit wird der Samstag nicht mehr mein Tag sein. Wobei, so ganz stimmt das auch nicht. Denn schon bald sind Herbstferien und da werde ich gleich zwei Samstage für mich bekommen. Auch der erste Samstag im November wird mein sein. Aber dann, ja, was ist dann?



Der Mann, den ich den "zukünftigen Herrn Chef" nannte, verbringt seinen dreiwöchigen Urlaub in Kalifornien. Ich bin letzte Woche auf sein Twitter-Profil gestoßen. Er findet, root beer schmeckt wie eine Mischung aus Almduddler und Zahnpasta. Wenn man es erst einmal zu einem festen Angestelltenverhältnis in diesem Unternehmen geschafft hat, kann man es sich scheinbar durchaus leisten, USA-Rundreisen mit der Liebsten zu unternehmen und unsinniges Zeug für die Zurückgebliebenen zu posten. Frühestens in der ersten Oktoberwoche könnte ich wieder etwas von ihm hören. Wenn ich überhaupt jemals wieder von ihm höre. Im Oktober könnte ich mich selber auch nochmal mit einer Information über neue Telefonnummern und die neue Anschrift in Erinnerung rufen. Ob ich das auch tun werde, weiß ich noch nicht. Ich sollte loslassen.



Jetzt in den letzten Tagen hier in meiner Wohnung laufe ich ständig dem Nachbarn über den Weg, mit dem ich im März ein Date hatte, das ich zusagte ohne zu dem Zeitpunkt zu wissen, dass er mein Nachbar ist. Fast sechs Jahre lang ist er mir nie bewusst aufgefallen. Seit einem halben Jahr habe ich ihn nicht mehr gesehen. Aber in den letzten zwei Wochen begegneten wir uns gleich viermal. Wir grüßen höflich, aber mehr nicht. Und das ist auch gut so. Trotzdem ist es komisch, es ist ein bisschen so, als hätten sich die ganzen Erinnerungen, die ich hier fast 6 1/2 Jahre lang gesammelt habe, zum Abschied in diesen kurzen Zusammentreffen mit dem Nachbarn materialisiert. Auf ein letztes Goodbye.



Es gibt viele Momente in letzter Zeit, in denen geht es mir gar nicht gut. Ich hadere mit mir und meinem Schicksal, frage mich, warum es immer mich trifft. Tatsächlich neige ich sicherlich dazu, sehr schnell sehr hoch zu fliegen, um dann kurz darauf sehr tief zu fallen. Dennoch glaube ich, dass man auch objektiv anerkennen muss, dass sich ein bestimmtes Muster in meinem Leben immer wiederholt. Etwas sehr Gutes scheint mir zu passieren und dann kommt irgendetwas dazwischen und es wird doch nichts daraus. Allein im letzten Jahr ist mir das dreimal passiert.



Im letzten Herbst hatte ich ein tolles Praktikum, das leider allzu unschön endete. Es gab keine Verträge, nur mündliche Absprachen. Die mündliche Absprache lautete: Zwei Monate Praktikum. An einem Mittwoch nach 5 1/2 Wochen ging ich um 15.30 Uhr ins Büro des Chefs, um eine gerade abgeschlossene Arbeit abzugeben. Wie immer bekam ich Lob und nette Worte und dann den Schocker: "Ich habe jetzt nichts mehr zu tun für Sie, Sie können heute früher Schluss machen, das war dann heute auch Ihr letzter Arbeitstag, schön, dass Sie bei uns waren." Bam, in your face! Das hatte ich nicht kommen sehen. Es war anderes vereinbart. Ok, es gab gute Gründe dafür, an dem Tag das Praktikum zu beenden. In der Woche hatten Renovierungsarbeiten begonnen, die solchen Lärm machten, dass man sich eh kaum konzentrieren konnte und wenn es zu dem Zeitpunkt auch keine an mich delegierbare Arbeit mehr gab, hätte es wenig Sinn gemacht, dass ich einfach so noch weiter jeden Tag komme. Und trotzdem, das wäre auch früher absehbar gewesen, spätestens am Anfang dieser Arbeitswoche. Ich bin sicher, es war nicht böse gemeint, es war einfach nur gedankenlos, trotzdem war es ein schöner Schlag ins Gesicht, völlig unvorbereitet zu erfahren, dass man am nächsten Tag nicht mehr zu kommen braucht. Es gab noch ein paar weitere Klopper, die mich rückblickend dieses Praktikum mit bitteren Erinnerungen verbinden lassen, aber dieses Ende von heute auf morgen war der Schlimmste. Ich hatte wohl einfach mehr erwartet von einer der katholischen Kirche angegliederten Einrichtung. Aber wahrscheinlich ist zwischen Theologie und Wissenschaft kein Platz mehr für Empathie und Menschlichkeit.



Anfang des Jahres dann die Geschichte mit dem Wasserkastenmann. Da bekommt man ein Zettel mit einer Telefonnummer ans Auto gepinnt, da will jemand einen scheinbar wirklich kennen lernen und dann fällt ihm zwei Wochen später auf, dass man doch die falsche Hautfarbe hat. Die Geschichte hat mich nicht völlig niedergeschmettert, aber ich schüttele immer noch den Kopf darüber, wenn ich daran denke und sie passt einfach so gut ins Bild, ins Muster.



Traumstadt. Dasselbe Spiel. Für weitere Beispiele kann ich beliebig weit zurückgehen. Der erste Urlaub mit Freunden und ohne Eltern, bei dem es dann plötzlich heißt: "Ausgerechnet du darfst nicht mit.", und die damals beste Freundin beharrt auf diesen Urlaub, statt sich auf meine Seite zu schlagen, wenigstens symbolisch. Der eine Herr Ex meldet sich sechs Wochen lang nicht und ist auch nicht erreichbar, nachdem man am Morgen nach der ersten gemeinsamen Nacht anmerkt, dass man es durchaus seltsam fand, dass der Mitbewohner am Abend völlig selbstverständlich auch mit ins Bett stieg und man dort zu dritt schlief, während mitten in der Nacht unangekündigt eine vierte Person in die Wohnung kam, um in einem anderen Zimmer zu renovieren. Ein anderer "Ex" lässt mich einfach auf recht hohen Handyschulden sitzen als die Kacke am Dampfen ist und ich den größten Stress ever mit meinen Eltern habe. Weil er ja so ein Verlierer ist und ich Besseres verdient habe. Davon konnte ich mir auch nichts kaufen, damals. Und dann ist da auf einmal jemand, der mir das zu bieten scheint, was mir immer gefehlt hat: Echter Rückhalt, echte Unterstützung. Er sagt mir, dass er für mich da sein will, sich vor mich stellen will, mir dabei helfen will aus dem ganzen Scheiß herauszukommen und dann stellt dieser jemand plötzlich fest, dass es ihm doch alles zu kompliziert geworden ist.



Manches davon schmerzt heute noch sehr, manches kaum noch bis gar nicht mehr, an manchen Entwicklungen habe ich sicher auch meinen Anteil, manche kamen völlig unerwartet, aber eines haben sie alle gemeinsam: Sie fingen vielversprechend an und endeten mit einem plötzlichen Schlag ins Gesicht. Es gibt so Momente, da frage ich mich doch, warum sich dieses Muster so häufig in meinem Leben wiederholt. Habe ich im letzten oder vielleicht auch schon in diesem Leben so viel schlechtes Karma angesammelt, dass ich es einfach nicht besser verdient habe? Warum kann mir nicht einfach mal so etwas wirklich Gutes passieren? Punkt. Ohne dass da irgendwann ein Schlag ins Gesicht folgen muss. Immer auf die Kleinen, ja, ja. Lustig, lustig, tralalalala. Aber manchmal, da verzweifle ich einfach an diesen Dingen, da wird mir das alles zu viel. Eine Schlappe nach der anderen, große, kleine, tragische, tragisch komische. Das ist einfach manchmal zu viel.



Es erfüllt mich mit Angst, demnächst erst einmal nicht mehr richtig allein sein zu können. Sätze wie "Wozu brauchst du eigentlich die Pille, du hast doch eh niemanden zum vögeln?!" tragen nicht gerade zur Vorfreude auf die neue Wohnsituation bei. Dumpfe Angst, Unsicherheit, Unwohlsein, all das versuche ich zu verdrängen. Meistens erfolgreich. Denn zu ändern ist es ja doch nicht.



Die meiste Zeit über bin ich aber einfach traurig. Ich bin traurig. Traurig und fühle mich dabei fast ein wenig altmodisch, schließlich ist man heutzutage doch viel eher depri, down oder schlecht drauf. Aber "traurig" trifft es einfach am besten. Es gab so viele Dinge, die ich geplant und auf die ich mich so gefreut hatte, auf die ich aber nun erst einmal wieder für unbestimmte Zeit warten muss. Wenn ich sie denn so überhaupt noch mal realisieren kann.



Ich hatte mich so darauf gefreut, eine Großstadtpflanze ohne Auto zu werden. Zwar kann ich mich hier nicht beklagen über die Verkehrsanbindungen an sich, dennoch sind größere Erledigungen ohne Auto einfach schwieriger umzusetzen. Fußläufig erreichbar einigermaßen zumutbar ist hier quasi nichts zu erreichen, also läuft es doch in der Regel immer auf Hamsterkäufe mit Auto hinaus.



Ein paar der Viertel in Traumstadt kenne ich ganz gut, bei ein paar von ihnen hätte man auch mal wunderbar abends zu Fuß nach Hause laufen können und ich weiß, kleinere Lebensmittelgeschäfte jenseits der großen (Discount-)Ketten wären wunderbar gut erreichbar gewesen.



Ich hatte mich so darauf gefreut, an meinem Lebensstil schrauben und noch bewusster einkaufen zu können. Derzeit verbringe ich etwa 70% eines Monats fleischfrei. Die Zahl hätte ich allein dadurch, dass die stetigen Sonntagsbesuche nicht mehr möglich gewesen wären, deutlich hochschrauben können. Wenn ich nun wieder bei meinen Eltern wohne, werde ich sie allerdings wieder merklich nach unten korrigieren müssen. Denn man kennt das ja, legt man bei so etwas nicht eine unheimliche Disziplin und Ausdauer an den Tag, wird es auf Dauer einfach zu umständlich, immer für eine Person die sprichwörtliche Extrawurst zu braten.



Außerdem hätte ich insgesamt in Traumstadt ein größeres Budget zur Verfügung gehabt, das es mir erlaubt hätte, auf den Discountwahnsinn gut verzichten zu können. Denn einen Liter Milch für unter 50 Cent zu verkaufen ist schon wirklich pervers, aber wenn man sein Geld zusammenhalten muss und letztendlich jeder Cent zählt, ist einem das dann auch schon mal herzlich egal.



Ich hatte mich so darauf gefreut, den für mich wichtigsten Einrichtungsgegenstand, meine Bücher, endlich ansprechend und angemessen präsentieren zu können. Ich wollte schon immer eine große, große Bücherwand haben. Ich hatte mir schon passende Regalsysteme ausgeguckt. Ein Auswahlkriterium für eine neue Wohnung wäre, neben der Badewanne und dem Balkon, auch der Platz für eine solche Bücherwand gewesen. Als ich hier vor ein paar Wochen noch frohen Mutes meine Bücher in Kartons verpackte, hatte ich sie in den Kartons schon so vorsortiert, wie ich sie später im Regal unterbringen wollte. (Auch meine Film-und Serien-DVDs hätte ich so gerne zukünftig völlig neu präsentiert, am liebsten in Form eines 16-Quadrate-Für-Körbe-Boxen-Und-Mehr-Raumteilers des schwedischen Möbelhauses. Und auch da wusste ich schon genau, wie ich was verteilt hätte.)



Ich hatte mich so darauf gefreut, wieder die Möglichkeit zu haben, mich in dummdämliche Abenteuer für eine Nacht stürzen zu können. Ja, auch hier wo ich jetzt bin, wäre es prinzipiell recht einfach, neue Leute für Abenteuer kennen zu lernen. Allerdings höre ich mir dazu ungern lange Vorträge über mögliche Gefahren und moralische Bedenken an. Als ich noch meine Freundschaften pflegte, konnte man immer jemanden von ihnen als Alibi vorschieben, wenn man mal bei einem unerwarteten Anruf nach 20.00 Uhr nicht erreichbar war. Das ist seit einiger Zeit nicht mehr so uneingeschränkt möglich und manchmal fehlt es mir doch ein bisschen. Außerdem wäre es auch nett gewesen, wenn man sich wieder ein paar Leute gesucht hätte für Abendveranstaltungen jenseits von dummdämlichen Abenteuern. Hier fühlte ich mich im letzten Jahr und besonders in den letzten paar Monaten so auf dem Sprung, dass ich es widersinnig fand, noch Energie zu investieren, um mir hier etwas Neues aufzubauen.



Ich hatte mich so darauf gefreut, ein Leben ohne Fernsehgerät zu führen. Es war alles auf so viele Weise passend, denn eigentlich bin ich privat der perfekte Nutzer für die eine Sparte, die das Unternehmen hinter dem Job in Traumstadt anbietet. Ich bin ein klassischer Serien-Mensch. Ich schalte mein Fernsehgerät fast ausschließlich zum Schauen irgendwelcher Serien ein, Spielfilme sind deutlich in der Minderzahl und für die Nachrichten gibt es das Internet. Darüber hinaus nutze ich fast schon öfter die Mediatheken im Internet oder Angebote wie den Online TV Recorder. Mein "Medienverhalten" findet mehr im Internet als über das klassische Fernsehgerät statt. Da ist es dann eigentlich nur konsequent, sich auch entsprechend umzustellen, um so endgültig auf den ganzen Schund, den man mit Fernsehgerät aus der TV-Landschaft ja doch immer mal wieder mitkriegt, zu verzichten. Zwar wäre ich dank der blöden GEZ-Reform ab 2013 die Gebühren nicht losgeworden, aber es hätte dabei geholfen, auch den Teil meines Lebens bewusster zu leben und nur noch das zu schauen, was ich wirklich sehen will. Und noch dazu hat so eine Beamer-DVD-Player-Installation im Endergebnis, nämlich durch das auf eine weiße Wand projizierte bewegte Bild, ja doch mehr Charme als so eine schnöde, alte Röhre.



Natürlich sind das alles Kleinigkeiten und dass ich sie jetzt erst einmal nicht haben kann heißt nicht, dass ich sie so nie haben kann. Aber im Moment, da vermisse ich sie, denn sie waren schon so greifbar nah.



Na ja. Das war nun also der letzte Samstag hier in meiner Wohnung. Mein letzter Samstag für mich. Es wird sich einiges ändern. Es gibt schon neue Pläne, es gibt neue Termine, es geht immer weiter, immer weiter, irgendwie. Ja, es wird weitergehen. Aber heute am Ende des Tages, am Ende meines letzten Tages nur für mich, da fühle ich mich als verlasse ich das Schlachtfeld als Verlierer. Mutlos und mit hängenden Schultern. Das war es dann. Klappe zu. Das Ende dieses Kapitels meines Lebens.

Kommentare

23:56 22.09.2012
Dass die Dinge noch nicht so sind, heißt nicht, dass sie nicht noch so werden... Manches braucht einfach seine Zeit. Und wer weiß, wie es wäre, wenn alles auf einmal wirklich so greifbar wäre, wie du dir das vorgestellt hast?
Und kann es nicht auch sein, dass du den "Absturz" durch "was auch immer für" Gedanken selbst provozierst?
Den Gedanken muss ich mir immer machen, wenn etwas fehl läuft - wovon ich dachte, dass es eigentlich nicht besser laufen könnte... (weil ich mir nämlich vorher auch entsprechende Gedanken gemacht habe mit meiner negativen Schiene...)
Die Dinge auf sich zukommen lassen... mitnehmen, was man kriegen kann... ist manchmal wichtiger (besser)... oO
Ich wünsch dir viel Glück bei deinem "Neustart"!!! (Das wird schon)
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2012-09-22 23:20