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Thursday, 28. March 2024
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 1945-06-29 hh:mm
Freitag, den.29.6. zu Donnerst...
Freitag, den.29.6. zu Donnerstag.
Am Donnerstag kam ich abends von der Arbeit zu Bauers. Gertrud erzählte, dass der Aufbruch des Majors so schnell vor sich gegangen sei, da habe er alles vergessen. Nikolaus hatte Gertrud ein goldenes Medaillon mit seinem Bild zum Abschied geschenkt. – Abends am Tisch hörten wir Autofahren. So viele Autos und keins für Ursula. „Vor einer Woche wärst Du noch anders gehüpft bei dem Geräusch!“, meinte Mutti. Doch nach einiger Zeit klappte eine Wagentür, Stimmen wurden laut. Es war Nikolaus dabei. Also sprang ich – Im Rabotaanzug mit grüner Trainingsbluse, blauer Hose hin und öffnete. Sie fanden mein Kostüm gut, Nikolaus und der Major Iwan. Ich roch so halb und halb Lunte, begrüßte ihn natürlich freundlich. Wir ließen uns im Herrenzimmer nieder und Iwan spielte Schach. Gleich zu Anfang flüsterte mir Gertrude zu, dass Iwan alles verstände auf Deutsch. Na, ich dachte daran wie wir in seiner Gegenwart, wenn auch vorsichtig, festgestellt hatten, dass mir Berezsal besser gefiele. Wir unterhielten uns mit dem Lexikon. Wenn Gertrude mit Nikolaus schmuste, langte der gute Iwan immer dazwischen. Er wollte das nicht haben. Nachher spielte Nikolaus mit Papi. Da setzte sich dementsprechend der Major aufs Sofa zu Gertrud und begann – aus Spaß – zu sagen, er wolle einen Kuss usw., betonte aber den Spaß. Schließlich machte er weiter und meinte, ich solle auch aufs Sofa kommen. Nun, ich tat es zwar, aber lehnte mich zu seinem Ärger an den Ofen anstatt zurück. Nun begann er, noch rechts und links zärtlich grob zu werden, kriegte uns bei den Ellenbogen und wollte uns zu sich heran ziehen. Doch musste er meine Ablehnung bemerken. Als Gertrud wieder einmal zu Nikolaus trat und der Major die streichelnde Hand Gertruds ergriff, fragten wir, warum. Da schlug er auf: Nikolaus- beneidenswert. Major sei ganz alleine. Später gingen N. und. G. Wasser trinken in die Küche. Da fing der Major nach beliebigen belanglosen Sätzen an: Ich meinte erst, ich verstünde nicht, dann; Die Worte schon, aber nicht, was er wolle. Da erklärte er, das könne er mir erklären. Ja, bitte! Nun, nur, wenn wir alleine seien! Da konnte ich mich ja nicht länger dumm stellen. Also sagte ich, dass ich mir denken könne, was er meine. Darauf muss ich sagen: Nein! – Nun sei er traurig, betrübt. Nach kurzem schlug er auf: Warum diese Nichtachtung? Das ist für russisches Empfinden ja wieder sehr bezeichnend. Entweder man gibt sich ihnen oder man missachtet sie! Also ich beteuerte: Nein, nicht Nichtachtung! – Und weil ich weiß, dass ein echter Russe die deutschen Sitten und Anschauungen gar nicht begreift, versuchte ich nicht mich damit zu rechtfertigen. Sondern sagte: Ich liebe den Genossen Major. Er guckte erstaunt oder überrascht, so schien es mir in dem Moment. Welchen? Wer damals hier gesessen hatte! Ach so! – Und er schlug auf: Ich wollte nicht beleidigen! Ich versicherte ihm freundlich, dass ich das glaube (Was jemandem wohl unglaublich vorkäme, der die Rüsslein weniger kennt). Er fragte mich, warum ich Russisch lerne. Weil ich verstehen wolle, wenn sich R. unterhalten – Er wolle mein Lehrer sein! Nein, ich habe schon einen! So?! Er schien überrascht zu sein, also schwächte ich das ab. Wenn er käme, sprächen wir doch zusammen. Schließlich einigten wir uns – nominell – auf gute Kameradschaft. Ich sagte: Gut. Ja, meinte er: Gut, aber nicht sehr gut. – Er würde nicht bald wiederkommen. Das wird dem Nikolaus ja weniger passen, der sonst so schön mitfahren könnte. Möchte wirklich wissen, ob der die Fahrt eingefädelt hat, oder der Major nun für sich das Feld frei sah, da der andere nun fort sei. Sie behaupteten ja mit dem Wagen 3 Std. zu fahren (ca. 200km). Da sie jedoch erzählten, im Westen in einem kleinen Stettchen (Verwechslung mit Stettin wohl daher) an der Elbe zu liegen, müssen sie geschwindelt haben. Die Elbe ist so weit nicht entfernt im Westen. Es ist überhaupt einiges undurchsichtig. Vorher erzählte Gertrud, dass die Tochter des Russenschneiders gehört habe, dass sie nur 30 km weit fort kämen. An die Elbe ließe sie der Amerikaner nicht. Und nun schwindeln sie. – Als der Major aufzubrechen wünschte, gingen wir auch in die Küche. Dem N. fiel der Abschied schwer. Der Major musste hören, dass ich fragte: „Drei Sonntage, dann Major mit?“ „Major mit!“, sagte er. Da sah ich Nikolaus ganz entsetzt an. Der beruhigte Major. Er weiß nicht. Wie gern glaube ich das. – Übrigens sagte Papi an dem Abend, dass der Major es wissen müsse, dass die Gertrud SS-Frau ist. Und er hat Recht. Wie leicht kann ihm diese Unwissenheit schaden. An dem Abend sprach Gertrud zwar in aller Gegenwart von ihrem Mann, aber als der Major Iwan mit mir und Nikolaus mit Schach beschäftigt waren. Nun werde ich es tun, wenn Berezsal kommt. Vorher schreibe ich es ungefähr auf, damit ich es besser und deutlicher erzählen kann. Habe heute schon damit angefangen. Heute, also am Freitag, den 29.6.
Heute habe ich wie die letzte Zeit ja immer viel an Berezsal gedacht. Ich liebe ihn. Als wir daran dachten, dass die Angaben des neuen Quartiers falsch sind und jetzt abends, wo Papa erzählt, dass in Güben Straßekämpfe zw. Russen und Polen seien, da fragte ich mich, ob ich auch im Krieg auf seiner Seite stehen würde. Und so wenig ich auch für die Politik der Russen übrig hab – auch dann würde ich den Offizier den überzeugten Bolschewisten heiraten. Ich habe nicht gewusst, wie sehr ich mich mit ihm beschäftige. Den ganzen Tag möchte ich von ihm sprechen. Heute Nachmittag war plötzlich Unruhe in mir und abends bin ich zu Tode betrübt (Hoffentlich durch die konkrete erkennbare Erkältung verursacht). Auf dem Weg nach Hause war mir plötzlich, als verginge die Zeit mit Slawa zu einem Traumgebilde. Und ich fürchte den Tag, da ich endgültig aufwachen muss. Aber lieber werde ich Wochen der Trauer und Bedrückung für diese Zeit bezahlen, als dass ich sie ganz missen möchte. – Jetzt muss ich ins Bett, da mich sonst das Weinen überkommt. Nun, man hat mal Stimmungen, morgen wird’s anders sein. Da will ich viel lernen, um ihn zu überraschen, wenn oder falls ich ihn wieder sehe. – Die gedrückte Stimmung wird geradezu unheimlich da jetzt wieder Küssen umhergehen / Wasser trinken wollen sind sich – in meiner Abwesenheit – für Mutti interessieren. Ob sie Papas Frau sei! Wir haben seit gestern wieder verriegelt. Und bei Russenstimmen mache ich mich fluchtbereit. – Der neue Luisenhofer Kommandant gibt dem Kindergarten keine Milch mehr. – In O’bey sollen sich 5 Familien vor Hunger das Leben genommen haben. Dr. Luitar war beim O’beyer Kommandanten. Die Bevölkerung brauche Fett. Erst war die Antwort – müssten ein paar Deutsche mit aufgetriebenen Händchen auf der Straße liegen bleiben. Es heißt, die Stadt habe sich an die nächste Behörde gewendet.

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