Silence
Ich glaube die Menschen, mit denen ich heute gesprochen habe, kann man an einer Hand abzählen.
Wobei von gesprochen kaum die Rede sein kann.

Da war der Mann am Postschalter, bei dem ich das Paket verschickt habe.
Die alte Oma in der Bäckerei, die mir erzählte, dass Musik das halbe Leben sei, nachdem sie meine Kopfhörer sah.

Das war alles.

Da drüben, nur durch unseren schmalen Flur getrennt, hocken sie zusammen. Lissy und Klara - wer sonst.
Lissy behauptet schon Stunden in ihrer Statusnachricht, dass sie lernt. In Wahrheit sitzen sie vorm Pc und sehen sich Perücken an oder sonst was. Ich höre sie kichern.

Gesehen habe ich keine der beiden. Als ich aufstand wurde mir durch verschlossene Türen "morgen" zugerufen und später, als ich nach Hause kam ein "hallo".

Sie waren einkaufen, aber noch keine von beiden ist gekommen, um mir zu berichten, was ich ihnen mal wieder schulde.
Vielleicht haben sie gar nicht für mich eingekauft...vielleicht ist es wirklich schon so weit...

Einerseits sollte es mir recht sein. Ich bin nahezu pleite. Die Beamten machen schon seit drei Monaten nicht voran mit meinem Bafög und durch den Semesterbeitrag, bin ich jetzt finanziell ziemlich am Ende.
Ich hab kein Geld, um mir den Stoff für das Cosplay im März zu kaufen...ich werde Stress haben es noch zu nähen.

Aber irgendwo...irgendwo...möchte ich gar nicht.
Ich möchte nicht mit diesen Zicken wegfahren und wenn es auch bedeutet, dass ich nicht cosplayen würde.
So sehr ich mich von den beiden entferne, desto seltsamer kommt mir das Cosplayen vor.
Ich bin gar nicht mehr so versessen darauf mein Geld in Perücken, Stoffe und alle möglichen anderen Dinge zu investieren.
Ich bin gar nicht scharf darauf im Sommer mit ihnen auf Conventions zu gehen.
Alles alles nur, weil ich dadurch untrennbar mit den beiden Zeit verbringen müsste.
Und ihre seltsame Art in Reinform ertragen müsste.

In mir manifestiert sich allmählich ein Gefühl, das blankem Hass erschreckend nahe kommt.
Ich hatte so lange so viel Mitleid, weil die zwei in der Schulzeit so isoliert und gemobbt waren...weil sie aus seltsamen Elternhäusern kommen...aber allmählich weiß ich, dass das einer meiner größten Fehler ist.

Ich hatte einst auch Mitleid mit einem "Mann", der mich geschlagen, mich beschimpft und mich nahezu vergewaltigt hat.
Dabei kam nichts raus. Ich habe die Welt kein bisschen besser für ihn gemacht, dadurch, dass ich mich ihm aufgeopfert habe. Er war selbst so voller Selbsthass und Minderwertigkeitsgefühlen, dass kein Außenstehender ihm jemals hätte helfen können.

Naja, etwas kam doch dabei heraus. Meine Panikattacken...und meine Angst vorm Leben an sich.

Ich bin nicht so stark, wie ich immer geglaubt hatte. Das ist mir seitdem klar.
Und nun bin ich wieder in so einer verfahrenen Situation. Ich war dabei mich selbst zurückzunehmen, andere auf mir herumtrampeln zu lassen, weil sie mir erst leid taten, später, um den Frieden zu erhalten.

Wie lächerlich.

Vermutlich werde ich immer wieder in solche Situationen schlittern bis ich endlich endlich meine Lektion gelernt habe.

Und genau deshalb muss ich jetzt da durch.
Wenn sie mich ignorieren, ist es besser als wenn sie mich verbal piesacken.
Lieber bin ich allein als von denen auf der Nase herumgetanzt zu bekommen.

Aber trotzdem...trotzdem fühle ich mich so schrecklich einsam und...machtlos.
Sie sind zu zweit und ich bin allein. Verdammt nochmal.
Wie soll ich das lösen? Was soll ich tun, damit ich wieder normal leben kann....mit denen unter einem Dach.

Ach mensch.

Eben kommt Klara in mein Zimmer.
Ich schulde ihr noch 3,50 Euro und die Tomaten da sind für den Mittwoch.