Willkommen auf Tagtt!
Friday, 29. March 2024
Alle » News, Bilder, Videos - Online
2008-07-08 16:46
Leipzig (1)
Ich war überrascht, nicht weit entfernt von der Leipziger Innenstadt noch auf Häuser zu stoßen, an denen anscheinend seit Kriegsende nichts gemacht wurde. Teilweise handelte es sich um sehr schöne, alte Häuser des Großbürgertums. Die Fenster sind vernagelt und verbrettert, die Hoftüre mit einer Kette verriegelt, Warnschilder weisen darauf hin, daß Unbefugte hier nichts zu suchen haben.

Dennoch weisen aber etliche Indizien ("Zivilisationsmüll") daraufhin, daß eben jene sich dort aufgehalten haben und es vielleicht immer noch tun. Was macht schon neugieriger, als ein zerfallendes Haus, ein verwilderter Garten, ein Weg, der optisch zwar in einem dichten Gestrüpp endet, gedanklich aber eine Welt jenseits der zivilisatorischen Ordnung hervorruft? Und wenn dann noch ein Verbotsschild hinzukommt, dann kanns eigentlich kein Halten mehr geben.

Viel weniger spannend dagegen das moderne Hotel, in dem ich untergebracht war. Sicher eines der besseren Sorte, ich habe es auch sehr genossen, einmal richtig gut untergekommen zu sein. Abends stand zur Entspannung eine (wie das heute so heißt) "Wellness"-Oase zur Verfügung, von der ich gerne Gebrauch gemacht habe. Nicht viele taten das. Und so standen mir einen Abend Whirlpool, Sauna, Kaltwasserhöhle und Sonnenbad ganz allein zur Verfügung, weshalb ich mich an diesem Abend wie ein orientalischer Märchenprinz fühlte. An einem anderen Abend teilte ich mir die Oase mit einem mitgereisten Kollegen und seiner Freundin, was mir ebenfalls gut gefiel.

Beim Abrechnen am Abreisetag fiel mir am Hotelier auf, wie angestrengt er war. Die Arbeit in einem Hotel ist sicher eine der schwierigsten und wird dazu noch schlecht bezahlt. Dabei schaut so ein Hotelierin der Regel gut aus und ist angenehm gekleidet, zumeist besser als ich selbst. Ich sagte ihm noch, daß der Wasserkocher auf meinem Zimmer nicht funktioniert hätte, ich aber ansonsten sehr zufrieden wäre, und ich bedankte mich. Er quittierte das kurz ("Wasserkocher defekt, werde ich melden"), das wars.

Für meine Kinder habe ich ein paar Hotelsachen eingesteckt, besonders mögen sie es, wenn ich ihnen Kakao mitbringe, den sie am nächsten Tag trinken können. Auf diese Weise haben sie auch ein bißchen "Hotel". Meine Kinder lieben Hotels und Pensionen - vermutlich, weil sie sie nicht sehr oft von Innen zu sehen bekommen.

Ansonsten ist Leipzig - wie so viele ostdeutsche Städte - eine große Baustelle. Die Universitätskirche wird derzeit wieder aufgebaut (erst dachte ich schon, es wäre der Neubau des Landesfinanzministeriums, aber das war ein Mißverständnis), Abriss war noch zu DDR-Zeiten, gegen den scharfen Protest der Bevölkerung. Ein großer Hotelkomplex war ebenfalls im Bau, außerdem ein Tunnel, der die Altstadt unterführen soll. Der Platz zwischen Bahnhof und Innenstadt ist immer noch groß genug, um dort mehrere Fußballtuniere nebeneinander ausrichten zu können.

-

Aufgefallen war mir auch das Richard-Wagner-Haus, das eigentlich keines ist. Ein sehr scheußliches Relikt aus DDR-Zeiten steht heute an dem Ort des Hauses, in dem Richard Wagner gelebt hatte, ein Bronzeschild erinnert daran. Ein weiterer berühmter Leipziger Musiker ist Felix Mendelssohn-Bartholdy. Er wirkt viele Jahre im Gewandhaus, lebte zwei Jahre bis zu seinem Tod in Leipzig. Sein Wohnhaus war bis zur Wende noch Sitz diverser Fabrikationen, zuletzt ein Farbenstudio. Dadurch war es reichlich ramponiert und hatte wohl so gar nichts mehr von dem, was es zu Mendelssohns Zeiten aufwies: Bürgerlichkeit, Biedermeiertum, Glanz und Repräsentanz.

1993 wurden Haus und Garten - gefördert von Mendelssohn-Nachkommen (wovon es offenbar sehr viele gibt) - vollständig restauriert, und man kann heute durch das erste Obergeschoss des Hauses wandern und so eine kleine Zeitreise unternehmen. Zwar sind nicht alle Möbel Originalgegenstände, es wurde aber alles in etwa so wieder aufgebaut, wie es damals einmal war bzw. gewesen sein muß.

Ich hatte mich kurz einer Besuchergruppe angeschlossen, die den Ausgangspunkt ihrer Führung in dem kleinen Konzertsaal hatte. Nachdem die Einführung beendet war und die Teilnehmer nun den Saal verließen, setzte sich einer der Teilnehmer an den Flügel und spielte ein Stück aus Mendelssohns Zyklus "Lieder ohne Worte". Und zwar so, daß man ahnte, daß er es wohl spielen könnte, wenn er noch mehr Zeit zum Üben hätte. Eine Teilnehmerin bemerkte denn auch etwas spöttisch: "Ist es wenigstens Mendelssohn, was er da spielt?"

Johann Sebastian Bach darf ich hier nicht auslassen, aber er ist ja als berühmtester Stadtsohn hinlänglich bekannt. In der Buchahndlung gegenüber der Thomaskirche habe ich ein Büchlein mit Geschichten aus seinem Leben gefunden, welches ich meiner Nichte zu ihrem 10. Geburtstag zugesandt habe.

Arbeit gab es für mich auch: und zwar betreute ich einen Stand auf dem "Wissenschaftssommer" auf dem Augustusplatz. Dadurch bekam ich viel Kontakt mit der Leipziger Bevölkerung, besonders der jungen. Es waren alles sehr nette Menschen, bei der Jugend fielen mir nur wenige Gruppen auf, bei denen der Gedanke auftrat, daß ich diese Gruppe nun eigentlich lieber nicht an meinem Stand hätte.

Soweit. "Und im 2. Teil erfahren Sie blablabla..."

MI

Kommentare

16:57 08.07.2008
Nur eine kurze Anmerkung: Nicht die Universitätskirche selbst wird wieder aufgebaut, sondern die Universität im Stil der ehemaligen Universitätskirche. Der Komplex wird nicht als Kirche genutzt werden (zumindest nicht vorrangig) sondern es werden dort die Vorlesungen stattfinden, beispielsweise die der juristischen Fakultät (meiner ;) ), die momentan in die Medizinische verlegt worden sind.
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
Löschen | Abbrechen

Kommentieren


Nur für registrierte User.

2008-07-08 16:46