Anfang August, keiner hatte wirklich damit gerechnet, bekam Jörg einen Brief mit der Nachricht, dass die Ausreise seiner Familie genehmigt sei. Den Zeitpunkt würde er noch erfahren. Jörg freute sich natürlich, aber Helmut und Elvira fielen aus allen Wolken. War denn dieser Staat ganz und gar verrückt? Sie ließen lauter junge Menschen ausreisen. Was sollte das? Keiner konnte mehr die Politik dieser DDR begreifen. Sabine Voss, die einzige Tochter von Elviras Bruder Peter war im Vorjahr mit ihrem Mann ausgereist und man hörte gleiches von sehr vielen anderen jungen Leuten.

Sollte es Elvira genau so gehen wie ihrer Mutter Lotti vor über zwanzig Jahren? Auch sie hatte von ihrem Sohn in einem Land getrennt gelebt. Würde auch sie wie ihre Eltern auf das Heranwachsen der süßen kleinen Enkel verzichten müssen? Tausend Fragen gingen ihr durch den Kopf und als Sohn Dirk dann noch sagte: „Wenn Jörg nach dem Westen geht, bleibe ich auch nicht hier!“Da war es ganz aus.

Jetzt erwogen Elvira und Helmut ihre Möglichkeiten. Durch die Erleichterung der Reisebestimmungen gab es eine Gelegenheit, es ihren Söhnen gleichzutun. Ende September 1989 feierte Elviras Bruder Hans-Jürgen mit seiner Frau Ingrid Silberhochzeit. Sollten sie dazu alle beide die Reisegenehmigung bekommen, hieße das für sie, dass sie im Westen bleiben könnten.

Voraussetzung wäre allerdings, es klappte mit Dirks Ferienreise und dem Grenzübertritt in Ungarn. Dirk hatte bereits im Frühjahr eine Aufenthaltsgenehmigung für Ungarn beantragt und auch bekommen. Er wollte sich dort mit seiner Cousine Maike treffen. Das kam ihm jetzt gerade recht. Für beide Jungen der Schefflers bestand nun tatsächlich die Möglichkeit, der DDR den Rücken zu kehren. Wenn wirklich auch die Eltern wegwollten, mussten jetzt Vorbereitungen „für alle Fälle“ getroffen werden.