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Tagebuch Neith
2005-12-08 22:03
Seele und Blut
Ich fand ihn wieder, meinen Rilke: wie ein erwählter Vater ist er mir manchmal, vielleicht auch eher wie der große, sanfte Bruder, den ich mir statt meines eigenen Blutsverwandten wünsche, Süheda, der so sehr Wrack geworden ist. Sein Leben scheint sich nun stabilisiert zu haben und ich freu mich für ihn: doch es ist nun klar, dass er seines Lebens ist und ich meines: Er scheint es nichtmal für nötig zu halten, sich auch nur einmal bei mir zu melden ... ich weiß, dass er sich Liebe wünscht, aber warum auf eine solch passive Art? Er sieht die Liebe als Göttin, der er sich zu unterwerfen hat, sich zu unterwerfen wünscht, ja in der Passion fällt ja vieles leichter als in der Aktion. Auch Rilke sagt, wir sollen "wie die Dinge werden", die an sich geschehen lassen, doch sprach er auch von der Schwere der Liebe und dass wir jungen Menschen noch zu unerfahren seien, um mit der Liebe umgehen zu können. Wie ekliger Kleber ist es mir manchmal, die Liebe, die sich mein Bruder Süheda wünschte. Ich hoffe, dass es ihm nun gut geht mit seinem 15-Stunden-Job und dass er hart arbeitet und System in sein Leben bringt, vielleicht kein sauber gegliedertes, aber doch ein überschaubares anstatt seinem Chaos: das wünsche ich mir, denn ich sehe denselben Chaos in mir und wünsche ihn fort - - -
Ich bin so dankbar, Rilke begegnet zu sein. Nun habe ich seine gesammelten Werke in den Händen: finde Worte, die ich niemals hervorgraben könnte aus meinem eigenen dämmrigen Dunkel: Worte, die ich nicht halten kann. Nichts, nichts dergleichen findet sich in meinem Wortschatz, solchiges auch nur zu beschreiben: meien Unfähigkeit liegt mir vor Augen, aber ich bin nicht traurig darüber, ich freue mich, in den Werken dieses nun seit langem verstorbenen Mannes ein Gegenstück zu finden, in dem ich mich spiegeln kann, tiefe Wasser, die mein Angesicht spiegeln: Bleib ich hier stehen, wird sich mir immer nur dieses Gesicht offenbaren: Tauche ich in das Wasser ein, werde ich einst jene Tiefe erfahren, nach der ich mich sehne: jene umhüllende Tiefe voller Stille und Schweigen, jenes kostbare Schweigen, das in den Ohren klingt, reinste Musik.

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