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Tagebuch MI
2006-02-08 16:56
Die Öffnung des Meeres

Ich merke jetzt erst langsam, wie sehr die Beschäftigung mit der Welt und den weltlichen Dingen Aufmerksamkeit von mir abzieht. Diese sollte sich eigentlich viel mehr nach Innen richten als nach Außen. Wenn ich bei anderen Tagebüchern sehe, wie das gelingt, wie friedlich diese Texte auf mich wirken, dann fühle ich mich unwohl und denke mir, ich sollte nicht so ein Aufhebens um die Welt machen.

Die Welt ist, wie sie ist, ich kann an ihr gar nichts ändern. Ich kann noch nicht einmal wissen, was überhaupt wahr ist von alledem, was mich da erreicht. Sei es beruflich, seien es Nachrichten, was immer es ist: alles wird nur irgendwie transportiert. Irgendwo geschieht irgendetwas, irgendjemand hält das fest, gibt das weiter. Jemand anderes berichtet darüber. Und zwar gar nicht mehr objektiv, sondern nur noch in dem Sinne, daß es gut ankommt. Was soll ich denn mit so etwas anfangen und warum dem noch einen Wert in Form von Aufmerksamkeit beimessen?

Wahr ist immer nur das, was unmittelbar geschieht, und ich selbst das bezeugen kann, ohne es gedanklich zu interpretieren. Alles andere ist mehr oder weniger verfälscht, verdreht, verlogen. Irgendwo werden zwischen irgendwelchen Menschen irgendwelche Entscheidungen getroffen, Richtlinien erlassen. Das alles wird nach unten weitergegeben und weitergegeben. Heute ist dies wichtig, morgen das. Wenn ich mich ständig danach richte, mache ich mich selbst zum Spielball der Ereignisse und vergesse ganz, worum es mir persönlich hier eigentlich geht. Natürlich spielt der Druck, für eine Familie aufkommen zu müssen, keine unerhebliche Rolle und verführt mich in vielerlei Hinsicht zu voreiligen Kompromissen und Zugeständnissen.

Obwohl ich mich manchmal frage, ob dieser Druck nicht einfach nur einen Charakterzug von mir verstärkt, der sowieso vorhanden ist.

Dieses Verstärken führt dann dazu, daß dieser Charakterzug - vorauseilender Gehorsam, Hilfsbereitschaft, voreiliges Ja-Sagen (was vermutlich letztlich auch nur wieder ein Ego-Schutzinstrument darstellt) - nur noch deutlicher zum Tragen kommt. Das wiederum hat allerdings den Vorteil, daß mich dieser Charakterzug mehr und mehr annervt und ich mich immer wieder frage: warum machst Du das eigentlich alles? Interessanterweise ist das ja ein sich selbst verstärkender Prozess. Es spricht sich schnell herum, wenn da einer ist, der schon mal aushilft, einspringt.

Es gibt Menschen, bei denen spielt Hilfsbereitschaft keine Rolle. An ihnen prallt alles ab. Die werden auch erst gar nicht gefragt. Ich weiß nicht, ob das eine Lösung ist. Aber schaden tut es denjenigen offenbar nicht. Es mag auch mit einem Inneren Auftrag zusammenhängen. Wenn man klar weiß, was man zu tun hat, dann fällt es eben leichter, zu Dingen "Nein" zu sagen, die nichts mit diesem Inneren Auftrag zu tun haben. Bei mir ist es oft so, daß ich zwar diesen Inneren Auftrag verspüre, trotzdem immer wieder in diese Situationen hineingerate, die mich von ihm ablenken.

Ablenkung ist vielleicht sogar DAS Stichwort. Ja, ich lasse mich immer noch zu sehr ablenken und bin nicht stark genug, mich von den Geschehnissen abzukoppeln. Ich glaube aber, daß dies manchmal nötig und sogar elementar ist, wenn man nicht zwischen den Kräften zerschlissen werden will. Deswegen ist das Aufspüren des Inneren Auftrages wichtig. Der, der ihn gefunden hat, ist zu beneiden. Denn dann hat alles Für und Wider ein Ende. Da gibt es kein Zögern mehr, sondern nur noch Handeln. Und Abblocken von allem, was dem im Wege steht.

Wer diesen Auftrag nicht kennt, der verfällt der Ablenkung. Der erträgt dieses ewige Suchen nach Sinn und Daseinsberechtigung nicht, der muß seine Fragen irgendwie betäuben. Und man kann wohl problemlos seine Neigung zu Ablenkungen als ein Maß dafür auffassen, wie nahe man seinem Inneren Auftrag gekommen ist. Hat man ihn gefunden, stellen sich rasch alle Ablenkungen als Zeitverschwendung und Kompensationen heraus, die man dann nicht mehr nötig hat.

Dann glaube ich, tut sich das Leben vor einem auf, wie es das vielbeschriebene Rote Meer vor Moses und den Israeliten getan hat. Es wird einem einen geschützten Korridor öffnen, durch den man mit seinem Volk - das sind die eigenen Ideen - hindurchwandern kann. Und dahinter wird sich das Meer wieder schließen und alle Ablenkungen (Angst, Sucht, Traumwelten) in sich verschlingen.

"Leben war nie als Kampf gedacht, sondern mehr wie ein Wandern von einem Tal ins andere".

Vermutlich ist das sinngemäß die richtige Deutung dieser Geschichte. Und ab und an blitzt für mich die Öffnung dieses Meeres auf. Dann ist auf einmal alles sehr leicht und es gibt keine Zweifel und keine Fragen, sondern einfach nur Dinge, die zu tun sind.

Michael

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