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Tagebuch MI
2006-01-28 10:20
Die Erosion des Präsidentenamtes

Meine Erinnerungen an einen deutschen Bundespräsidenten gehen eigentlich nur auf R. v. Weizsäcker zurück. Seinen Vorgänger habe ich nicht in bewusster Erinnerung. Weizsäcker hat mir eigentlich gut gefallen. Später kamen dann Einzelheiten der Familiengeschichte hoch, Weizsäckers mischen nicht erst seit Gründung der Bundesrepublik in der Politik mit.

Kritisch beäugt wurde das in der Öffentlichkeit nie, und ich selbst wollte dann auch gar nicht so genau wissen, ob die Weizsäckers nun irgendwelchen "Nazi-Dreck" am Stecken haben, oder was vielleicht sonst noch da zum Vorschein kommen könnte, wenn man sich näher mit der Familiengeschichte befasst. Als Präsident machte von Weizsäcker für mich jedenfalls eine gute Figur, er hatte sogar etwas Monarchisches, das mir gefiel. Vor allem aber zeigte er Statur und war doch wohl in seinem Amte ein unabhängiger Denker, der sich nicht in das Kohlsche System einbinden ließ. Allein dafür habe ich ihn respektiert.

Wenn Weizsäcker einmal was sagte, dann hatte das Hand und Fuß. Und wenn er sich skeptisch bis mahnend an die Politiker wandte, dann war das fundiert und immer ernstzunehmen. Als Weizsäcker schließlich ging, dachte ich, daß es eigentlich kaum möglich sein kann, die Amtsausfüllung wieder zu erreichen oder gar zu übertreffen. Bestätigt sah ich mich darin bei der Wahl Roman Herzogs: ein knochiger Bayer, was soll man von dem schon erwarten?

Tatsächlich aber hat er für meine Begriffe das Amt so gut, wahrhaftig und ehrlich ausgefüllt, wie kein anderer. Was ihm an der Weizsäckerischen Eloquenz vielleicht mangelte, das glich seine erstaunliche Einfachheit und Bürgernähe aus. Und legte offen dar, was ich bei Weizsäcker letztlich immer noch als störend empfand und eine letzte Skepsis ihm gegenüber nie ganz verfliegen lassen wollte.

Herzog mußte sich nicht wie Weizsäcker elegant-intellektuell und verblümt etwaige Untiefen umschiffend ausdrücken, sondern sein bloßes So-sein war Wort genug. Wofür Weizsäcker fünf Sätze brauchte, das sagte Herzog in einem Nebensatz. Herzog beherrschte die Kunst, genau nur so viel zu sagen, daß jeder mit gutem Willen und Ohren zu hören, wußte, was gemeint war. Und für die anderen nutzen noch mehr Worte ja sowieso nichts. - Herzog war ein Minimalist. Und mein Mißtrauen gegenüber einem bayrischen "Oberamtsrichter" wich bald Respekt und Anerkennung, ja sogar Vertrauen und Zuneigung.

Mit Rau kam dann der Absturz. Ich konnte es nicht fassen, daß das Amt des Bundespräsidenten einfach so an einen alternden Politiker als Grabbeigabe verschachert wurde. Mit Rau fing meine Achtung diesem Amt und der ganzen Politikergarde (bis dahin hatte ich die noch) gegenüber an zu bröckeln. Seine Amtszeit bestätigte mein ungutes Gefühl. Rau war blaß, Rau war väterlicher Freund seiner "Brüder". Rau bekam das Amt geschenkt, als Ausgleich dafür hatte er sich konform zu benehmen und tat das auch. Rau war blaß.

Ähnlich, wie ich nach Weizsäcker dachte, daß seine Amtsausführung schwer zu "toppen" sein müßte, erging es mir mit Rau: ich dachte, die Blässe, Konformität und Ideenlosigkeit kann eigentlich nicht geschlagen werden. Und als schließlich mit Köhler ein Mann in dieses Amt kam, der doch eigentlich einen beeindruckenden Lebenslauf mit sehr viel wirtschaftlicher Erfahrung mit sich brachte, da dachte ich schon wieder an eine Art Idealbesetzung.

Tatsächlich aber hat es Köhler geschafft, sogar noch Rau zu unterbieten: noch blasser, noch konformistischer, noch ideenloser. Schafft es denn der Mann auch nur einen Satz zu sagen, ohne in sein (von einem Dritten geschriebenes, versteht sich) Manuskript zu blicken? Bei Merkel ist ja das gleiche zu beobachten. Und ich vermute, daß die Abhängigkeit von Manuskripten direkt proportional zu der Verstrickung in Lügengebäude ist. Wer nichts zu verbergen hat, wer schlicht und einfach sagt, was in ihm vorgeht, der braucht keine Redevorlagen. Der braucht keine Angst davor zu haben, etwas falsches zu sagen. Bei dem kommen die Worte so heraus, wie eine Hand mit der Kelle den Suppentopf umrührt.

Die Angst, etwas "Falsches" (was doch eigentlich die Wahrheit ist) zu sagen, die nimmt zu, nicht nur örtlich hier und da, sondern großflächig. Was jetzt eigentlich nur noch passiert ist die Einschwörung der Massen auf die vorgezeichnete Linie, wovon abzuweichen nicht geduldet wird und mich der Umgang mit Abweichlern mittlerweile an kirchlich-mittelalterliche Verhaltensweisen erinnert.

Dies allein niederzuschreiben, ist das eine. Nicht mehr als eine Feststellung. Was ich mich frage ist, ob dies alles so unabwendbar und unaufhaltsam ist, wie es scheint.

Michael

Kommentare


unbekannt
14:45 30.01.2006
Lieber Michael,
interessante Betrachtungen!
Ich bin wohl ein paar Jahre älter als Du, kann mich aber noch bewusst an Heinemann und Scheel erinnern.
Mein Lieblingspräsident ist Carl Carstens. Hängt wohl damit zusammen, dass ich bei Kohls Machtübernahme 1982 gerade 18 Jahre alt und damit frisch im wahlberechtigten Alter war. Die ganze Mauschelei um das Konstruktive Misstrauensvotum und die verschobene Neuwahl hat mich wütend gemacht. Meine Wertschätzung hat der Politikerstand bereits damals verloren.
Der einzig Aufrechte in dieser Zeit, als Demokratie und Ehrlichkeit mit Füßen getreten wurden, war Carl Carstens. Ich erinnere mich noch, wie erleichtert ich war, als ich seine Begründung für die Bundestagsauflösung las: geradlinig und ehrlich. Auch, wie er vorher seine Bedenkzeit nutzte und den Akteuren die sprichwörtlichen Ohren langzog, hat mich beeindruckt.

Wenn Du mal vergleichst, wie sich Köhler in dieser Situation verhielt - dazwischen liegen Welten!

Weizsäcker empfand ich immer als Schönredner und Weichspüler. Herzog hat viele Mißstände beim Namen genannt, dafrü gebührt ihm Respekt. Aber für meinen Geschmack tat er das etwas zu häufig. (Auf Bayern 3 lief irgendwann eine Satireserie "Die Mahnungen des Roman H.") Vor allem hat er nicht allzu viel dagegen ausgerichtet.

Die schönsten Redepatzer eines früheren Bundespräsidenten gibt es unter www.heinrichluebke.de.

Gruß
Ralf


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unbekannt
17:02 28.01.2006
Toll,und was hab ich davon wenn ich das lese?ändert sich dann vielleicht doch etwas?wahnsinn

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unbekannt
16:49 28.01.2006
Köhler ist ein opportunistischer, gewissenloser Karrierist, der überhaupt niemals so etwas wie den Wert eigenen Denkens und nonkonformistischer Zivilcourage kennen oder gar schätzen gelernt hat.

Und gerade dadurch paßt er so perfekt zur heutigen Bundesrepublik und den darin vorherrschenden Charakteren.

Gruß
GL


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