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Tagebuch Tyche
2006-10-04 01:23
Herbstnebel
Das Ende einer gemeinsamen Taxifahrt.
„Denk an mich, wenn du in dem Buch liest von dem Berg der Einsamkeit.“
Sie stieg aus. Er umarmte sie intinktiv, spürte plötzlich, dass er diese wildfremde Frau, deren Namen er nicht einmal kannte, nie wieder loslassen wollte. Seine Erziehung und die in ihm unsichtbar eingravierten gesellschaftlichen Normen liessen ihn nicht einmal denken an den Schmerz der Trennung, an den Ozean der Tränen, der jetzt fällig wäre, würde er nur einfach Mensch sein.
Also atmete er schnell noch tief ein, während er versuchte diese Umarmung bis zur Grenze des Zulässigen zu verlängern. Erst als er spürte, dass die Dauer drohte ihn als nicht normalen Abschiedsumarmer zu entlarven, ließ er locker, nahm noch schnell einen tiefen, tiefen Atemzug ihres Duftes und öffnete die Arme für seine ihn liebende Einsamkeit, die ihn nie enttäuschen würde, von der er wusste, sie pfeift auf alle gesellschaftlichen Normen und auf seine gute Erziehung.
Die Tür des Taxis klappte zu. Ein sattes, Sicherheit und Geborgenheit spendenes Zuklappen, dass die Akkustikingenieure dieses Autofabrikats da designt haben. Doch hatten sie nicht bedacht, dass dieses satte Klacken der Taxitür ihn vor dem tiefen Fall seiner Seele bewahren würde, dass dieses Klacken neben dem Innnenlicht, der Heizungswärme und der Stimme des Taxifahrers eine Leine des Fallschirms war, der ihn vor dem Aufprall auf dem lebensnächtlichen Nichts bewahren würde.
Die Illusion der Hoffnung auf Erlösung schwebte so sanft zu Boden.
Es blieben nur blutleere Verletzungen seiner Seele.
Das Taxi fuhr durch den Herbstnebel der Oktobernacht. Der Fahrer fluchte über die schlechte Sicht und blendete auf. Das grelle Licht der Augen seines Fahrzeugs aber ließ ihn die undurchdringliche Nebelwand nur noch besser sehen. Am Ziel der Fahrt angekommen ,gab er ein höfliches Trinkgeld, warf die Taxitür zu, hörte unbewusst die dumpf klackende in einer Autofabrik konstruierte Geborgenheit und stand da: Allein, umgeben nur von einem unsichtbaren Lebensnebel, der die Ursache war für seine Lebensangst, die er in dieser Nacht durch die Ekstase des Tanzes besiegen wollte, ohne dass er es wüsste, welchen Kampf er kämpft in seiner grenzenlosen Freude des Sichselbstvergessens im Tanz zur Musik.
Er betrat seine Wohnung, wurde augenblicklich von einer sich sicher fühlenden Müdigkeit überfallen, rieß sich noch schnell die Kleider vom Leibe, dann warf ihn die gleiche Müdigkeit in den Schlaf. Bevor sein Bewußtsein sich verdunkelte, sah er noch einmal die gleißend helle Nebelwand und hörte es klacken.
Am nächsten Morgen wachte er auf als freier Mensch gefangen und geborgen in einem Netz der Illusionen.

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leben 

Kommentare


unbekannt
09:34 04.10.2006
Intensive Momente....ich kann sie nachempfinden, obschon sie weit weit zurück liegen auf meinem Weg...schön beschrieben...greifbar...als wäre es ich selbst gewesen.

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2006-10-04 01:23