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Tagebuch Tyche
2006-06-11 20:24
Glück und Moral
Auf der Suche nach dem persönlichen Glück sind wohl alle Menschen mehr oder weniger. Und die Sorge um sich selbst wird oft als unvereinbar mit der Moral vertanden, denn wer "egoistisch" die Erfüllung seiner Wünsche, die Erreichung seines persönlichen Wohlergehens verfolge, der scherrt sich nicht um allgemein gültige Verplichtungen, der nimmt keine Rücksicht auf andere. Anna Karenina verläßt ihren gefühlskalten Mann und ihr Kind, um mit dem Geliebten ein Leben zu führen, in dem sie ihre Leidenschaften ausleben kann. Ihr persönliches Glück ist ihr wichtiger als die Solidarität zu anderen, als die "Plicht", als die Ehe und das Kind
Sie tut dies, weil sie sonst ihre Selbstachtung verlieren würde. Doch sie kann nicht sicher sein, dass ihr Wunsch nach Leidenschaft, nach heisser, gefühlvolller Liebe wirklich erfüllt wird.
Aber ist Moral denn die Erfüllung sozialer Normen? Im Fall Annas also die Pflicht bei Mann und Kind zu bleiben. Ist Anna also unmoralisch, wenn sie zu ihrem Geliebten geht? Wäre die Antwort ja, dann müssten Annas eigenes Selbstverständnis, ihre Selbstachtung, die Achtung ihrer Vorstellung von ihrem Glück von ihr geopfert werden für die Moral. Wär dieses Opfer nicht unmenschlich? Und wenn ja, was für einen Ausweg gibt es?
Da Anna nicht weiss, ob sie mit ihrem Geliebten wirklich glücklich werden wird, weiss sich nicht, ob es sich lohnt die so verstandenen Moral zu opfern. Sie steht vor einem Dilemma, so wie wir alle immer wieder vor Dilemmata dieser Art stehen. Doch könnte eine andere Art zu denken, eine andere Auffassung dieses Dilemmas uns vielleicht einen Ausweg aufzeigen? Wie wäre es denn, wenn man die Wirklichkeit eines jeden, die Wirklichkeit der je unterschiedlichen Situationen anerkennt und sagt, dass schon derjenige moralisch handelt, der in seiner speziellen Situation abwägt, inwieweit soziale Normen und Selbstverwirklichung sich miteinander vereinbaraen lassen. Man versuche herauszufinden, was in der je individuellen Konfrontation der Normen, der Interessen anderer mit dem eigenen Glücksinteresse das moralisch Richtige sein könnte. Moralisch wäre dann schon das Erkennen eines Konfliktes und die Suche nach einer Lösung. Dann darf der Glückliche auch der Moralische sein und nicht der Unmoralische. Und der Moralische kann trotzdem der Glückliche sein.
Das Entscheidende ist allerdings, dass man in der Lage ist zu reflektieren, das Glück und Moral eben Begriffe sind, die mit Inhalt, mit Wirklichkeit, mit Erfahrung gefüllt werden müssen. Refklektion bedeutet sich überhaupt erst einmal klar zu machen, welche Bedeutung man selbst diesen Begriffen gibt. Denn jeder benutzt die Wörter doch die meisten wissen gar nicht, was sie meinen. Sie benutzen diese Wörter unrefklektiert, sie haben eine implizite Vorstellung von der Bedeutung von Glück und Moral, die sie unreflektiert jedem vor die Nase setzten. Sie lernen einen Menschen kennen, der versucht sich mit Hilfe von Büchern klar zu werden über zentrale Fragen seines Lebens und sie haben eine unbewusste Vorstellung von Moral, die beinhaltet, wer sich mit sich selbt beschäftigt, der kümmert sich nicht um andere, der nimmt keine sozialen Verplichtungen wahr. Diese unreflektierte und die mit abertausenden Schattierungen ausgetattete Wirklichkeit menschlicher Charaktere und Lebensituationen ignorierende vereinfachende Wahrnehmung kann natürlich nie zu einer neuen Erkenntnis führen. Sie wird die Menschen immer unterteilen, immer einteilen in moralisch und unmoralisch.
Eine weitere Konsequenz dieser unreflektieren Wahrnehmung ist, dass man die unreflektierten Auffassungen über die Bedeutung von Moral und Glück zum Maßstab nimmt für das Glück und die Moral aller anderen Menschen. Wenn dieser unrefklektierte Mensch dann noch an seine unterbewussten Definitionen glaubt, weil er sich sonst ja in Frage stellen müsste, anfangen müsste zu reflektieren, was ihm größte Angst einflösst., dann richtet er die anderen nach diesem unsichtbaren Maßstab und er hat das "Gefühl" zu wissen, wann die anderen glücklich sind und wann nicht. Doch es gibt eine unhintergehbare Regel, die alle einsichtigen, reflektierten und mit Mut zu Wahrheit ausgestatteten Menschen erkannt haben:

" Nichts darf als Glück zählen, das nicht von den Betroffenen als Glück erfahren werden kann. Man darf niemanden etwas als Glück zuschreiben, das er nicht selbst so bewerten kann"

Aussagen wie " ich habe das Gefühl, du hälst dich und beschreibst dich glücklicher als du wirklich bist" ignorieren diese Grundregel zwischenmenschlicher Kommunikation über das je eigene Glück. Denn wer meint, dies behaupten zu können, der hat eine implizite, unrefklektierte Meinung darüber, was denn das "wirkliche" oder wahre Glück für einen Menschen ist. Doch dies ist eben unmöglich zu wissen, was ein anderer Mensch als Glück empfindet, denn nur dieser weiss, wann er Glück empfindet.
Man kann sich natürlich fragen, warum wollen manche Menschen wissen wollen, wann andere glücklich sind, obwohl sie dies niemals können. Nun, Glück ist für jeden Menschen ein hohes Gut, ein Gut, dass jeder erstrebt. Es ist bedeutungsvoll und nicht wegdenkbar für jeden, was auch immer jeder unter seinem persönlichem Glück versteht. So kann natürlich der Aberglaube wissen zu können, was andere Menschen glücklich macht, dem Besserwisser im Wortsinne erheben. Dieser Glückswisser bedeutet sich selbst in dem Maße mehr als er glaubt zu wissen ,was das Bedeutenste für jeden anderen, nämlch sein Glück, bedeutet.
Genauso wenig wie das eigene Glückstreben die Sorge für andere ausschließt, wenn man bereit ist diesen unrefkletkieren Widerspruch neu zu denken, also zu refklektieren, genauso wenig wird es jemals möglich sein über das Glück der anderen mehr zu wissen als diese selbst. Und schon der Kampf um eine Beantwortung nach der Frage nach dem Richtigen kann moralisch sein und irgendwann einmal wird es vielleicht eine Anna Karenina geben, die ihre Ehe aufgibt während Glück und Moral zusammen leben.

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