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Tagebuch tao
2004-07-17 22:40
Alchemie und Medizin
Das Deutungsschema, womit Universum, Erde und Leib in einen kosmischen Zusammenhang gebracht werden, ist die alte, in der Alchemie dann systematisierte Korrespondenzenlehre von Mikro- und Makrokosmos.
In der theoretischen Alchemie ging es wesentlich um den Entwurf der Göttlichkeit des gesamten Naturzusammenhangs, der darin sich offenbart, daß der Leib der Erde, der menschliche Leib und der Kosmos ein lebendiges, harmonisches, in seiner Dynamik polar strukturiertes Ganzes bilden.

Die Erde wurde von Leonardo bis Goethe als Leib verstanden, die Gebirge als Knochen, die (unterirdischen) Flüsse als Adern, die Wälder als Haare. Die Metalle wuchsen in der Matrix der Gebärmutter der Erde, unter Einfluß der Planeten, deren Namen sie trugen und zu denen sie in musikalisch-harmonikaler Korrespondenz standen. Alles zusammen bildete ein selbstreguliertes Gleichgewicht, das der Montane und Metallurg zu erforschen und zu respektieren hatte, wenn er Anleitungen zur bergwerklichen Aushöhlung des Erdleibs gab oder im Labor, dem uterinen Schmelztiegel, eine Mimesis der Metalltransformationen im Erduterus ins Werk setzte. Erkennen vollzog sich als Lesen der Chiffrenschrift der Natur, als Vernehmen der Sprache, in der Natur figürlich zu uns spricht. Und natürlich ist Wissen Arkanwissen. Von daher erklärt sich auch ikonologisch die Nähe von Alchemie und Emblematik. Emblemkunst beruht auf der hermetischen Signifikanz der Dinge, bebildert und legt aus den chiffrierten Text der Natur.
Die melancholische Einsamkeit im Gebirge, wo der Adept sich mit dem Urältesten vertraut macht, entspricht der esoterisch-meditativen Abscheidung des Alchemisten von der Welt, der er sich

danach mit der exoterischen Seite seines Wissens wieder zuwendet.
. Wir erkennen jetzt diese Überzeugung als alchemistisch, nicht mythisch. Denn dahinter steht die Deutung des menschlichen Leibs als Mikrokosmos, als Kosmos Anthropos. Leibliche Gefühle und Organe stehen in lebendiger Korrespondenz zum Leib der Erde und zum Leib des Himmels. Letzterer ist Großer Mensch, Makranthropos. Auf dieser Grundlage entwickelten sich in der Renaissance drei miteinander verbundene Wissenschaften: Montanwissenschaft Astronomie Medizin.

Die Grenzwissenschaft besagt, daß der Kosmos und das "innere Selbst" des Menschen korrespondieren: "Wir träumen von Reisen durch das Weltall", sagt Novalis: "Ist denn das Weltall nicht in uns?" Die Natur als Ganzes ist weiblich

Kunst, Ikonographie und Rituale des Bergwerks waren immer Exponate der sakralen oder hermetischen Dimension des Montanbaus. Hier handelt es sich, soweit erkennbar, um eine inszenierte Vereinigung von Kosmos und Erdinnerem, Licht und Finsternis, Feuer und Erde, um die Darstellung des Sternenstroms und Himmelskreises durch die Grubenlampen im nächtlichen Gebirge: das ist alchemistische Tradition. Basis dieses Denkmusters ist die alchemistische Signaturenlehre, das Lesen der signatura rerum (Jacob Böhme) im Buch der Natur.
Der Leib repräsentiert das Ganze der Schöpfung. Dieses Wissen soll der hermetische Hintergrund alles ärztlichen Handelns werden. Das schließt an eine weitere Tradition an, nämlich die paracelsische Medizin. Paracelsus, der große Wundarzt und Wanderer wie Wilhelm, entwickelt die erste europäische holistische Medizin, in alchemistischer Form und auf Grundlage des Modells vom kosmischen Leib mit seinen "Sympathien" zu den Stoffen (Erden, Materien) und den Planeten.
Menschlicher Leib, Erde und Universum, die drei möglichen Lesarten vom Kosmos Anthropos. Sie sind Repräsentanten der aristotelischen Elementenlehre: Wasser, Erde, Luft und Feuer, erst zusammen bilden sie ein Ganzes. Ein guter Arzt wird erst, wer nicht nur viel gelernt hat, sondern in die Gefährdungen und Harmonien des Naturganzen initiiert ist, den elementaren und kosmischen Zusammenhang der Natur versteht und von daher das ärztliche Tun, paracelsisch und prometheisch zugleich, als re-creation ins Werk setzt, als Arbeit an der Wiederherstellung des integrierten Mensch-Natur-Zusammenhangs, als Mimesis des Schöpferischen in der Natur. Darum sind Arzt und Künstler Verwandte.

Zwei Seiten der Naturforschung sind gegeneinander zu führen: die technische Seite, die eine Welt des Stoffes den höchsten Fähigkeiten des Menschen zur Bearbeitung übergibt dies wäre materielle Aneignung der Natur, und die zweite, reflektierende, die auf eine Partizipation am kosmischen Naturganzen zielt. "Die höchste Gestalt, wozu sich der Mensch auszubilden hat", wäre die Integration dieser exoterischen und esoterischen Seite der Natur-wissenschaft.

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