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Tagebuch Stern
2005-10-28 00:09
Von der Dunkelheit ins Licht
Es ist Freitag. Der letzte Schultag ist überstanden. Die letzten Kursarbeiten für die ersten vier Wochen sind geschrieben.
Packen ist angesagt. Samstag früh soll es losgehen nach Lissabon.
Ich bin Mitglied in einem recht bekannten Chor. Die fünf Tage Lissabon sind eine Konzertreise , die von den Choreinnahmen größtenteils bezahlt wird.
Ein Teil in mir freut sich. Der andere kann sich nicht freuen. Er hat es verlernt.
Ich war unglücklich wegen meinem Freund. Ich war verliebt. Hatte dafür aber viel gelitten. Mit ihm und auch durch ihn. Es war nämlich so , dass er selbst mehr Probleme hatte als zu ertragen war: Eine recht kriminelle Vergangenheit (mehrere kleine Delikte) , Probleme weil er bei der Bundeswehr Mist gebaut hatte, keine eigene Wohnung , kaum Kontakt zu Eltern und außerdem hatte er den inneren Zwang zu ständiger Unehrlichkeit. So kam es ,dass ich oft durch Dritte , auch wenn diese Dritte die Polizei waren , von neuen Taten seinerseits erfuhr. Meine Familie war enttäuscht von mir und ich selbst wusste nicht mehr ein noch aus. Ich wollte ihm doch helfen. Ich liebte ihn doch. Jedenfalls ging er so weit , dass er mich , wenn es wieder Probleme gab , die er vor mir verheimlichte, auch manchmal schlug. Erst war es eine Ohrfeige , dann mehrere , brutalere , aus immer weniger plausiblen Gründen ,sofern es überhaupt plausible Gründe gibt.
Jedenfalls sah ich meine letzte Chance gekommen vor der Fahrt nach Lissabon von ihm wegzukommen. Ich brauchte Abstand , denn von Liebe konnte man schon länger nicht mehr sprechen. Auch von meiner Seite nicht. Es war eher Angst. Also wartete ich bis er anrief. Er rief auch an. Wie üblich: Erst war er freundlich , dann artete das Gespräch in Streit aus. Ich weiß nicht mal mehr den Grund.
Es endete damit ,dass ich Schluss machte.
Seine letzten Worte :"Und Tschüss" bevor er den Hörer aufknallte.
Ich vergoss ein paar letzte Tränen und ging schlafen.

Lissabon war einfach ein Traum. Wir wurden sofort von der Sonne begrüßt. Die Wärme durchdrang alles. Die Stadt selbst hatte einen wunderbar südländischen Flair. Die Häuser waren Schmuckstücke , von bunten Kacheln ganz und gar bedeckt. Alles war so wunderbar fremd , so herrlich neu.
Es sollten die schönsten fünf Tage seit einer langen Zeit für mich sein.
Schon ein Jahr vorher war mir John aufgefallen. Er war drei Jahre älter als ich und hatte einfach so etwas. Eine besondere Philosophie. Eine Art "Koste jeden Moment voll aus und mache aus deinem Leben das Beste , wie auch immer es kommt"-Philosophie. Vor einem Jahr , war ich ja selbst in einer Beziehung und hatte mir auf der vorigen Konzertreise einreden müssen , dass ich mich ja nicht in John verlieben dürfe. Jetzt durfte ich ja.
Das Problem war nur : Wir kannten uns kaum.
Die ersten beiden Tage war ich etwas wehmütig. John würde mich nicht wahrnehmen und meinen Ex hatte ich auch nicht mehr. Ich fühlte mich allein. Der dritte Tag war der Tag des Konzerts. Da begann es.
Wir sangen in einem wundervollen alten Barock-Schloss mit herrlichem Schlossgarten. Vor dem Auftritt hatten wir noch Zeit dort spazieren zu gehen. Es dämmerte schon und alles war in ein herrlich romantisches Licht getaucht. Ich flanierte alleine die Kieswege entlang ,als mir John und Nick , unser Saxophonist , entgegekamen. Ich sagte im Vorübergehen kurz "Hi" und kam mir im selben Moment noch blöd vor. Da stand John...Etwas größer als ich , wie es seine Gewohnheit war in bequemen Sachen, die schwarzen Haare kaum gestylt, und lächelte mich kurz an. Es war nur ein Moment , aber plötzlich dachte ich : er weiß dass es mich gibt. Das klingt jetzt blöd , aber es machte mich unheimlich glücklich. Mehr als diesen Moment gab es vorerst auch nicht. Dennoch folgten einige freundschaftliche Unterhaltungen nach dem Konzert. Wir wussten unsere Namen , erzählten kumpelhaft miteinander und gingen nicht mehr einfach aneinander vorüber. Wir waren Kumpel in meinen Augen. Wir hielten es am längsten Nachts auf der Piste auf ,feierten zusammen. Ich entdeckte auch einige Gemeinsamkeiten zwischen ihm und mir. Wir blieben einmal beide wie geschockt vor einem Pub stehen , weil wir Jazzmusik hörten und unbedingt reinwollten. stilvoll halt.
Am letzten Abend wollte ich schließlich alles auf eine Karte setzen. Entweder war er schüchtern , so wie ich teilweise , oder er empfand einfach nichts anderes als Freundschaft für mich.
Ich machte mich hübsch , nicht übermäßig , er sollte nicht glauben ich sei so eine aufgesetzte Modepuppe , aber so ,dass ich mich wohl und selbstsicher fühlte. Wir waren mit dem Chor fein essen. Der Zufall wollte es , dass ich neben Jan saß. Wir unterhielten uns viel öfter an diesem Abend. Vielleicht lag es auch daran , dass ich mich viel wohler fühlte , als zuvor. Der Abend klang locker aus , ohne dass etwas tiefergehendes geschah , was mich enttäuschte. Ich dachte mir plötzlich , dass es vielleicht gut so ist , da das mit meinem Ex ja kaum abgeschlossen ist und so weiter , aber der Gedanke konnte mich nicht trösten.
Später beschlossen wir jüngeren , Die "Young-Stars" , noch ins Queens , eine Disco , zu gehen. Es war Ladies-Night , das bedeutete alle Girls bekamen fünf freie Drinks. Ich glaubte an diesem Abend mir die Seele aus dem Leib zu tanzen. Alles Schlimme einfach abschütteln. Nur tanzen . Tanzen. Meine Füße taten in meinen Stiefeln höllisch weh , doch ich bemerkte sie kaum. Das ich immer mehr Drinks zu mir nahm , viel mir auch nicht weiter auf. Es war wie ein Rausch. Eine Art Nullpunkt. Altes war vergangen , Neues war weit weg. Es gab nichts zu verlieren. Und so verlor ich mich im Tanzen , der Musik , dem Lärm. Ich sah John tanzen mit Elli und Romy , zwei meiner Freundinnen. Zu mir kam er nie , doch ich konnte nicht einschätzen ob er sich nicht traute oder ob ich ihm einfach nicht hübsch genug war. Dieser Wirbel aus Tanz , Musik und Lärm hielt an bis circa halb fünf morgens , bis wir beschlossen zu gehen. Nur noch John , Elli , Romy , Jannis und ich waren übrig geblieben. Wir mussten zwei Taxen nehmen. Das erste nahmen Romy und Jannis , die eine "etwas engere Freundschaft" pflegten , im zweiten saßen John ich und Elli. Elli war schon so betrunken ,dass sie fast sofort einschlief. Ich saß , bzw. lag in der Mitte , John saß am Fenster. Ich weiß noch ,dass ich irgendwelchen Mist erzählt hab wie " der Taxifahrer fährt falsch , ich weiß nicht wo wir hier sind" oder auch " John? Du hörst dich an wie aus Watte".....Voll blöd. Jedenfalls hat er mich dann angelächelt und gemeint " Ja , ich bin halt kuschelig." Hab mich voll geborgen gefühlt , aber auch voll doof. Am Hotel stieg John zuerst aus und half mir als erstes aus dem Taxi. Ich lief ein paar Schritte und blieb dann stehen um auf Romy und Jannis und auf John zu warten , der gerade Elli aus dem Taxi hiefte. Plötzlich ergriff mich Traurigkeit. " Bilde dir doch nichts ein " sagte ich mir " John war nur nett zu dir , sonst nichts". Und ich drehte mich weg. Plötzlich nahm mich etwas von hinten in den Arm. Es war John. Er legte seinen Arm um meine Schulter und so liefen wir richtung Eingangsportal.Davor blieben wir kurz stehn um auf Elli zu warten. Während dieser kurzen Pause drückte ich mich ganz fest an John und er streichelte meine Hüfte.
Wir beschlossen noch auf unser Zimmer zu gehen. Elli legte sich sofort ins Bett und schlief dort ein. Jannis und Romy und ich und JOhn gingen noch auf den Balkon. Ich weiß noch dass Jannis und John von der Taxifahrt erzählten , als ich dazukam. Dann zog mich John mit einem Arm um meine Hüfte zu sich und meinte zu Jannis "Ja und unser Schätzchen Mariella hat auf einmal nicht mehr gewusst wo wir sind" und hat mich lieb angelächelt.
Dann haben wir uns in Decken gewickelt. Jannis und Romy in eine und ich und John unter die andere. John und ich saßen am Anfang einfach nebeneinander bis er meinte "Na komm schon her Herzchen" und mich in den Arm nahm. Ich war so glücklich. Unter der Decke streichelte er mich die ganze Zeit und drückte mich an sich. Er nahm auch meine Hand. Nicht gleich. Er war sehr vorsichtig. Ich war es nicht gewohnt , dass Männer rücksichtsvoll mit mir umgehen. Die Nacht zuvor hatte ich davon geträumt , dass John mich küsst , doch ich hatte an etwas derartiges nicht geglaubt. Dass er sich für mich interessieren konnte. Mit der Zeit sank ich in einen leichten Schlummer. Ich fühlte jedoch noch Johns Hände. Sie streichelten zärtlich an meiner Schulter und tasteten sich ganz sanft an meinem Ausschnitt entlang , trauten sich jedoch nicht mehr. Ich war überracht. Es klingt vielleicht armselig , jedoch hatte sich keiner meiner bisherigen Freunde nicht damit beeilt möglichst schnell intimere Stellen berühren zu wollen. Und ich bin sicher sie hätten diese Situation ausgenutzt. John jedoch nicht. Obwohl er über mein Dekollete strich kehrten seine Hände doch immer wieder zu meiner Hand zurück und nahm sie in seine. In Gedanken malte ich mir aus wie es wohl wäre mit ihm zusammen zu sein. Nach einer Weile gingen Jannis und Romy rein und legten sich schlafen. So waren John und ich kurz allein. Ich stellte mich mit verschränkten Armen an die Brüstung und blickte über die unzähligen Lichter Lissabons. Dann kam John hinzu und stellte sich neben mich. Wir erzählten über Oberflächlichkeiten , denn irgendwie konnten wir mit unserer Stimme nicht tun was wir mit den Händen konnten: Liebe zeigen. Schließlich sagte John " Du frierst doch bestimmt" und umarmte mich von hinten. Streichelte mir mit beiden Händen über meine Schultern in den Nacken , über den Rücken und legten sich um meine Taille. Wir verharrten so eine Weile. Wir sagten jedoch kein Wort. Es ging einfach nicht.
Wir verabschiedeten uns , als sei nichts gewesen. Sagten uns Gute Nacht.
Am nächsten Morgen war alles wieder kumpelhaft. Wir warfen uns gelegentlich Blicke zu. Redeten oft miteinander. Kaum ein Unterschied. Wir schienen lediglich mehr befreundet zu sein.
Als ich später im Bus mein Gepäck holte und mich hochstreckte , zwickte mir Jan in die Seite und lächelte lieb.
Beim Check-In meinte er wir sollten doch zusammensitzen. Zusammen mit Jannis in einer Reihe. Erst Jannis dann ich dann er. Wir saßen dann auch nebeneinander. Es schien mir jedoch mehr zufällig zu sein. Wir warfen uns blicke zu. Ständig. Auf der gesamten Heimreise.Fingen Gespräche an , die oberflächlich blieben. Es war zum verzweifeln. Keiner konnte aus sich heraus.
Meine Frage ist jetzt: "Wollte nicht?"
Tatsache ist: Es ist gut , dass wenn es sich entwickelt , sich langsam entwickelt. Denn nach all meinen Schlechten Erfahrungen weiß ich : Liebe muss wachsen.
Jedoch: Was mache ich jetzt? Wir haben nicht mal Nummern getauscht. Es ist alles so verstockt. Dabei weiß ich doch dass da was war. In diesem Moment auf dem Balkon in der Nacht in Lissabon , im Arm bei John , da war so etwas . So ein "Das ist das Leben" - Gefühl. So muss es sein. Es geschieht einfach wenn es sein soll. Das ist auch mein einziger Trost. Wenn es sein soll geschieht es.
Anscheinend verlangt das Schicksal von mir Geduld. Ich werde Ausdauer haben.
Versprochen.

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Kommentare

16:42 28.10.2005
wie schön !! ich wünsche dir alles liebe und viel glück !
leaf
Soll der Kommentar wirklich gelöscht werden?
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2005-10-28 00:09