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Tuesday, 16. April 2024
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Tagebuch staunistauni
 1953-04-11 hh:mm
Erste politische Kontraversen

 

Bis Ende der dritten Klasse betreuten ständig wechselnde Lehrer die vierundvierzig Mädchen. Am ersten Schultag des vierten Schuljahres erwartete die Klasse wieder einen neuen Lehrer. Als sich die Klassentür öffnete und Herr Krollmann eintrat, wurde er spontan von Elvira mit dem Aufschrei: „Hilfe!“ und „Ach, DER !“ begrüßt. Das Mädchen trauerte Frau Ketting, ihrer letzten Lehrerin nach, welche die Herzen der Kinder im Sturm erobert hatte.

Herr Krollmann war nicht mehr ganz so jung. Er war im Krieg gewesen und hatte wahrscheinlich gerade die „Antifaschistische Gehirnwäsche“ hinter sich. Sicher war er vor dem Krieg kein Lehrer gewesen und musste nun wegen seiner Kriegsverletzung umschulen. Nach und nach siegte bei den kleinen neun bis zehnjährigen Mädchen das Mitleid mit dem einarmigen Lehrer, auch wenn er manches Mal Fehler anstrich, die gar keine waren.

Genau in dieser Zeit, versuchte die junge DDR vor allem die Kinder und Jugendlichen von ihrer Politik zu begeistern. Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ und der Verband „Freie Deutsche Jugend“, wurden gegründet.

In den Schulen wurden die Klassen umstrukturiert. Aus allen vierten Klassen fasste man die Schülerinnen und Schüler, deren Vater Arbeiter war, zu einer neuen Klasse zusammen. Diese Gruppe nannte sich „R-Klasse“. Das bedeutete, dass diesen Kindern ab sofort verstärkt Russischunterricht vermittelt wurde.

Elviras Vater war Angestellter, also blieb sie mit weiteren Angestellenkindern und Kindern von „ Selbständigen“ in ihrer Gemeinschaft zurück. Elviras allerbeste Freundin Birgit, die auch für die R-Klasse vorgesehen war, rief: „Ich gehe da nicht hin, ich will bei Dir bleiben!“

Eines Tages kam Elvira ganz aufgeregt von der Schule nach Hause: „Wir können jetzt alle Pionier werden! Dann kriegen wir einen Ausweis mit einem Passbild und sogar ein blaues Halstuch. Einen Posten können wir dann auch in der Klasse bekommen. Ich bin ja so gespannt, ob ich gewählt werde!“ überschlug sich die Kleine. „Du brauchst bloß den Zettel hier unterschreiben, Vati!“ Ganz außer Atem war das aufgeregte Mädchen. „Quatsch, Zettel“ erregte sich Vater Alfred Schrader. „Ich will nichts mehr von Politik hören. Adolf Hitler hat mit seiner Politik alles kaputt gemacht und das, was die Kommunisten wollen, ist auch nicht in meinem Sinn!“

Elvira stand sprachlos vor ihm. Sie verstand nichts von alledem. „Aber Herr Krollmann hat doch gesagt“, fügte sie trotzig hinzu: „wenn man Pionier ist, dann wird man ein guter Mensch und außerdem kann man an ganz vielen Arbeitsgemeinschaften teilnehmen. Ich würde so gern beim Laienspiel mitmachen!“ „Das ist doch alles nur Mittel zum Zweck! Basta, daraus wird nichts!“ Damit hatte sich für Vater Alfred die Angelegenheit erledigt. Das Mädchen zog sich ins Badezimmer zurück und weinte bitterlich. Dieser Raum war der einzige Ort, wo sie mal für kurze Zeit ungestört sein konnte.

Die kleine Elvira, die es einfach nicht begriffen hatte, warum ausgerechnet sie nicht zu den Pionieren durfte, gab sich nicht so schnell geschlagen. In der Woche bis zu den Klassenwahlen schaffte sie es, von Mutter Lotti doch noch die Erlaubnis zu erbetteln. Lotti hatte Mitleid mit ihrer Jüngsten, die sich sonst von der Klasse ausgeschlossen fühlen würde. Stolz gab Elvira einen Tag vor der Wahl die Erlaubnis ab. Den beiden Klassenbesten Angelika und Barbara, die Töchter von „Selbständigen“, hatten ihre Eltern keine Unterschrift gegeben. Dadurch standen Elviras Chancen auf einen Posten gut. Und tatsächlich, Elvira wurde nicht nur zur Zirkelleiterin, nein sie wurde sogar zur Gruppenratsvorsitzenden gewählt. Somit hatte sie das Sagen über alle fünf Zirkelleiterinnen. Sie war wahnsinnig stolz, dass die Mitschülerinnen ihr soviel Vertrauen schenkten. Daheim angekommen, musste Elvi ihre Freude zurückhalten, denn vom Pionierleben wollte der sonst so liebe Vati kein Wort hören. Einmal, als er seine Tochter im Wohnhaus mit dem blauen Halstuch sah, sagte er ziemlich grob: „Mach gefälligst den Lappen ab, wenn du nach Hause kommst!“ Und so war Elvira Schrader, wie auch viele andere Kinder, seit frühester Kindheit immer zwischen „zwei Welten“ hin- und hergerissen. Oftmals wusste sie einfach nicht, was nun falsch und was richtig war.

Als in der fünften Klasse Frau Ketting die Mädchenklasse wieder übernahm, blieb natürlich die Wichtigkeit der politischen Erziehung, allerdings nahm es Frau Ketting damit nicht so genau wie ihr Vorgänger Herr Kollmann.

 

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