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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch staunistauni
 1957-11-10 hh:mm
Erste Gefühle für das andere Geschlecht


Im September des gleichen Jahres begann die Ausbildung. Das Lehrlingskollektiv bestand aus zwölf Jungen und sechs Mädchen. Elvira, deren eigener Wille ziemlich gebrochen war, ging schon völlig lustlos zur Aufnahmefeier. Alles, was dort gesprochen wurde, ging total an ihr vorbei. „Wie schön wäre es doch jetzt auf der Schulbank mit Birgit!“ Klavierunterricht hätte sie auch so gern genommen, aber auch das wurde ihr nach den vergeblichen Versuchen der Brüder, nicht gewährt. Statt dessen hörte sie hier von einem völlig nervenden Lehrausbilder Dinge über die Eisenbahn, die sie weder interessierten, geschweige denn, im Kopf behalten würde.

Zum Glück war ja da noch die Berufsschule. Aber dort blamierte sie sich auch gleich in den ersten Tagen. Als Frau Aheim, die Deutschlehrerin die Klasse aufforderte, sich für die Rollenlesung des Wilhelm Tell zu melden, hob Elvira die Hand, als es um die Hauptrolle von Tell ging. In einer Mädchenklasse war sie es gewöhnt gewesen, auch männliche Rollen zu lesen. Die Klasse brach in schallendes Gelächter aus, als die Lehrerin meinte: “Die männlichen Rollen überlassen wir doch wohl besser den Jungen!“

Da Elvira Schrader aber kein Kind von Traurigkeit war, fand sie sich so nach und nach mit ihrem vorgegebenen Weg ab. Die Mitschüler fand sie schon nicht mehr so doof wie zu Beginn. Nur der Lehrmeister nervte und nervte und redete und redete. Doch auch da fand ihr positives Wesen einen Weg. Es hatte keinen Sinn mit diesem Menschen drei Jahre im Hass zu verbringen und so versuchte der Teenager, die guten Seiten des Siegfried Büchner herauszufinden. Die positiven Betrachtungen des fünfzehn Jahre älteren Mannes nahmen mit der Zeit überhand und plötzlich machte auch das Lernen wieder Spaß. Er sah ja auch gut aus und wusste, da er so viel reden konnte, sicher fast alles von der Welt. Allmählich wurde er Elviras großer Jugendschwarm und sie lernte eigentlich nur noch für ihn. Weil Elvira mit keinem über ihre aufkeimenden Gefühle sprechen konnte, vertraute sie alles einem Tagebuch an. Dieses Tagebuch sollte ihr später noch schwer zu schaffen machen.

Da diese „Liebe“ völlig aussichtslos war, verschloss sich Elvira nicht vor den gleichaltrigen Jungen, deren Interesse sie mit ihrer nun einsetzenden körperlichen Entwicklung weckte. Aber eine nähere Beziehung verhinderte wieder der gestrenge Vater, der sein Töchterchen ständig kontrollierte. Hatte seine Elfe Spätschicht, so holte er sie stets vom Bahnhof ab. Einmal bestellte sie einen Verehrer zum hinteren Ausgang des Bahnhofes, weil Vater auf der anderen Seite wartete. Dass sich Alfred Schrader nur um sein Nesthäkchen sorgte, daran dachte Elvira überhaupt nicht. Sie ließ sich von dem jungen Mann heimbringen und verabschiedete sich von ihm mit einem Kuss vor der Haustür. Vater Schrader kam dazu und schwuppdiwupp flog Elviras Uniformkäppi durch die Gegend. Das war das erste Mal, dass sie von ihrem Vati eine „Ohrfeige“ bekam. Sie lief vor ihm Spießruten die vier Etagen hinauf. Mutti, die oben wartete, drehte sich zur Seite, um ihr Lachen zu verbergen. Sie, die wesentlich Jüngere, hatte eher Verständnis für ihre Kleine. Jedenfalls war es vorbei, Vater verlangte von Elvira den sofortigen Abbruch des Kontaktes, da der junge Mann schon neunzehn Jahre alt war.

 

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