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Tagebuch Silvanus
2006-05-05 01:57
Beltane
Insgesamt etwa 50 Stunden schlafen und trampen quer durch Frankreich und dazwischen knapp drei Tage in der Bretagne...
H. hat das schon etwa zwanzigmal gemacht, ich selber wusste gar nicht, dass es tatsächlich funktionieren kann, über so lange Distanzen per Anhalter zu fahren. Man lernt dabei jedenfalls viele interessante, manchmal auch seltsame Menschen kennen. Ich kann mich schon jetzt nicht mehr an alle erinnern, aber es war eine interessante Erfahrung, vor allem für jemanden wie mich, der zwar durchaus sehr gesellig, jedoch nur äußerst ungern auf andere angewiesen ist. Anstrengend war es natürlich auch, aber nachdem wir den Horrortrip in Versailles (mitten in der Nacht an einer einsamen Tankstelle fernab der Autobahn) überstanden hatten, da sich zufällig jemand auf dem Weg nach Bordeaux dorthin verirrte, und von einem netten Pärchen bis zu einer Raststätte zwischen Laval und Rennes mitgenommen wurden, schliefen wir ein paar Stunden auf einer nahegelegenen Wiese. Es war sehr kalt und ich konnte kaum schlafen, aber dafür wurde ich mit einem glasklaren Himmel und drei Sternschnuppen belohnt...

Am frühen Nachmittag kamen wir in Arzano an, ein kleines bretonisches Dorf bei Lorient, wo uns Alain, ein Freund von H., abholte. Er war mit seiner Familie dabei, am Steinkreis die Feuer für Beltane vorzubereiten. Ich habe die drei sofort ins Herz geschlossen. seine Tochter erinnert mich irgendwie an Ronja Räubertochter, und ich musste unwillkürlich denken, dass ich vielleicht doch irgendwann mal ganz gerne Kinder hätte- vor ca. vier Jahren wäre das für mich ein unvorstellbarer Gedanke gewesen und bin da immer noch sehrsehr skeptisch...

Wir gingen zusammen zur heiligen Quelle im Wald. Wir kannten uns jetzt eine halbe Stunde, aber keiner sprach. Irgendwie wussten alle, dass wir das gleiche fühlen. Ich sah im Quellteich die Reflektion der Sonne, die Schatten der Bäume, aber es war mehr als ein Spiegelbild. Als würde man aus dem Wasser auf die andere Seite schauen. Da war etwas anders. Was sich da "spiegelte", war kein bloßes Zerrbild. Es war lebendig.
Am Abend fuhren wir mit nach Lorient und bauten unser Zelt bei ihm im Garten auf. Alain musste weg und Brigitte kann nur Französisch. Obwohl ich keine Ahnung mehr davon habe, ich habe es seit der Grundschule nicht mehr gesprochen, habe ich versucht, mich mit ihr zu unterhalten, einfach weil sie mir so sympathisch war, und es ging irgendwie. Die Worte in meinem Kopf brauchten Minuten, um sich zu holprigen Sätzen zu formen, aber wir konnten uns irgendwie verstehen, ich hab mich so gefreut.
Abends fuhren wir ans Meer, ich habe Muscheln gesammelt wie früher als Kind und diesen Geruch nach Tang genossen, den es nur am Atlantik gibt.
Den Sonntag verbrachten wir gemütlich bei Alain, am Nachmittag fuhren wir wieder nach Arzano. Mittlerweile fühlte ich mich fast zuhause, auch dank Alain. Ich würde ihn gerne einen Freund nennen, und das werde ich, auch wenn ich ihn nur so kurz kennengelernt habe. Ich denke, wir werden in Kontakt bleiben. H. hat mir seine Adresse gegeben, sie meinte, dass wir viel gemeinsam hätten.
H. und ich verstehen uns besser als vorher. Sie weiß jetzt, dass sie mir vertrauen kann und ich fühle, dass sie mehr von mir versteht als früher. Wir bauten unser Zelt am Steinkreis auf, haben Essen gemacht und ein kleines Feuer. Ich nutzte den Abend um noch einmal alleine zur alten Quelle zu gehen.

Nemeton


Um Mitternacht gehe ich zu den Steinen und denke an dich, Löwin, wie wir es uns gesagt hatten. Ich weiß nicht, was du in diesem Moment getan hast, aber du warst für einen Moment da, bei mir. Ich blickte nach Osten und konnte dich spüren, fast körperlich, direkt vor mir, gerufen, gestreift, verbunden durch unsere Schwingen aus Luft.

Irgendwann kam die Kälte zurück, ich nahm das rote Licht, wärmte mich noch eine Weile am Feuer, löschte es, ging schlafen.
Irgendwann morgens begann es zu regnen. Wir standen auf, ziemlich verschlafen, und versuchten, das Beltanefeuer mit unseren Regenponchos trockenzuhalten. Irgendwann kamen Alain, Brigitte und Laura, halfen uns, das nasse Zelt abzubauen und über sdie Felder zum Hof von Maurice zu bringen.
Die meisten aus dem bretonischen Ghorsedd waren schon da. H. begrüßte viele Freunde, ich wurde vorgestellt, seltsam, dieses Gefühl, das all diese Leute, die meisten etwas älter, die keltischen Götter respektieren und allesamt Schüler, Ovaten, Barden oder Druiden sind. Einige "kannte" ich schon länger, durch Gespräche mit H., zum Beispiel ihren Paten, Youen, mit dem sie draußen auf Hebräisch über irgendetwas lachte. Ich wurde freundlich begrüßt, auch wenn ich zunächst nicht wusste, mit wem ich reden sollte- ich wollte H. Zeit lassen, mit ihren Freunden zu sprechen, die sie nur zwei oder drei mal im Jahr sieht.
Gwenc'hlan, der Grand druide, war nicht da. Er ist sehr alt und hat anscheinend oft mit seiner Gesundheit zu kämpfen. Ich hätte ihn gerne gesehen, H. hat mir von ihm erzählt und was er für sie bedeutet. Sein Stellvertreter, Per Vari, ist zwar ein sehr netter Mensch, aber er scheint mir nicht viel enigmatisches an sich zu haben, eher ein Druide aus kulturellen und tradtitionellen Motiven als aus wirklicher Berufung...
Was dort aber natürlich genauso respektiert ist. Das Ghorsez Vreizh sieht seine Hauptaufgaben, wenn ich es richtig verstanden habe, auch in der Förderung bretonischer Interessen.
Nach und nach verschwanden die meisten und tauchten kurz später in ihren blauen, grünen oder weißen Roben wieder auf.

Die Prozession zum Nemeton setzte sich in Bewegung, geführt von Gwen Ha Du, der bretonischen Flagge, und den Schwert- und Stabträgern.
Von dem,was gesagt wurde, es war natürlich bretonisch, verstand ich nur einzelne Wortfetzen, aber als sich alle um die Quelle formierten, am Ende eines Spruchs, rauschte der Wind in den Bäumen, von einer Sekunde zur anderen, stark und laut.
Durch den Steinkreis bewegte sich der Zug zu den Feuern, während Per Vari sprach, entzündete H. das eine Feuer, eine der Bardinnen das andere. Der Rauch von Frühlingskräutern breitete sich aus.
Einer der Gäste leiß seinen schwarzen Hund von der Leine, der die ganze Zeit gebellt hatte. Er beruhigte sich, lief davon und um die Versammlung, auf der gleichen Kreislinie, die Youen mit dem Schwert um uns gezogen hatte.
In einer Acht liefen wir alle um die beiden Feuer und dazwischen hindurch, dann wurde jedem der Choufré, bretonischer Met, gereicht.
Die Feier ist sehr rituell. ich selbst feiere anders, ekstatischer, aber dennoch berührt es mich. Ich freue mich einfach, es erlebt zu haben. Es ist ein anderer Weg als meiner, aber ich kann ihm ein Stück folgen.

Im Hof gab es anschließend ein gutes Essen, die Bombarde wurde gespielt und ich habe sogar ein wenig getanzt. Irgendeiner der etwas komplizierteren Kreistänze, dessen Namen ich vergessen habe, obwohl ich ihn schon oft getanzt habe. Zum Glück aber nicht die Schritte...
Ich machte mich später daran, die Sachen zu packen, die Versammlung drinnen hielt währenddessen ihre Beratung ab. H. kam irgendwann nach draußen, es gab wohl heftige Diskussionen, und eine der Druidinnen, Marie-Yvonne, die wohl genauso wenig Lust auf die politischen Interna hatte, würde uns jetzt mit nach Nantes nehmen.
Leider konnte ich mich nicht von den anderen verabschieden, da sie noch mitten im Gespräch waren, aber es war schon ziemlich spät, und wir mussten ja beide spätestens Mittwoch zuhause sein, Uni und so.
Auf der Fahrt nach Nantes habe ich mich lange mit Marie-Yvonne unterhalten, sie schien von ihren zwei seltsamen Begleitern ähnlich genervt wie wir. Als wir ausstiegen, hat sie mir noch ein Buch geschenkt- die Übertragung einer altirischen Sage ins Bretonische und Französische. Hmmm... ich kann weder das eine noch das andere, aber andererseits mag ich Herausforderungen. Ich will hoffen, dass ich es irgendwann lesen kann...

Die Irrungen und Wirrungen der Heimfahrt werde ich jetzt nicht näher ausführen. Auch wenn wir kurz hinter Straßburg in einem gottverlassenen Dorf uns vorübergehend am Rand der Verzweiflung befanden- ich denke, es genügt zu wissen, dass wir Dienstagabend in einem Stück (bzw. zwei) wieder hier waren.
Und dass ich jetzt erst begreife, wie sehr mir die Bretagne in den letzten acht Jahren gefehlt hat.
Euch allen- Noz vat.

current mood: tired, relaxed, wiser
current music: Primordial, "Dark Song"

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