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Thursday, 28. March 2024
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Tagebuch Schatten
 1918-12-04 hh:mm
Welche schrecklichen Tage liegen hinter uns!

Welche schrecklichen Tage liegen hinter uns! Daß sich Gott erbarme! Kaum war der eilige Durchzug unserer armen Truppen beendet, als am 1. Dezember die Franzosen, welche schon einige Tage in Saarbrücken und Saarlouis waren, auch hier einzogen! An diesen 1. Dez. werde ich denken, so lange ich lebe! Wir wollten gerade unseren Sonntagsspaziergang machen, als 2 Franzosen erschienen: „un Mabre a´sousher four an offizier“ verlangend.  Sie fanden Rudolfs Zimmer tres´bien und sagten, der Hauptmann komme um 7 Uhr! Wir warteten vergeblich bis 10 Uhr abends und gingen dann zu Bett. Kaum ruhte ich einige Minuten, da ging die Schelle, und als ich am Fenster fragte, wer da sei hieß es: L´offizier, qui demense ici!! Ich sagte, wir seien bereits zu Bett u. bat, zu warten. Da mein Mann nicht französisch spricht u. ich kein Mädchen habe, mußte ich dem Feinde selbst öffnen! Es war ein älterer Mann, sehr höflich, entschuldigte sich „de von diranger“ – ich zeigte ihm sein Zimmer! Seit dem ist er hier im Hause u. soll wohl noch 8 Tage bleiben. Er geht um 10 Uhr morgens, bis abends 10 Uhr fort, sein Bursche besorgt seine Sachen.-
So hätten wir es nicht schlecht getroffen mit der Einquartierung – wenn nicht die Schikanen des franz. Platz-Kommandanteur wären. Derselbe schloß sofort Post, Telephon u. Telegraph und verbot das Erscheinen der Zeitungen; nur wenn er Erlasse u. Bekanntmachungen veröffentlicht, darf eine Ztg. erscheinen. Weder politische noch lokale Berichte dürfen darin enthalten sein – und so erscheint unsere Zeitung im ¼ Format, nur mit den Bekanntmachungen des Landrats- u. Bürgermeister-Amtes und einigen Annoncen! –
Abends nach 8 Uhr darf niemand mehr auf der Straße sein; vor d. Hause unserer Tante Fuchs, wo der Stadtkommandant wohnt, steht eine Doppelwache! Sobald es dämmert, darf niemand unter das Trattoir vor Fuchs Haus betreten, die Wache stößt Jeden, selbst alte Leute, auf die Mitte der Straße.-
Heute erschien eine Bekanntmachung des franz. Kommandanten, welche die sofortige Ablieferung jeder Schieß- und Stichwaffe verlangt, ebenso aller Munition, bei Androhung der Todesstrafe! So haben wir dann die Jagdgewehre, sowie Rudolfs Säbel etc. alle auf das Rathaus geschickt – wer weiß, ob wir sie wiedersehen!-
Der Arbeiter- und Soldatenrat ist seit der Ankunft der Franzosen abgesetzt, nur 3 Wochen hat er regiert! Unbefugt beginnt sich nach dem Freiheitstaumel der letzten Wochen bereits eine Reaktion geltend zu machen.

Die besseren Bürger und viele aus dem Volke beginnen einzusehen, daß die Regierung der „Roten“ nicht Alles hielt, was sie versprach! Überall, wo früher Ordnung herrschte, ist jetzt ein ratloses Durcheinander, - es ist kein zielbewußtes, einheitliches Vorgehen mehr, sondern überall Unordnung und Verwirrung. Es beginnt bereits unter den Anfängern der Roten eine ablehnende Strömung, besonders in Saarbrücken und Umgebung; man sagt, daß die Sozialdemokraten dort viele Stimmen verlieren bei der Wahl zur Nationalversammlung. Nun suchen die Roten in der Zeit bis zur Nationalversammlung möglichst viel zu erreichen. Fast täglich erscheinen neue Beschlüsse, vor Allem ist das Zentrum getroffen durch die Entfernung der geistl. Schul-Inspektoren, das ist ein harter Schlag für die Schwarzen!
Erst am 19. Febr. soll in Berlin die Versammlung sein, vorher die Wahlen! Wann werden wir Frieden haben? Und welchen Frieden? Jammer!
Allgemein erhebt sich die Klage gegen den Kaiser, daß man das Volk getäuscht und uns den wahren Grund der Kriegslage verheimlicht habe!  Noch acht Tage vor dem Waffenstillstand – waren unsere Zeitungen voll von Kriegsberichten und Erzählungen, wie schlecht unsere Feinde stünden! Daß es vor Allem der Kohlenmangel war, an dem Frankreich und England zu Grunde gegangen wären – und daß sie beide Ende November Frieden hätten schließen müssen, da sie keine Munition mehr machen konnten – das hat uns Niemand gesagt!! Auch wird dem Kaiser vorgeworfen, daß er nicht einen „Aufruf an sein Volk“ erlassen und es zum „ Siegen oder Untergang“ begeistert habe, wie 1813!!
Besonders aber wird das wochenlange Zögern des Kaisers vor der Abdankung getadelt, man sagt, daß keine solche Revolution entstanden wäre, hätte er zeitig dem Throne entsagt. Auch sieht man es für Feigheit an, daß er aus Rußland flüchtete – der treue Hindenburg ist bis heute noch bei dem Reste des Heeres! –

Nun ist der Waffenstillstand bald zu Ende, und mit Bangen sieht man den Friedensverhandlungen entgegen. Mag es kommen, wie es will – die Rheinprovinz wird die Franzosen nicht mehr los – und wir sind hier gebunden!! So gehen wir in tiefer Trauer, nach 4 Kriegsweihnachten, der Weihnacht der Besiegten entgegen.

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