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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch Schatten
 1919-04-20 hh:mm
Streik und Arbeit

Die schweren Ostertage dieses Unglücksjahres bringen uns nicht, wie in früheren Jahren, eine kl. Erholung, sondern die Aussicht auf den nahen Abschluß des Präliminarfriedens, unter so entsetzlichen Bedingungen, trübt uns diese Ostertage! Die Feder sträubt sich, alle diese Leiden niederzuschreiben, welche wir jetzt erleben! Ich staune, daß wir älteren Leute diesen Jammer noch aushalten können, nach den schweren Kriegsjahren! Es vergeht kein Tag, welcher nicht eine neue Verschlimmerung brächte! –
Zuerst kamen unsere Setzer, drohten mit Streik, verlangten pro Mann monatlich 145 M. Teuerungszulage zu dem Lohn und 8stündige Arbeitszeit!  Nun gehen diese Herren um ½ 6 Uhr spazieren und der Prinzipal kann allein bis in spät abends arbeiten! Nicht die geringste Rücksicht auf den Arbeitgeber ist mehr vorhanden, der Hauptsetzer bei der Streikbewegung ist seit 35 Jahren in unserem Geschäft! Machtlos stehen die Prinzipale diesen Streikbewegungen gegenüber, es ist eine entsetzliche Lage! Dazu kommt noch, daß ein Staatsbankerott erwartet wird, was bei der erschreckenden Wirtschaft der neuen Regierung nicht anders kommen kann – dann ist unser durch Sparsamkeit und Fleiß erworbenes Vermögen verloren und wir sind durch die Not gezwungen, die Druckerei weiter zu führen, um leben zu können. Alle unsere schönen Pläne für ein ruhiges Alter sind vernichtet und – was mir fast das Herz zerbricht – die Zukunft meines geliebten Kindes liegt dunkel und traurig vor uns! Sein Regiment ist aufgelöst, wahrscheinlich darf er nicht einmal hierher kommen, da kein deutscher Soldat sich linksrheinisch aufhalten darf! – Die Franzosen haben dem Streik der Bergleute ein Ende gemacht, indem sie die Streikführer, 120 Mann, aus dem Lande wiesen;  sie wurden im Extrazug nach dem rechtsrheinischen Gebiet gebracht und mit ihnen viele Personen, welche sich als franzosenfeindlich bewiesen hatten, darunter Pfarrer de Haas, Saarlouis welcher in der Predigt die zurückkehrenden  Soldaten als „ unbesiegte Kämpfer „ begrüßt hatte und Buchdr. Besitzer Hansen, welcher diese Predigt in seiner Zeitung abgedruckt hatte. Zwei Pfarrer aus Saarbrücken, sowie der Oberbürgermeister wurden auch fortgebracht; hier bei uns herrscht eine schreckliche Spionage, man kann kein Wort mehr sprechen. Außer den frz. Spionen sollen auch deutsche Merziger Eingeborene, als Spione in frz. Sold stehen! Ein neuer Beweis für den rheinischen Volkscharakter – verlogenes verächtliches Gesindel! – Ein Zeichen dieser Zeit ist die Scheu vor der Arbeit! Niemand will arbeiten – die Bauernarbeiter fordern 8 Stunden-Arbeit und unerhörte Löhne!
Da kehren in letzter Zeit viele Russen, welche letzten Sommer hier noch als Gefangene weilten und arbeiteten, hierher zurück und nehmen die Feldarbeit wieder auf! Die Armen kamen bis an die russische Grenze, sahen die Schrecken des Bolschewismus, kehrten wieder um und suchen nun hier die alten Arbeitsstätten. Es sind meist ältere, ruhige Menschen und fleißige Arbeiter. –
Die Lebensmittel sind sehr teuer: Butter pro Pfund 16 M. – Eier, das Stück eine Mark. Fleisch 4,50 – 5 M. pro Pfund!! --- ---
Heute ist es ein Jahr, daß ich ohne Dienstmädchen, nur mit einer Stundenhilfe, haushalte!
Ich komme fast nicht zum Sitzen, von morgens bis abends und bin unerhört müde, doch hätte ich keine Nahrung für ein Mädchen gehabt.

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