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Thursday, 25. April 2024
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Tagebuch Schatten
 1919-03-23 hh:mm
Müde an Leib und Seele empfinden wi...

Müde an Leib und Seele empfinden wir in dieser schwersten Zeit, selbst die Sonntagsruhe nicht mehr, wie früher! Die Spannung hat den höchsten Grad erreicht, weiß man doch, daß im Laufe der nächsten beiden Wochen die „Friedensbedingungen" veröffentlicht werden sollen! Es ist ein wahrer Hohn, diese Beratungen unserer Henker, Friedensverhandlungen zu nennen! Einem wehrlosen Gegner seine besten Güter zu rauben, dazu gehört nicht viel! Hätte die unselige Revolution uns nicht innerlich zermürbt und machtlos gemacht, so hätten wir, selbst bei Abdankung des Kaisers, doch einen besseren Frieden erzielt! Aber die sofortige Auflösung unseres Heeres hat uns zum willenlosen Werkzeug unserer Feinde gemacht! Nicht der Krieg hat das deutsche Reich vernichtet, sondern die Wühler in der Etappe und in der Heimat haben das scheußliche, unglaubliche Werk vollbracht! Dies zeigt sich von Tag zu Tag klarer! Die neue Regierung ist den herrschenden Zuständen bis jetzt durchaus nicht gewachsen. Wären nicht die alten Truppenteile in Berlin zu den Freiwilligenkorps gekommen, man hätte nie die Spartakisten zur Ruhe gebracht! Im rechtsrheinischen Aufruhrgebiet ist die Spartakusbewegung noch in vollem Gange – Engländer, Amerikaner und Belgier sitzen mitten darin und sehen voll Hohn den Greueln zu! Das sind die Vertreter des segensreichen Völkerbundes! Es ist ein Jammer, daß sich in der neuen „Regierung“ nicht ein einziger Mann befindet, der den Mut hat, auf die unerhörten Forderungen der Entente auch einmal ein Nein zu sagen! Was wollte nur die Entente machen, wenn wir etwas opponirten! Man weiß hier ganz genau, daß in England sowohl, als in Frankreich, der Bolschewismus heimlich wühlt! In Glasgow sind bereits A. u. S. Räte, in Südfrankreich, dringe der Aufruhr durch die Schweiz ein! Ich lebe in gr. Sorge, daß im Falle von Unruhen die Gefangenen an der Grenze Fluchtversuche machen u. auch die in Albertville Internierten dies tun könnten.
Zwei j. Leute aus der Umgegend wurden bei Fluchtversuchen erschossen – Seit gestern ist es gestattet, Privatbriefe nach Frankreich zu senden, Rudolf empfing seit Wochen weder Briefe, noch Pakete, noch Geld, welches wir durch das R.Kr. sandten! So können wir probieren, ob vielleicht Briefe ihn direkt erreichen! Nun ist der arme Junge schon 8 Monate gefangen, Gott gebe daß er bald zurückkehre! Er will, wie er schreibt, die Druckerei nicht übernehmen, was ich ihm nicht übel nehme, da die Verhältnisse hier so unangenehm sind! Wenn wir aber, wie man sagt, die Hälfte unseres Vermögens an Steuer abgeben müssen, dann sind wir genötigt, das Geschäft weiter zu führen, besonders wenn Rudolf studieren will! So liegt die Zukunft dunkel und voll schwerer Sorgen vor uns, ein ruhiges Alter, wie wir es erhofft, ist uns nicht beschieden. ---Trotz der größten Freundlichkeit gelingt es den Franzosen nicht, sich bei dem Publikum hier so anzufreunden, wie sie es wohl wünschten, um uns dann französisch zu machen. Mit Ausnahme einiger gemeiner Mädchen ist die Bevölkerung jetzt viel zurückhaltender, als im Anfang. Sogar in Saarlouis hat sich die Stimmung geändert! Als kürzlich dort bekannt wurde, daß in der Gemeinderats-Versammlung der frz Kommandant erscheinen und in einer Rede zum Anschluß an Frankreich auffordern werde, erschienen über 300 Personen im Zuschauerraum. Als der Franzose kaum einige Worte geredet hatte, erhob sich die Zuhörerschaft und „Deutschland, Deutschland über Alles“, brauste es durch den Saal! Seither hat die ganz offen betriebene frz. Werbetätigkeit aufgehört und man sagt, auch in Saarbrücken, es sei doch Hoffnung vorhanden, daß wir deutsch bleiben. –
Hier machen sich neuerdings die Franzosen sehr unbeliebt, durch die unerhörten Geldstrafen, die sie bei der geringsten Kleinigkeit geben. Gestern heimste auf diese Weise der hies. Stadtkommandant 3500 M. an einem Morgen ein! Und diese Besatzung soll noch 15 Jahre in der Rheinprovinz bleiben!

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