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Wednesday, 24. April 2024
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Tagebuch Schatten
 1918-07-09 hh:mm
Kampf und Hungersnot

Über 14 Tage kam ich nicht zum Schreiben!

– Am 26. Juni kam, abends 6 Uhr, unser l. Rudolf unerwartet hier an! Unsere Freude war groß, denn der l. Junge sah gut aus, trotz der übermäßigen Strapazen, welche er durchgemacht hat. Er hatte wochenlang die schweren Kämpfe bei Mondidier, Villers, Bretonneux M. mitgekämpft. Das Rgt. 69 hatte schwere Verluste! Gott sei gedankt, daß er unseren Jungen bisher behütete. Aus R. Erzählungen hörten wir mit Staunen und Bewunderung, was unsere Helden draußen leisten! Es ist ganz unbeschreiblich, was diese Tapferen ertragen müssen und dennoch soll, wie R. sagt, ein schöner, mutiger Geist unter den Soldaten herrschen. Die Kameradschaftlichkeit unter Allen ist wahrhaft rührend,  z.B. das Verhältnis der Offiziere zu ihren Burschen und Mannschaften ganz großartig. R. glaubt an unseren Sieg und meint, wenn jetzt die große Offensive, der große Schlag, käme und der Engländer sehe, daß er nicht vorwärts komme – so werde er heuchlerisch als Friedensfreund auftreten, um noch einen erträglichen Frieden herauszuschlagen! –

Es wäre schrecklich, wenn wir noch einen Kriegswinter hätten! Ich habe nun seit 17. April kein Mädchen und arbeite über meine Kräfte; aber ich könnte augenblicklich kein Mädchen ernähren! Das Brod ist kleiner geworden, pro Person 200 gr. Fleisch für die Woche, sehr wenig Milch, Eier: ein Stück pro Person – alle 4 – 6 Wochen!! Diese Woche gab es, auf die Lebensmittelkarte, pro Person ein Salzhering und war mein Mann sehr froh über diese kl. Abwechslung! Ich hatte solche Sorge gehabt, während Rudolfs Anwesenheit halbwegs anständige Kost zu haben. Da hatte der Junge das Glück, am zweiten Tag mit seinem Vater auf der Jagd, einen Hirsch zu schießen im kgl. Kemmerforst!  Der Hirsch wurde, für die Schwerarbeiter, nach Saarbrücken geschickt, Rudolf aber erhielt doch, nach Jägerrecht, Herz, Lunge u. Leber des Tieres. Damit waren wir einige Tage aus der Fleischnot befreit! Ach, werden wir denn noch einmal so leben können, wie früher? Brod essen bis wir satt sind, genug Fleisch etc.???
Die große Trockenheit hält das Wachstum der Gemüse zurück, es gibt wenig Bohnen und Obst, auch treten im Garten schwarze Milben auf, welche Schaden machen.

Das Volk will nicht länger die Kriegsentbehrungen ertragen, die Jugend ist frech und unlustig zur Arbeit! Es wird so viel gestohlen, daß man keine Minute seines Eigentums sicher ist, man kann nur im Tauschhandel noch etwas an Nahrungsmitteln (Fett, Speck, Erbsen etc.) erhalten. Wer nicht Tabak, Zucker, Mehl zum Tauschen hat, ist übel dran – und zu diesen Leuten gehören wir! – Es ist lächerlich zu sehen, wie bessere Leute ihren Metzgern förmlich den Hof machen, um Fleisch zu erhalten und die Metzgertöchter haben unzählige Verehrer, welche – auf der Jagd nach Fleisch – ihnen huldigen! Es ist das Gegenteil wie früher: der Peuble verdient übermäßig viel Geld, lebt fein, fährt 2. Klasse und hat fast alles in Hülle und Fülle, die besseren Klassen haben nicht die Bezugsquellen auf dem Lande bei den Bauern und sind, trotz ihres Geldes, in Not!
-Im Anfang des Krieges hat mich dieser Druck oft Tränen gekostet – jetzt ist man schon daran gewöhnt, aber schwer zu tragen ist der Mangel doch! –
Wir Deutschen kommen durch die Rationierung noch einigermaßen mit unseren Vorräten aus! In Oesterreich herrscht fast Hungersnot, durch  schlechte Einteilung! Nun haben wir noch die Oesterreicher mit Kartoffeln und Mehl unterstützen müssen und es herrscht große Sorge, daß Oesterreich aus Not Frieden schließe und wir dann die Feinde allein zu bekämpfen haben, d.h. die Italiener dann zum Kampfe gegen uns frei würden.

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01:59 26.08.2010
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