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Friday, 29. March 2024
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Tagebuch Schatten
 1919-02-02 hh:mm
Ein Ende ist nicht abzusehen!

Heute feiern wir, in aller Stille, meines Mannes 62 Geburtstag! In diesem Alter wird der Druck der veränderten Verhältnisse tiefer empfunden, die Jugend findet sich leichter mit den großen Ereignissen dieser Zeit ab! Wir Alten aber, die wir den größten Teil unseres Lebens ruhig und sicher im alten deutschen Reiche verlebt haben, stehen voll Sorgen und ratlos dem Chaos dieser schrecklichen Zeit gegenüber..

Noch immer herrscht in den meisten Großstädten die Spartakusbewegung! In Hamburg, Bremen, Hannover, Braunschweig, Düsseldorf, Elberfeld u. a. geht es geradezu toll her! Bürgermeister und Beamte werden „abgesetzt“ und fliehen, um ihr Leben zu retten, (Düsseldorf!) – niemand ist seines Lebens sicher! In Berlin ist Ruhe geschaffen, durch das Eingreifen der freiwilligen Soldatenverbände.
Aber sonst dauern die Kämpfe immer noch an – ein Ende ist nicht abzusehen! Auch wir hier, wären ohne die Anwesenheit der Franzosen gewiß längst von den hiesigen Sozialdemokraten überfallen worden. Die Unwahrheit und Heimtücke des rheinischen Volkcharakters tritt in diesen Wirren ungeschminkt zu Tage! Man schmeichelt der frz. Besatzung in jeder Weise, kriecht und heuchelt und der größte Teil der Bevölkerung strebt danach, französisch zu werden, weil sie sich allerlei Vorteile davon versprechen! Die Franzosen laufen mit den deutschen Mädchen Schlittschuhe, Arm in Arm, und suchen sich angenehm zu machen, da man eine Volksabstimmung erwartet, welche entscheiden soll, ob die Rheinprovinz deutsch oder französisch werde. Indessen treten die Franzosen bereits als Herren des Landes auf. In der Nachbarstadt Saarlouis und Dillingen ist in den Volksschulen auf Befehl der Kommandanten französischer Unterricht eingeführt, auch finden Abendkurse für Erwachsene statt; sie wollen offenbar das linksrheinische Gebiet nicht mehr lassen, ---

Der Postverkehr ist immer noch gesperrt, wir haben seit 6 ½ Wochen keine Nachricht von unserem Kinde und die Zeitungen brachten die Nachricht, daß die deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich in Sammellagern vereinigt werden, um in die Heimat zurückzukehren! Nun warte ich in wahrer Seelennot auf Nachricht, denn man kann jetzt weder Packete noch Geld mehr absenden, weil es ihn nicht erreicht. Und welche Prüfung ist es für die Gefangenen, bei mangelnder Nahrung ohne Geldmittel dazustehen! Selbst wenn dieselben in der Schweiz gut ankommen,  sind sie, ohne Geld, in schrecklicher Lage!---
Außer diesen Sorgen bewegt uns auch sehr das Schicksal unseres Schwagers, Dr. Z. in Metz, welcher jetzt, mit vielen Leidensgenossen, zum zweiten Male interniert ist und nun aus Metz ausgewiesen wird. Zwei deutsche Transporte a` 300 Personen sind bereits abgegangen, nun geht es so weiter bis Alles Deutsche entfernt ist. Meine Schwägerin bleibt zurück, um das schöne Haus, wenn möglich, noch zu verkaufen. ---
Alle Hoffnung für die Zukunft beruht nun auf der Nationalversammlung – welche in 8 Tagen in Weimar stattfinden soll. Die Spartakusgruppe wühlt furchtbar und man hat von Berlin vieles Militär zu Schutze der Versammlung nach Weimar gesandt.

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