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Tagebuch Sayu
2009-08-01 18:02
Härtefälle
Langsam aber sicher komme ich eindeutig in die Verlegenheit feststellen zu müssen, dass es mir von all meinen Freundinnen wohl eindeutig am besten zu gehen scheint. Das sollte mich froh machen, hat aber einen äußerst faden Nachgeschmack. Äußerst.
Eigentlich empfinde ich es als bedrückend.
Solange man selber irgendwelche Problemchen hat, dann hat man noch irgendeine Art von Kontrolle...wenn andere Problemchen oder ausgewachsene Probleme haben, dann kann man unter Umständen nicht mal helfen.

Gestern Abend war ich im Kino, mit Chrizzy, ihrem Freund und Jule.
Im Auto auf der Hinfahrt war eine seltsame Stimmung. Jule war in den letzten zwei bis drei Monaten in einer richtiggehenden Versenkung. Es wurden verschiedene Versuche gemacht sie zu kontaktieren, aber alle endeten in Verwirrung und einem gehörigen Biss auf Granit.

Nach dem Kino ermunterte uns Chrizzys Freund noch mit zum Chinesen zu gehen, ne Kleinigkeit essen. Es gäbe da einen unvergleichlichen Hähnchenspieß mit Erdnusssoße, den man dringend probiert haben müsste. Die Runde war ausnehmend witzig, gesellig und wir haben sehr viel gequasselt. Also hauptsächlich habe wohl ich gequasselt, weil ich oft den Drang habe unangenehme Stille mit sinnlosem Gefasel meinerseits füllen zu müssen.

Nach dem wir alle gut gefüttert und gewässert richtung Auto aufbrachen, teilte Chrizzy mir und Jule mit, dass sie mit ihrem Freund fahren und bei ihm schlafen würde.
Damit waren dann Jule und ich alleine auf der Heimfahrt.

Anfangs wollte ich sie noch krampfhaft unterhalten und witzelte über die Freundlichkeit der "Chinesen", die sich nicht getraut hatten uns zum Gehen aufzufordern, da sie augenscheinlich schließen wollten. Dann versuchte ich den Film mit ihr zu diskutieren. Letztlich behauptete ich mit dem Mut der Verzweiflung, dass der verdammte Mond heute so schön wäre.
Alles quittierte Jule mit einem kurzen oder langen "hm".
So gab ich auf und ließ mich von der minutenlangen Stille quälen.

Irgendwann durchbrach aber Jule die Stille.
"Ich weiß einfach nicht...was ich jetzt tun soll".
Ich dachte sie bezog sich dabei auf eine Absage von einer Uni, aber ich ahnte ja nicht, welche Abgründe sich mir im Laufe dieser Fahrt auftun würden.
Sie wüsste gar nicht was mit ihr los sei, sie habe auf nichts Lust und würde auch niemanden sehen wollen. Sie würde monatelang einfach nur zu Hause sitzen und rumheulen. Nachts könne sie entweder gar nicht erst schlafen oder sie hätte entsetzliche Alpträume, in denen sie jedes Mal sterben würde. Danach wacht sie auf und weint wieder.
Ihr Dad hätte sie bereits gezwungen zu einem Psychologen zu gehen und gleich in der ersten Sitzung hätte der ihr gesagt da sei nichts zu machen, sie brauche stationäre Behandlung und Medikamente. Sie habe eine Depression und Psychose und weiß der Kuckuck.

Vielleicht kann sich einer vorstellen wie machtlos ich mir da vorkam.
Das ist ja nun etwas ganz anderes wie "mein Freund hat mich verlassen" oder "ich finde mich in dem Kleid zu dick"...oder was weiß ich was.
Kurzentschlossen hab ich ihr dann halt von meinem "Knacks" erzählt mit meinen Panikattacken und wie das alles war. Dass ich mit denen auch bei ner Heilpraktikerin war und so ein Gespräch hatte, dass sie sich da jetzt nicht vorstellen soll sie wäre sonst was und dass sowas bestimmt viel mehr Leute mal haben, als man denkt.
Mindestens tausendmal musste ich ihr versprechen, dass ich niemandem was sage...und mindestens genauso oft habe ich ihr gesagt, dass sie sich nicht verkriechen darf. Dass sie mit uns heute weg gehen soll, dass sie überhaupt mit uns was machen soll...dass wir für sie da sind.
Aber zu allem sagte sie nur "ja" in einem Tonfall, der eindeutig "nein" bedeutete.

Mir fällt nicht ein, was ich da tun könnte, gar nichts.

Hab heute Nacht total unruhig geschlafen und von Sensenmännern geträumt.

Und heute Mittag hab ich Jule direkt nochmal angerufen und so einfühlsam wie möglich versucht ihr klarzumachen, dass wir für sie da sind. Dass sie uns nicht egal ist.
"Ja...aber eigentlich doch schon, oder?" meinte sie.
Hach...was soll man da tun.
Sie hat Angst vor den Menschen auf der Straße, dass die sie alle ansehen und sich denken, was für ein Freak sie doch ist.
Und ich hatte einfach nur das Gefühl von einem Fettnäpfchen ins nächste zu hechten.
Ich hab ihr meine Panikattackenphase in den leuchtendsten Farben geschildert, damit sie weiß, dass sie sich für absolut nichts zu schämen braucht. Ich hab ihr erzählt wie sehr es mir geholfen hat rauszugehen, auch wenn es mir anfangs unangenehm war und dass es alles wieder gut wird.

Ich hab sie beschworen, dass wir demnächst auf jeden Fall Sushi essen gehen und dass sie auf den Singstarabend kommen soll, auf dem wir uns Cocktails selber mixen wollen...und...und...

Ja.
Ja.
Hm.

Ich komm nicht an sie ran.
Chrissy hat auch nochmal angerufen, aber nichts zu machen.
Ich werde verrückt...ich kann absolut nichts tun, glaube ich. Sie glaubt sie ist allein und egal wie oft man ihr beteuert, dass sie das nicht ist, sie rückt keinen Millimeter von ihrer Sichtweise ab.

...

Dann komm ich nach Hause, fix und fertig und so weiter...da erreicht mich eine Sms von Anne:
"Bin Single..."

Ich kam mir vor wie eine dieser Comicfiguren, der ständig ein Amboss auf den Kopf fällt. Nur dass ich das nicht witzig finden kann.

Dann hab ich Anne mit allen möglichen aufbauenden, mitfühlenden Dingen bombardiert, die mein zermatertes Hirn noch aufbringen konnte, doch die blieb - natürlich - auch erst mal einsilbig und traurig.

...

Dann Carry heute Mittag - die einzige, der ich ihr Problem nicht wirklich abnehme (Wiederholungstäterin):
"Mädels...ich weiß doch noch nicht ob ich heute Abend mit feiern kommen kann...das zweite Sterbeamt für meinen Opa gestern Abend hat mich irgendwie doch mehr mitgenommen, als ich dachte. Ich bin jetzt erst mal mit meinem Freund in der Stadt mich ein bisschen ablenken...ich sag dann nochmal bescheid. Vielleicht krieg ich ja da mehr Lust auf Party..."

Pff...Geschenkt!
Seltsam, dass sie letztes Wochenende, eine Woche nach dem Tod ihres Opas Lust auf Party hatte. Bloß halt nicht mit uns.
Sie hat uns ja auch mal erzählt, dass ihr Freund ihr gesagt hat sie solle sich von uns fern halten, wir seien schlechter Umgang.
Das ist so bescheuert, dass ich beinahe drüber lachen kann. Das Traurige daran ist halt nur, dass Carry das hinnimmt.
Erwartungsgemäß müsste eine gute Freundin doch richtiggehend aus der Haut fahren und ihrem Männchen in Flammen stehend verklickern, dass er sich seine Kommentare über ihre Freunde bitte sonst wohin zu stecken hat.
Wenn sie ihm recht gibt, weiß ich nämlich allerdings nicht, warum sie dann noch unsere Freundin sein will.

Bin mir nicht mal sicher ob sie das überhaupt will oder ob sie sich nicht allmählich "entfreunden" will.
Ihr Verhalten in letzter Zeit deutet darauf hin.

Nun. Über Carry mache ich mir die wenigsten Sorgen.
Die braucht mich nicht, soll sie machen was sie will.

Anne kommt auch klar, das weiß ich. In spätestens einer Woche ist die wieder auf dem Damm und wird wieder auf die Männerwelt losgehen.

Aber was Jule anbetrifft...da bin ich absolut planlos.

Fürs Erste gehe ich heute Abend allein mit Chrissy feiern. Ob man dabei dann noch Spaß hat, nach all diesem Kram...mal abwarten.
Aber man kann sich auch nicht so einfach unterkriegen lassen.

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Kommentare

13:45 04.08.2009
nichts zu ergänzen, ausser:
mit ehrlichen gefühlen & aufrichtigkeit kannst du garnichts
kaputtmachen, keine angst.
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01:32 03.08.2009
Ich finde Belfagors und zimtsterns Tipps wirklich gut. Wenn du ihr helfen willst, dann unternimm etwas Ruhiges mit ihr, dräng dich nicht auf, aber lass auch nicht locker.
Und ich finds echt super, dass du so darauf bestehst, ihr zu helfen!
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02:43 02.08.2009
den kommi von @zimtstern finde ich ganz prima. nur zu sagen "mach mal" bringt sicher wenig bis nichts. den kontakt halten ist wohl wichtig. ob eher unter dem aspekt, dass du gern mit ihr zeit verbringen möchtest oder vielleicht doch unter dem aspekt, dass du ihr gutes tun willst? da musst du wohl genau hinhorchen. ich drücke dir und ihr die daumen, und je schneller sie da aus der depriecke wieder rauskommt, um so besser.
Good luck!
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00:02 02.08.2009
ich kann da nur aus meiner erfahrung sprechen.
ich hab vor ca. 3 jahren auch in so ´nem totalen loch dringehangen.
und das letzte wozu ich lust hatte, war weggehen und party machen.
unmengen von menschen, die einen anstarren könnten oder sonst was.
sich ewig aufhübschen müssen.
gute stimmung haben müssen.
klar, ab und zu ging das, aber meistens war mir das einfach nur zu viel, zu laut und zu groß.
auch so veranstaltungen in großer runde sind nicht so das wahre, da ist meistens zuviel trubel, zuviel input und letztendlich wird ja auch wieder gute laune erwartet...
ich wollt zu der zeit viel allein sein und mir hat´s echt geholfen, dass ´ne gute freundin das zwar akzeptiert hat, oft genug aber auch einfach auf der matte stand.
manchmal nur für ´ne tasse kaffee oder ´ne runde frischluft.
diese zeitliche begrenzung hat mir auch gutgetan, mich überhaupt mal aufzuraffen.
also wenn du sie zu was einlädst oder motivierst, dann sag ihr "ich würd gern mal für ´ne stunde vorbeikommen" oder "dauert ca. bis 10h" oder so (natürlich muss das dann auch stimmen), diese feste struktur fand ich immer sehr hilfreich.
wirklich helfen kann wahrscheinlich wirklich nur eine therapie.
dass du ihr von deinen problemen erzählt hast, find ich gut, anscheinend hat sie das aber ein bißchen in den falschen hals bekommen, wahrscheinlich hat sie gedacht, du willst das irgendwie bagatellisieren...
vielleicht kannst ihr das nochmal sagen?
ich find´s toll, dass du für sie da bist...
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20:35 01.08.2009
Ich seh es wie Belfagor....vielleicht einfach einen Spaziergang machen. Da sind nicht viele Menschen dabei und somit könnte sie sich wohler fühlen....aber bei solchen Sachen merkt man, wie nichtig doch unsere Probleme teilweise sind...ich find´s übrigens toll, dass du dich um sie kümmern möchtest....ich hoffe Jule kommt da wieder raus...wünsch dir einen schönen Abend*
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20:30 01.08.2009
vielen vielen dank für den tipp ! ich dachte mir auch schon, dass das wohl schlimmste wäre, sie daheim sitzen zu lassen. aber das ist so ein sensibles thema...man hat da angst mehr kaputt zu machen als zu helfen... ich hab aber vor nicht locker zu lassen...irgendwas muss sie doch mal unternehmen wollen. ich hab nämlich zumindest den eindruck, dass sie eigentlich tatsächlich nicht gerne allein ist, sich einfach nur nicht mehr unter menschen traut. . . hm.
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20:09 01.08.2009
Ich habe zwei gute Freundinnen, die auch depressiv waren bzw. sind und ihr Ärzte raten immer dazu rauszugehen und aktiv zu werden, wenn man merkt, dass man in so ein Loch fällt. Ich denke das schlechteste ist, dass sie weiterhin allein Zuhause rumsitzt und sich mit ihren Gedanken quält.
Große Partys sind vielleicht auch nicht das Wahre, aber sie sollte wenigstens spazieren gehen. Vielleicht kannst du sie am Anfang begleiten, vielleicht fällt es ihr dann leichter.
Wie gesagt, ich kenne das zwar nicht von mir selbst, aber diese Freundinnen sprechen da so halbwegs offen mit mir darüber und ich wollte nur mal ihre Erfahrungen weitergeben.
Viel Glück für deine Freundin.
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2009-08-01 18:02