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Tagebuch Sayu
2007-11-10 01:29
Elternliebe
Mich beschäftigt grade etwas.
Und ich fürchte ich drifte gerade wieder in die Melancholie ab....aber naja. Muss vielleicht auch mal sein.

Meine Mutter ist befreundet mit der Mutter einer meiner Freundinnen. Eher eine Kindheitsfreundin und jetzt noch gute Bekannte eigentlich.
Stephanie. Mittlerweile lässt sie sich nur noch Taffy rufen.
Früher waren wir beste Freundinnen. Wir haben zusammen im Sandkasten gespielt...sozusagen. Und diese typischen Kinderspiele, bei denen man in einer kleinen Welt lebt und jemand anderes ist.
Ich war immer der charismatische Held und sie das hübsche Mädchen...
Steffi war...ein trauriges Mädchen. Sie hat sehr selten gelacht...sogar in ihrer Kinderzeit.
Sie hat die Dinge schon immer sehr ernst genommen. Zu ernst wahrscheinlich. Sie mochte ihre Eltern nicht. Ihre Eltern mochten ihre kleine Schwester.
Ein kleines blondes Engelchen. Steffi kam viel zu kurz.
Sie war schon immer ein unscheinbares Mädchen. Herzlich, freundlich und hilfsbereit...aber unscheinbar. Man hätte sie für langweilig halten können. Dabei war sie nur verschüchtert. Nicht selbstbewusst. Traurig.
Ihre Eltern zogen sie groß, versorgten sie, gaben acht, dass sie für die Schule lernte. Sie erfüllten ihre elterlichen Pflichten.
Mehr aber auch nicht.
Steffi wusste immer, dass sie ihre kleine Schwester lieber hatten.
Und das....einfach nur so, ohne speziellen Grund.

Steffi ist jetzt erwachsen...die Zeiten, in denen wir noch zusammen spielten, sind längst vorbei. Wir verlieren uns immer öfter aus den Augen. Doch manchmal treffen wir uns und reden.
Steffi hat eine Lehre gemacht. Sie war nicht glücklich. Ihre Angst vor den Menschen hemmte sie. Wie immer. Sie hatte ja nie gelernt, sich selbst genug zu achten. Gegen Ende der Lehre taute sie auf. Ihre männlichen Kollegen schenkten ihr eine bestimmte Art Beachtung.
Keine sehr hochwertige, erstrebenswerte Beachtung.
Eine Beachtung sexueller Natur.

Irgendwann ließ Steffi sich fallen und gab nach.
Die Gespräche veränderten sich. Steffi ebenfalls.
Aus dem unscheinbaren Mädchen mit dem ernsten Gesicht wurde "Taffy". Ihre Haare sind blond gefärbt, sie trägt vorwiegend Miniröcke, stellt eine seltsame Art Lächeln zur Schau. Und die Gespräche drehen sich meistens um ihre Affären.
Sie versteht es nicht.
Kann es gar nicht verstehen....dass das, was ihr diese Jungs geben...nicht Anerkennung ist. Nicht Respekt. Erst recht nicht Liebe.

Aber ich habe gut zu reden.
Sie glaubt , dass sie glücklich ist. Wie könnte ich ihr das verderben.
Ich möchte, dass sie glücklich ist. Sie ist meine Freundin.
Aber ich möchte auch, dass sie geachtet wird. Dass man sie als gleichwertig lieb hat. Ich möchte, dass sie selbst respektvoll mit sich umgehen kann.
Aber wie sollte ich ihr all das geben, was sie ihr ganzes Leben lang hätte bekommen sollen?

Steffi lebt jetzt alleine. Ihre Eltern haben sie aus dem Haus "entfernt". Unter dem Vorwand sie solle lernen selbständig zu sein. Natürlich kompletter Unsinn.
Steffis Mutter erzählte Mama, dass sie mit ihrem Mann darüber geredet hatte Steffi wieder nach Hause zu holen, wenn sie keine Arbeit findet. Steffi war nach ihrer Ausbildung natürlich nicht übernommen worden.
Die Antwort von Steffis Vater war, dass er "eigentlich nicht möchte, dass sie wieder nach Hause kommt". Das würde nur wieder Streit mit der kleinen Schwester geben und das würde ihm auf die Nerven gehen.

Diese Aussage hat mich erschüttert. Wie kann ein Vater sagen er möchte nicht, dass sein Kind nach Hause kommt?!
Das ist so schrecklich. Wieso sehen ihre eigenen Eltern nicht, was für eine liebe Tochter sie haben....

Ich selbst bin mit sehr viel Liebe groß geworden. Heute begreife ich mehr denn je, welches Glück ich habe.
Wenn ich unter der Woche in Mainz wohne, vermisst mich meine Mutter, ruft mich fast täglich an und freut sich auf das Wochenende wenn ich wiederkomme. Mein Zimmer ist immer so wie ich es verlassen habe.
Am Montag habe ich Geburtstag.
Mittlerweile bin ich an jedem Geburtstag etwas traurig. Wieder ein Jahr älter...wieder ein Jahr von meiner Kindheit weg...

Es ist alles noch so nah. So tief in mir verwurzelt.
Meine Kindertage in unserer engen Wohnung. Viel Geld hatten wir nie. Meine Mama versuchte es aber immer uns Kindern so schön wie möglich zu machen. Unser morsches Holzbett verwandelte sie in ein Himmelbett für mich und meinen Bruder, während meine Eltern im Wohnzimmer auf der Couch schliefen. So wie sie konnten, erfüllten sie uns alle Wünsche.
Wir wuchsen behütet auf. Wir haben immer nur Liebe gespürt. Und diese Liebe tragen wir auch in unseren Herzen.
Und immer wenn wir glauben, die Welt sei furchtbar schrecklich und schlecht...dann können wir nach Hause kommen.
Die Tür wird uns immer offen stehen. Und wir werden immer wissen, dass da jemand ist, der uns lieb hat.
Dieses Wissen ist es, dass mich aufrecht stehen lässt, wenn die Welt um mich herum mal wieder zusammmenzubrechen scheint.
Der Gedanke ohne diese Liebe zu leben ist unerträglich für mich. Und das Wissen, dass es einer meiner Freundinnen so ergangen ist, tut mir weh. Ebenso wie meine Unfähigkeit ihr zu helfen.

Falls ihr auch so liebe Eltern habt....dann nehmt sie demnächst mal fest in den Arm und sagt ihnen, dass ihr sie lieb habt. Und erinnert euch daran, dass die Sache auch hätte anders ausgehen können.

Wenn ihr nicht so gute Eltern habt...dann seid trotzdem nicht traurig. Irgendwann...wird euch jemand sagen was für wunderbare Menschen ihr seid.

Liebe Grüße...eure...in Melancholie versunkene...
Sayu-chan

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Kommentare

20:23 11.11.2007
Was für wahre Worte.
Deine Steffi/Taffy scheint mit meiner Freundin verwandt zu sein - gleiches Schema, gleiches Ergebnis.
Schlimm sowas.
Elternliebe ist wichtiger, als man in den Zeit denkt, in denen man noch gar nix weiß.
Und wenn man es endlich begriffen hat, dann ist es fast zu spät.
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12:10 11.11.2007
das hat mich irgendwie grad sehr traurig gemacht...
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08:03 10.11.2007
Schön geschrieben, auch wenn es mich gerade eher traurig macht...
Selber halt nicht so tolle Eltern hatte...
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